Österreichischer Wohnbau : Wohnbau: „Versiegelungszahlen sind völliger Quatsch“

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Der Wohnbau ist in Summe die wichtigste Stütze der österreichischen Volkswirtschaft. Ein genauer Blick darauf ist daher alles andere als nebensächlich - und wurde trotzdem bis jetzt noch nicht gewagt.

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Wohnbauförderung zum Teil am Zweck vorbei

SOLID: Sie sind Kopf von branchenradar.com und betreiben schon sehr lange Marktforschung im Baubereich in Österreich und auch in Deutschland. Wie sind Sie da auf die Idee für ein Buch über 30 Jahre Wohnbau in Österreich gekommen?

Andreas Kreutzer:
Wir haben vor einigen Jahren in einer Studie festgestellt, dass 21 % des Bruttoinlandsproduktes aus der Wertschöpfungskette Wohnen kommen. Damit ist er mit Abstand die wichtigste Stütze der österreichischen Volkswirtschaft! Fast 780.000 Erwerbstätige sind im Wohnbau beschäftigt, wenn man das von der Baulandmobilisierung bis hin zur Haushaltsversicherung durchdenkt. Es gibt zwar unzählige Bücher zum Thema Wohnbau aus Sicht der Architektur, aber nichts Grundlegendes zum Thema, wie wir wohnen, wie wir wohnen wollen, wer die Stakeholder dort sind, wie das ganze Ding funktioniert, was blockiert, wo etwas weitergeht etc. Es war also schon länger Zeit für das Buch und ich habe es jetzt dann auch endlich geschrieben.

>> Andreas Kreutzer hat mit Partnern auch ein Informationsportal zum Thema Versiegelungszahlen in die Welt gerufen - mehr dazu finden Sie unter "Flächenversiegelung in Österreich: Informationsportal online"

Was waren die überraschendsten Dinge für Sie selber beim Schreiben?

Kreutzer
: Manches haben wir geahnt, aber im Detail war es trotzdem recht spannend. Zum Beispiel war mir nicht wirklich bewusst, dass von den geförderten Wohnungen, die in den letzten 30 Jahren gebaut worden sind, 104.000 derzeit nicht als Hauptwohnsitz genutzt werden. Dass es so etwas im freifinanzierten Bereich gibt – geschenkt! Aber wir reden hier ja von 4,6 Milliarden Wohnbauförderung, die am eigentlichen Zweck vorbei verbaut wurden. Und das sind letztendlich Steuergelder. Ich hätte nicht gedacht, dass sich das in diesem Umfang bewegt.

Andreas Kreutzer
Andreas Kreutzer ist bekannt für seine pointierten und teils überraschenden Zugänge zu Bau-Themen und aktuell als Autor von „Das Ende der Maurerkelle - Wohnbau in Österreich 1990-2020“ in der Öffentlichkeit. - © SI.MA.pix

Mietpreisbereich als Hebel für Verbesserung auf allen Ebenen

Gibt es so etwas wie eine Lösung für das Problem leistbares Wohnen?

Kreutzer:
Es hakt da an mehreren Ecken und Enden. Aber ein ganz entscheidender Hebel liegt sicher im Mietpreisbereich. Die Mieten steigen ja in Österreich vor allem auch deswegen, weil die meisten Mieten indexiert sind. Das heißt, sie werden an die Inflation angepasst und das ist der wahre Treiber. Dabei ist die Indexierung von Mieten eine völlige grobe Fehlkonstruktion, denn durch den Index wird ja nur der Mietzinswert gesichert, aber nicht die Qualität der Wohnung! Wenn man bisher zehn Jahre in einer Wohnung wohnt, zahlt man nach zehn Jahren 30 % mehr Mietzins, hat aber dafür eine zehn Jahre abgewohnte Wohnung. Das ist für mich weder fair noch irgendwie logisch nachvollziehbar. Ich bin deswegen der Meinung, es gäbe ein sehr einfaches Mittel, um den Mietzinsauftrieb zu bremsen. Es braucht dazu keinen Mietpreisdeckel, sondern man müsste nur die Indexierung verbieten und eine Anpassung des Mietzinses an die Inflationsrate erst dann erlauben, wenn die Wohnung wieder auf den Zustand zum Bezug gebracht wird. Dann macht es wieder Sinn – und das gilt für befristete genauso wie für unbefristete Mietverhältnisse.

