Flächenversiegelung und Nachhaltigkeit : Bodenverbrauch: Ordnung im Begriffswirrwar und überraschende Konsequenzen
Inhalt
- Bodenverbrauch, Flächeninanspruchnahme, Versiegelung - die große Verwirrung
- Kaum empirische Evidenz in einer emotionalen Debatte
- Wirtschaftswachstum größer als Bodenverbrauchszuwachs
- Das 2,5-Hektar-Ziel und seine unbedachten Folgen
- Welches Ziel man bei der Flächeninanspruchnahme tatsächlich anstreben kann und wie es erreicht werden soll
Bodenverbrauch, Flächeninanspruchnahme, Versiegelung - die große Verwirrung
Ist Österreich wirklich zubetoniert? Nein, sagt nicht nur die Bundesinnung Bau unter Innungsmeister Robert Jägersberger (und viele andere Bauführungskräfte), sondern auch Marktforscher und Wohnbauexperte Andreas Kreutzer, der im Auftrag der Innung die Studie "Flächenverbrauch: Auswirkungen der geplanten Obergrenze auf den Arbeitsmarkt, den Wohnbau und den Ausbau der Infrastruktur" erstellt hat.
Bei der geplanten Obergrenze geht es um das Ziel, nicht mehr als 2,5 Hektar pro Tag für Bautätigkeiten in Anspruch zu nehmen - ein Ziel, das zwar bislang den Weg in ein Gesetz nicht geschafft hat, aber weiter im Raum steht.
Es gäbe in diesem Zusammenhang, so Jägersberger, viele Vergleiche (etwa die berühmte Fußballfelder), unübersichtliches Zahlenmaterial (dem unterschiedliche Zugänge zugrunde liegen) und vor allem eine verwirrenden Terminologie.
Kaum empirische Evidenz in einer emotionalen Debatte
Den Warnrufen aus den im allgemeinen mit den Grünen verbundenen politischen Ecken schreibt Studienautor Andreas Kreutzer - ein ausgewiesener Zahlentüftler etwa mit seinem 2022 erschienenen Buch über den Wohnbau in Österreich "Das Ende der Maurerkelle" - mehr anekdotische als empirische Evidenz zu.
"Dabei sind die Zahlen alle öffentlich einsehbar", wundert er sich.
>> Lesen Sie dazu auch: Wohnbau: „Versiegelungszahlen sind völliger Quatsch“
In Österreich gibt es, so Kreutzer, 7 % beanspruchte Flächen, wobei "beanspruchte Flächen" definiert sind als Gebäude, Gärten, Verkehrswege, nicht aber Acker. Die Hälfte davon - also 3,5 % der Dauersiedungsfläche - sind tatsächlich versiegelt.
Die Fläche, die nicht Dauersiedlungsraum ist, beträgt 70 % und untergliedert sich in: 46 % Wald, 16 % Alpen und 8 % Gewässer.
Kreutzer: "Dass wir keine Äcker haben werden, ist also schlichtweg falsch. Wenn wir genauso viel verbrauchen und versiegeln wie bisher, wäre im Jahr 2200 der Anteil der versiegelten Fläche immer noch geringer als derzeit in den von Landwirtschaft geprägten Niederlanden."
Dass wir keine Äcker haben werden, ist schlichtweg falsch. Polemisch könnte man sagen: Wir gehen unglaublich sparsam mit dem Boden um.Studienautor Andreas Kreutzer
Wirtschaftswachstum größer als Bodenverbrauchszuwachs
Koppelt man die Zahlen zur Bodeninanspruchnahme mit dem Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum, setzt Kreutzer fort, könnten man „eigentlich polemisch sagen: wir gehen unglaublich sparsam mit dem Boden um“.
Dazu kommt: Je höher der Industrieanteil in einem Land, desto höher ist der Versiegelungsgrad - eine Einsicht, die in der parallelen Debatte rund um die Angst der Abwanderung der Industrien und damit Arbeitsplätze aus Österreich nicht unbeachtet bleiben sollte.
