New Work in der Baubranche? : Arbeitskräfte, Arbeitszeit & Co.: „Unterm Strich Anstand und Respekt“
Inhalt
- Situation und Trends am Arbeitsmarkt
- Blue Collar wird oft übersehen
- Großes gegenseitiges Abjagen bei Arbeitskräften?
- Inder, Vietnamesen, Pakistani und das Image der Bauindustrie
- Coronaknick bei sozialer Kompetenz?
- Lösung des Klimathemas als lohnende Aufgabe
- Hauseigenes High-Potential-Programm
- Anhebung der wöchentlichen Arbeitszeit als Lösungsmöglichkeit?
- Ehrlich kommunizieren, Potenzial unterstreichen, Erfolg fördern
Situation und Trends am Arbeitsmarkt
Als wir in der Branche vor ein paar Jahren über einen sich anbahnenden Fachkräftemangel vor allem bei Polieren sprachen, wusste noch niemand, wie groß das Problem und das Thema innerhalb relativ kurzer Zeit tatsächlich werden würde. Mittlerweile hat sich der Bereich und damit die Zahl der allein durch den demografischen Wandel fehlenden Personen ausgeweitet, dazu kamen zur Verschärfung der Personalnot Jahre des absoluten Baubooms und nicht zuletzt spuckte noch das Coronavirus in die ganze Suppe. Das Resultat: Arbeit musste und muss in vielen Bereichen (am wenigsten allerdings direkt auf der Baustelle) neu organisiert werden – mit Home Office, New Work-Büros, 4-Tage-Wochen etc.
Das alles war für uns und unseren Partner Horvath Grund genug, in unserer bewährten Executive-Talk-Serie diesmal den Finger auf das Thema „Arbeitskräftemangel, New Work & Co.“ zu legen. Die Teilnehmer an dieser Diskussion waren diesmal: Klemens Haselsteiner (CEO Strabag SE), Karl Weidlinger (CEO Swietelsky), Hubert Wetschnig (CEO Habau), Michael Wardian (Geschäftsführer Kirchdorfer), Stefan Graf (CEO Leyrer + Graf) sowie Österreich-Geschäftsführer Stefan Bergsmann und Baubranche-Spezialist Christoph Weber von Horvath Unternehmensberatung.
Letzterer eröffnete den Talk mit einer Darstellung der Situation mit den bekannten Trends und Komponenten demografischer Wandel, Wettbewerb um die Talente, genereller Wertewandel in Richtung Work-Life-Balance. Dabei, so Weber, müsse man aber ganz stark unterscheiden zwischen White und Blue Collar-Work. Dazu kämen noch das Thema der digitalen Transformation mit der Änderung der Arbeitsweise und das Thema Nachhaltigkeit, das zu neuen Jobs führen werde bzw. das bereits tut und auch wieder über das Thema Wertewandel in die Arbeitskräftethematik eingreift.
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„Menschen Arbeitsbedingungen zu bieten, dass sie nicht so leicht weggehen, spielt sicher eine noch größere Rolle als früher und nehme ich als Riesenthema wahr.“
Klemens Haselsteiner, CEO Strabag SE
Blue Collar wird oft übersehen
Im Bezug auf White Collar-Worker schloss Christoph Weber sein Eingangsstatement mit drei Thesen ab: 1.) Das Büro der Zukunft wandelt sich zum sozialen Treffpunkt, 2.) Work-Life-Balance wird zu Work-Life-Blending und 3.) das Thema, mit seiner Arbeit in der Gesellschaft etwas Gutes beizutragen, wird immer stärker werden.
Und auch für Blue Collar hatte der Horvath-Experte drei Thesen anzubieten: 1.) Die Incentivierung wird eine immer stärkere Rolle spielen, 2.) Verbesserungen am Arbeitsort werden eine große Rolle bei der Auswahl der Arbeitgeber spielen und 3.) Aus- und Weiterbildung sowie Integration müssen immer mehr von den Firmen selbst übernommen werden.
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Die Diskussion setzte an einem klassischen White-Collar-Thema an, dem neuen Bürogebäude der Strabag SE in Stuttgart, das komplett nach New Work-Richtlinien konzipiert und errichtet wurde. Strabag-CEO Klemens Haselsteiner zog sofort den großen Bogen und erklärte, das Geld werde zwar auf den Baustellen verdient, aber dafür brauche es viele zentralisierte Dienstleistungen und genau dort gälte es, auf die Menschen entsprechend einzugehen – ohne aber auf die zu vergessen, die am Ende des Tages die Wertschöpfung machen, indem sie physisch bauen. „Was da auf jeden Fall passiert ist und immer weiter geht ist, dass die Unterbringung und die Arbeitsbedingungen vor Ort doch wesentlich besser geworden sind. Man kann sich einfach nicht mehr leisten, dass man Container hinstellt, die nicht geheizt sind oder auseinanderfallen oder dass die sanitären Einrichtungen ungenügend sind. Da schauen wir schon sehr genau.“
Großes gegenseitiges Abjagen bei Arbeitskräften?