Das zweite ist: wir haben im Mietrechtsgesetz zum Beispiel Zuschläge für gute Lage usw. Wir haben dort aber keine Abschläge. Jetzt reden wir so viel über Nachhaltigkeit und Dekarbonisierung im Bestand ein - was spricht also dagegen, dass wir jetzt Abschläge einführen, wenn der Heizwärmebedarf nicht dem entspricht, wie wir heute Häuser bauen, nämlich nach Niedrigenergiestandard?

Mit diesen zwei Maßnahmen hätte man den Mietzinsauftrieb von heute auf morgen ganz einfach abgeflacht bzw. hätten wir wahrscheinlich sogar rückläufige Mieten.

Das Buch "Das Ende der Maurerkelle" ist im September 2022 erschienen.
Man dürfte eine Anpassung des Mietzinses an die Inflationsrate erst dann erlauben, wenn die Wohnung wieder auf den Zustand zum Bezug gebracht wird.

Der wahre Grundstückspreistreiber und die Versiegelungslüge

Die Vermieter werden sagen, dass sie sich das nicht leisten können.

Kreutzer:
Das glaube ich schon, denn wir brauchen uns nur anzuschauen, wie die Ertragslage bei den Vermietern und generell im Grundstücks- und Wohnungswesen ist. In den letzten 20 Jahren hat ein Unternehmen in Österreich im Durchschnitt einen Nettogewinn von circa sechs Prozent vom Umsatz gehabt. Im Grundstücks- und Wohnungswesen waren es 21,4 %! Es gibt in Österreich keinen Wirtschaftsbereich, der so profitabel ist wie das Grundstücks- und Wohnungswesen. Die Energieversorger im Vergleich hatten in den letzten 20 Jahren vor der derzeitigen Energiekrise ein EGT von acht Prozent. Jetzt sind die Margen gestiegen und was machen wir? Wir diskutieren eine Übergewinnsteuer. Da sage ich schon - ein bisschen salopp natürlich: Angelehnt an diese Diskussion hätten wir so eine Übergewinnsteuer bei Unternehmen des Grundstücks- und Wohnungswesens schon vor langer Zeit einführen können, um damit sozusagen den Mietzinsauftrieb abzufedern, vor allem aber den energetischen Zustand der Gebäude zu verbessern. Ich denke also, dass sich das Grundstücks und Wohnungswesen diese Sanierungen leisten kann, es sich aber auch leisten kann, auf eine Indexierung der Mieten zu verzichten.

Das Thema Grundstücke ist ja sowieso eines der Lieblingsthemen in der ganzen Bau- und Immobilienentwicklungsbranche. Die Grundstückspreise schießen seit Jahren immer mehr in die Höhe und zusätzlich kommt das Thema Normen und Vorschriften, wodurch das Ganze sehr eng wird. Was sehen Sie da als mögliche Lösung?


Kreutzer:
Die Grundstückspreise sind ja nicht nur gestiegen, weil die Nachfrage so groß war, sondern im Wesentlichen dadurch, dass wir in den letzten zehn Jahren viel, viel weniger Grundstücke umgewidmet haben als in den Jahren davor. Der wahre Preistreiber war: die Kommunen haben nicht mehr ausreichend gewidmet. Und dadurch war vor allem in den Lagen, die begehrt waren, praktisch keine Grundstücke mehr da. Wir haben eine absolute Verknappung gemacht.

Warum?


Kreutzer:
Warum nichts gewidmet worden ist, hat mit dieser unsäglichen Versiegelungsdiskussion zu tun, die meines Erachtens nach völlig unseriös geführt wird. Weil zum einen wird die Flächeninanspruchnahme - und das ist jene Zahl, die vom Bundesamt für Eich und Vermessungswesen veröffentlicht wird - gleichgesetzt mit Versiegelung, was ein völliger Quatsch ist, denn versiegelt sind im Durchschnitt 40 % dieser Fläche. Diese Panikmache, die wir da bei der Versiegelung haben, ist völlig unangebracht, denn wir haben derzeit in Österreich 6.000 Quadratkilometer als Bauland genutzt und es entspricht 11 % des Dauersiedlungsraums – das ist jener Teil der Landesfläche, der zivilisatorisch genutzt wird. Selbst in den alpinen Regionen, wo der Siedlungsraum eher eng ist, sind es 15 % und in Wien die Hälfte. Für eine Metropole, für eine Großstadt ist das ein sehr grüner Wert! In den letzten zehn Jahren hat sich die Bodeninanspruchnahme halbiert, weil weniger gewidmet wurde. Deswegen sind die Baulandpreise gestiegen.