Der auch immer wieder als dramatisch sinkend bezeichnete Selbstversorgungsgrad mit Nahrungsmitteln in Österreich, ist wiederum, so Kreutzer, höher geworden, obwohl 2,5 % weniger Ackerfläche zur Verfügung stehen; der Hektarertrag auf den Feldern ist seit 2012 um 15,4 % angewachsen. Als Grund nennt Kreutzer die Flächenzusammenlegung von Feldern. "Das hat allerdings eine andere Konsequenz: Unbewirtschaftete Vegetationsstreifen werden eingeackert, was via Industrialisierung der Landwirtschaft die als Ziel ausgegebene Biodiversität beeinträchtigt!"
Generell wünschen wir uns in dieser Diskussion mehr Objektivität.Bundesinnungsmeister Bau Robert Jägersberger
Das 2,5-Hektar-Ziel und seine unbedachten Folgen
Was würde es aber heißen, wenn man sich tatsächlich wie angedacht auf eine Obergrenze von 2,5 Hektar Bodeninanspruchnahme pro Tag festlegen würde?
Es würde, so Bundesinnungsmeister Jägersberger, die Baufläche um 80 Prozent reduzieren und vor allem die Unternehmen und die Eigenheime treffen.
Die Zahlen dazu: 60 % der Inanspruchnahme betreffen Wirtschaft und öffentliche Gebäude, 30 % den Wohnbau. Die Hochrechnung der Studie ergibt kaum Flächenreduktion beim Mehrfamilienhaus (10 %), aber drastische 95 % beim Einfamilienhaus.
Und noch eine Zahl kam zur Sprache: 50 % der Ö leben im Einfamilienhaus, das ist aber in Europa unterdurchschnittlich, der gesamteuropäische Schnitt beträgt zwei Drittel.
Dramatisch wäre die Auswirkung auf die Bauwirtschaft, nämlich ein Sinken der Produktion um 28%, was 14,4 Mrd. pro Jahr entspricht, Außerdem würden nach Simulationsrechnung 21% Beschäftigte gleichbedeutend mit 70.000 Arbeitsplätzen verloren gehen. Studienautor Kreutzer: „Man blendet völlig aus, dass es den Wirtschaftsstandort Ö trifft!“
Innungsmeister Robert Jägersberger: „Die Bauwirtschaft bekennt sich zur konstruktiven Mitgestaltung einer praxisorientierten, ressourcenschonenden Bodenstrategie. Dabei ist aber insbesondere darauf zu achten, dass dies auf Basis klarer Informationen und Fakten, ohne Angst- und Panikmache, passiert. Dies beginnt schon bei der korrekten Definition und Verwendung von Begriffen wie z.B. Bodenverbrauch und Bodenversiegelung, um keine falschen Bilder in der öffentlichen Wahrnehmung zu erzeugen.
Generell wünschen wir uns in dieser Diskussion mehr Objektivität. So wird etwa derzeit der Gemüsegarten oder die Blumenwiese rund um ein Einfamilienhaus als „verbrauchter“ Boden klassifiziert und im öffentlichen Diskurs oft sogar als „zubetoniert“ dargestellt, was zu einer enormen Verzerrung der tatsächlichen Gegebenheiten führt.“
Welches Ziel man bei der Flächeninanspruchnahme tatsächlich anstreben kann und wie es erreicht werden soll
Was aber, so fragen wir Andreas Kreutzer, wäre ein realistisches Ziel, wenn es die 2,5 Hektar erwiesenermaßen nicht sind? Das, so Kreutzer, könne man leider nicht in einer Zahl sagen.
Auf jeden Fall könne man das nicht von oben nach unten machen, sondern es müsse Bottom Up geschehen. "Man müsste die Gemeinden nach ihren langfristigen strategischen Zielen Fragen und dann evaluieren."
Das aber wird dauern.
Wichtig für den Moment aber sei: "Das Bewusstsein in der Bevölkerung muss her, dass Österreich nicht zubetoniert ist und auch nicht zubetoniert wird."