Ein schon lange großes Thema beim Kampf um die besten Arbeitskräfte ist das gegenseitige Abwerben. Mittlerweile gibt es ja in Deutschland bereits erfolgreiche Firmen, die Baufirmen darin unterstützen, mittels Social Media Personal aus der örtlichen Nähe zum Wechsel der Firma zu bewegen. Ist das – so die Frage des Moderators in die Runde – mehr geworden? Klemens Haselsteiner: „Das Problem besteht auf jeden Fall schon länger. Mich persönlich begleitet das Thema der lebenslangen Flexibilität, seit ich selber ins Arbeitsleben eingestiegen bin. Aber Key Player Retention – also den Menschen Arbeitsbedingungen zu bieten, dass sie nicht so leicht weggehen – spielt sicher eine noch größere Rolle als früher und nehme ich als Riesenthema wahr. Wo wir auf jeden Fall sehr viel investieren ist, dass wir selber aus- und weiterbilden, um den Fachkräftemangel wenigstens zu entschärfen.“
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„Das wahre Problem ist, dass wir in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren die Arbeitskräfte in Europa nicht mehr finden werden.“
Hubert Wetschnig, CEO Habau
Inder, Vietnamesen, Pakistani und das Image der Bauindustrie
„Ich glaube, das wahre Problem ist, dass wir zeitnah – also in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren – die Arbeitskräfte in Europa nicht mehr finden werden“, offenbarte Habau-CEO Hubert Wetschnig seine Sicht der Dinge. Man denke derzeit eher darüber nach, Pakistani, Inder oder Vietnamesen nach Europa zu holen und dafür einen riesigen Aufwand auf sich zu nehmen, weil man sonst die gewerblichen Arbeitskräfte einfach nicht mehr bekommen würde. In Österreich und Deutschland, so Wetschnig, wäre die Mobilität ohnedies endenwollend und der jetzt schon betriebene Aufwand riesig. „Wir sind jetzt schon in den Schulen und immer früheren Schulstufen sehr präsent: Das kostet auch Geld, aber wir müssen es einfach tun.“
Ganz entscheidend aber sei, so Wetschnig, dass „die Bauindustrie ein besseres Image bekommt.“
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„Ich finde es sehr wichtig, dass der gewerbliche Bereich größeres und seiner Wichtigkeit entsprechendes Augenmerk bekommt,“ brachte sich Kirchdorfer-Geschäftsführer Michael Wardian in die Diskussion ein. „Wir investieren sehr viel in die Produktion. Das gilt nicht nur für uns als Kirchdorfer Gruppe, sondern mehr oder weniger für den gesamten Zulieferbereich. Wir investieren in Robotik, Arbeitssicherheit, Effizienz und alle damit verbundenen Innovationen.“ De facto hieße das, dass „die Gewerblichen in der Produktion heute keine schwere Arbeit mehr machen müssen. Das ist ein riesengroßer Schritt in Richtung Attraktivierung der Arbeitsplätze.“ Mittlerweile hätte auch fast jeder im gewerblichen Bereich bei Kirchdorfer ein finanzielles Anreizsystem. Der Zug gehe zudem eindeutig in die Richtung der Notwendigkeit, die Mitarbeiter selber auszubilden „und da tun sich die ganz Großen natürlich relativ leichter als wir oder noch kleinere Unternehmen.“
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„Ich frage mich: Wie kann ich Konflikte austragen oder Führungsaufgaben übernehmen, wenn ich nur mehr digital arbeite?“
Michael Wardian, Geschäftsführer Kirchdorfer Industries
Coronaknick bei sozialer Kompetenz?