>> Andreas Kreutzer hat mit Partnern auch ein Informationsportal zum Thema Versiegelungszahlen in die Welt gerufen - mehr dazu finden Sie unter "Flächenversiegelung in Österreich: Informationsportal online"

Versiegelt sind derzeit acht Prozent des Dauersiedlungsraums und da kann ich beim besten Willen kein Versiegelungsproblem erkennen! Wir müssen schon aufpassen - und vor allem die Medien müssen meines Erachtens aufpassen -, dass man nicht dem medialen Druck von einigen Gruppen auf den Leim geht, die dann mit Zahlen hinausgehen, jedes Jahr irgendwelche Fußballfelder zitieren, die nicht versiegelt, sondern einmal als Bauland gewidmet werden und wo die Relation zur Gesamtfläche fehlt.

Und es gibt noch einen zweiten Grund, warum die Gemeinden nicht gewidmet haben: Viele Kommunen wollten keinen Zuzug mehr, denn wenn neue Menschen zuziehen, bekommen sie zwar aus dem nächsten Finanzausgleich ein bisschen mehr, aber sie müssen vielleicht einen neuen Kindergarten bauen und sonstige Infrastruktur. Das wollten diese Gemeinden nicht und dann haben sie gesagt: okay, bleiben wir halt lieber klein – und dann steigen alle Grundstückspreise und das freut meine Einwohner, die ihre Einfamilienhäuser hier haben, weil die immer teurer und teurer werden.

Wenn wir wollen, dass wir deutlich mehr sanieren, dann müssen wir den Hebel vor allem bei Haushalten ansetzen, die sich eine Sanierung nicht leisten können.

Ein Vorschlag, um die Sanierungsrate tatsächlich zu erhöhen

Ein zweites Thema, das wir beim Wohnbau zunehmend haben, ist die Sanierung. Da gibt es ja einen ähnlichen Mythos, der vielleicht nicht ganz so brutal ist und aber besagt: es wird viel zu wenig saniert und es wird sogar immer weniger. Sie schreiben: das stimmt eigentlich nicht, es wird genau gleich viel saniert, aber es wird halt umso viel mehr neu gebaut. Aber die Frage ist tatsächlich auch: Wie kommt man mit der Sanierung weiter? Denn wenn alles so passiert, wie sich die Europäische Kommission das vorstellt, kommen am Ende noch 10 % Neubau heraus, wenn überhaupt. Der Rest muss Richtung Sanierung gehen. Wie kann sich das ausgehen?

Kreutzer:
Auch da gibt es recht interessante Dinge. Es gibt ja von der Kommission das Sanierungsziel von jährlich drei Prozent vom Bestand - bei dem übrigens kein Mensch weiß, wie die zustande gekommen sind und ich habe da wirklich lange recherchiert! Drei Prozent klingt nicht viel. Es bedeutet aber, dass man jedes Haus alle 33 Jahre komplett durchsaniert. Wenn ich ein Anbieter von Baumaterial wäre und meine Dinge über Qualität und Haltbarkeit verkaufe, würde ich das schon in Frage stellen. Also die drei Prozent kann keiner wirklich nachvollziehen. In Österreich haben wir übrigens bei manchen Bauteilen diese drei Prozent. Bei Fenstern liegen wir konstant dort oder sogar drüber.

Die Fensterbranche macht aber auch gutes Marketing, nicht?


Kreutzer:
Die Fensterbranche gibt im Jahr mehr als 12 Millionen Euro nur für Media Werbung aus. Das macht sonst überhaupt keiner. Da gibt es wirklich starke Marken und die tun mit ihrer Werbung was für den Sanierungsmarkt. Für den Neubau brauchen sie ja nichts zu tun, das geht von selber. Das machen zum Beispiel die Dämmstoffhersteller bei weitem nicht in diesem Ausmaß, die rufen sehr viel nach Förderungen. Und die Dachhersteller liegen so dazwischen. Da gibt es zwei Marken, vielleicht drei, die ab und an ein bisschen Werbung machen. Aber wir haben bei der Fassade eine Sanierungsquote von wahrscheinlich circa eineinhalb und beim Dach von circa einem Prozent. Dächer werden eigentlich alle 100 Jahre saniert, nur jetzt in den letzten zwei Jahren war es mehr, weil wir so viele Hagelunwetter gehabt haben.

Und was kann man tun, um die Sanierungsrate zu erhören?


Kreutzer:
Wenn wir wollen, dass wir deutlich mehr sanieren, dann müssen wir den Hebel vor allem bei Haushalten ansetzen, die sich eine Sanierung nicht leisten können. Wir reden ja hier vor allem von Einfamilienhäusern. Im mehrgeschossigen Wohnbau gibt es ein anderes Problem - da ist es eher der Entscheidungsprozess, der sehr kompliziert ist und dem man vereinfachen sollte.

Im Einfamilienhaus haben wir - und das sind Zahlen von der Österreichischen Nationalbank, die zwar schon ein paar Jahre alt sind, aber nicht so falsch sein werden - circa 440.000 Einfamilienhäusern, in denen Menschen mit einem Haushaltseinkommen von weniger als 1.500 Euro leben. Man kann davon ausgehen, dass die sich damit ihr Haus nicht sanieren lassen können. Und deswegen denken wir, dass man einen Hebel benötigt, der angelehnt ist an die sehr spannende „Ölkessel raus“-Kampagne. Dort wird ja bis zu 50 % der der Investition gefördert und in Teilbereichen sogar die komplette Investition. So was brauchen wir im thermischen Bereich auch. Wir müssen vor allem die Förderung auf jene Haushalte ausrichten, die sich das nicht leisten können und die auch nicht einmal mehr eine Fremdfinanzierung kriegen, wobei Sanierungen sehr, sehr selten fremdfinanziert werden und der Sanierungsscheck ja auch nur einen kleinen Teil abdecken kann.

Das heißt wir müssen das ganze Förderpaket dahin ausrichten, dass wir eine gewisse Anzahl von Komplettsanierungen bei Einfamilienhäusern finanzieren und dafür mit dieser Investition ins Grundbuch hineingehen. Wenn wir das machen würden, könnten wir jedes Jahr 20- bis 30.000 Einfamilienhäuser, die sonst in keinem Fall saniert werden, zusätzlich in den Markt bringen, Das wäre ein Hebel, der mir gefallen und der funktionieren würde – im Gegensatz zu einer Gießkannenförderung bei jemandem, der eh genug Geld hat und der die 5.000 Euro Förderung dann nimmt, um sich die Ledersitze in seinem BMW finanzieren zu können. Also dafür brauchen wir es wirklich nicht.

Was bedeutet das für die Bauwirtschaft? Die hat ja den Ruf, eher ungern zu sanieren und lieber neu zu bauen, weil das einfacher geht.


Kreutzer:
Wir werden sicher - so wichtig die Sanierung und die Dekarbonisierung der Gebäude und das Herrichten der Gebäude ist - vielleicht auch einen genaueren Blick darauf werfen müssen, wo macht Sanierung noch Sinn macht und wo keinen? Und eines ist auch klar und das ist schon mit ein Grund, warum Renovierungen eigentlich unattraktiv sind: Die Wertschöpfung pro Arbeitnehmer ist bei einer Sanierung deutlich geringer als im Neubau. Für eine fachgerechte Sanierung brauche ich wesentlich mehr Manpower, ich brauche auch bessere Facharbeiter, weil im Bestand bauen immer schwieriger ist, als ein neues Gebäude hochzuziehen.

Die großen Baukonzerne haben daher zwar auch Sanierungen, aber eher im großvolumigen Wohnbau und ansonsten sind sie auf Neubau ausgerichtet. Aber gerade für die kleine und mittelständische Bauwirtschaft - und zwar Bauhaupt- und Baunebengewerbe - ist natürlich die Sanierung, die Renovierung von Einfamilienhäuser das eigentliche Betätigungsfeld.