Was ihm aber „ein bisschen Sorgen macht, sind die jungen Leute, die bei der Arbeit ständig nur mehr hinter dem Bildschirm sitzen und das auch wollen. 50 Prozent sind es angeblich, denen Schreiben und WhatsApp lieber sind als reden. Ich frage mich: Wie kann ich Konflikte austragen, wenn ich nur mehr digital arbeite?“ Und oft sei gerade das Austragen von Konflikten notwendig, um in der Sache weiterzukommen. Wardian: „Ich weiß auch nicht, wie ein Mensch, der nur hinter dem Bildschirm gesessen ist, Führungsaufgaben wahrnehmen soll?“
Auch Swietelsky-CEO (bis Ende März 2023) Karl Weidlinger sieht die Möglichkeiten des Home Office differenziert, vor allem was das Miteinander betrifft. „Für Leistungen wie Lohnverrechnung haben wir da einfache Benchmarks und die müssen erreicht werden, dann lässt sich das sehr gut machen. Oder wenn ein Bauleiter seine Arbeit vor Ort erledigt hat, kann er den Rest ruhig daheim machen oder am Freitag frei haben – das war aber auch früher nie ein Thema. Aber alles, was mit sozialen Leistungen zu tun hat, funktioniert im Home Office nur in Ausnahmefällen.“
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„Ich bin überzeugt: wenn wir das Image des Baus heben, bekommen wir auch wieder die Leute! Die Facharbeiter und Techniker sind Teil der Lösung des Klimawandelproblems.“
Karl Weidlinger, CEO Swietelsky
Lösung des Klimathemas als lohnende Aufgabe
Was das Imageproblem der Baubranche und dessen Folgen für die Attraktivität des Arbeitens in der Branche betrifft, sehe Weidlinger hier vor allem das ESG-Thema. Die Baubranche werde als der große Emissionssünder hingestellt, weil je nach Betrachtungsweise durchschnittlich dreißig Prozent (teils mehr, teils weniger) der Emissionen ihm zugerechnet würden. „Sagen wir doch einmal laut und deutlich, was Sache ist! Der Bau ist zwar Teil des Problems, aber er ist auch unverzichtbarer Teil der Lösung. Ohne Bau werden wir das Thema Klimawandel nicht bewältigen! Ich bin überzeugt: wenn wir das Image des Baus heben, bekommen wir auch wieder die Leute! Die Facharbeiter und Techniker sind Teil der Lösung.“
Dazu komme der Stolz auf Geleistetes, wenn man es sehen könne – wie eben fertiggestellte Bauwerke. „Wir müssen daran arbeiten, dass die Leute sagen: Wow, das ist eine geile Branche, da will ich hin!“
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„Stetigen Wertewandel hat es immer schon gegeben, es hat sich nur enorm beschleunigt und wir Unternehmen müssen unsere Antworten finden. Aber auch Unternehmen haben ja Bedürfnisse!“
Stefan Graf, CEO Leyrer + Graf
Hauseigenes High-Potential-Programm
Auf jeden Fall reduziert werden müsse der Unterschied zwischen den Arbeitern und den Angestellten. Entsprechend wäre es auch wichtig, gerade bei den Arbeitern „wesentlich über das gesetzliche Maß hinaus“ auf die Gesundheit zu schauen. „Wir machen da viele Dinge, die alle nicht gesetzlich gefördert sind – wie Hörtests, Sehtests, Vitamin-D-Beratung und ähnliches.“ Dann fühle sich der Arbeitnehmer auch mehr bei der Firma aufgehoben und würde nicht so leicht weggehen wollen. Dazu käme überdies die Notwendigkeit, im Unternehmen selber Aufstiegsmöglichkeiten zu schaffen. Das geschähe bei Swietelsky auf verschiedene Art und Weise, unter anderem über ein hauseigenes High-Potential-Programm.
Das größte niederösterreichische Bauunternehmen Leyrer + Graf glänzt immer wieder bei internationalen Nachwuchs-Berufsmeisterschaften mit hervorragenden Resultaten und legt großen Wert auf Lehrlingsausbildung und Studenten-Praktika. Wir fragen daher den CEO Stefan Graf, ob man diese Bemühungen auch auf dem Arbeitsmarkt belohnt sieht? Graf: „Wir haben da eine jahrzehntelange Tradition und in dem Fall ist es vielleicht ein Vorteil, dass wir nicht so groß sind, denn es geht bei uns noch etwas familiärer zu. Das spürt die Jugend und das spüren die Eltern, die ja wichtige Entscheidungsträger sind. Aus unserer Sicht rentiert sich das auf jeden Fall.“ Dieses Klima würde auch zum breits von mehreren angesprochenen Image der Baubranche beitragen.
Man müsse sich aber auf jeden Fall mit dem Wertewandel und den wachsenden Unterschieden zwischen städtischen und ländlichen Gebieten auseinandersetzen. „Wir müssen einfach viel mehr schauen: was sind die Bedürfnisse der einzelnen Person in diesem Zusammenhang?“
Digitalisierung und ESG sowie den damit einhergehenden Wertewandel in der Belegschaft spüre man bei Leyrer + Graf auch an allen Ecken und Enden. Graf: „Diese Art Wandel hat es immer schon gegeben, es hat sich nur enorm beschleunigt und wir Unternehmen müssen unsere Antworten finden. Auch Unternehmen haben ja Bedürfnisse!“
Bis zu einem gewissen Grad sei aber diese Entwicklung auch ein Merkmal eines Wohlstands- und Wohlfahrts-Staates. Der Begriff Work-Life-Balance suggeriere etwa, dass Arbeit nicht zum Leben gehören würde, besser wäre Work-Privacy-Balance.
Löst sich nicht gerade die Abgrenzung zwischen Arbeit und Privatleben durch die neuen Büroeinrichtungen mit Wohlfühlzonen etc. auf? Graf: „Das halte ich für ein Placebo und einen momentanen Hype.“ Man müsse aus seiner Sicht einfach die Zahlen sprechen lassen. „Wie viel Leistung braucht eine Gesellschaft, die im Wohlstand lebt, um sich zu finanzieren? Das ist eigentlich eine ganz einfache Gleichung.“
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„Verbesserungen am Arbeitsort werden eine große Rolle bei der Auswahl der Arbeitgeber spielen.“
Christoph Weber, Horvath
Anhebung der wöchentlichen Arbeitszeit als Lösungsmöglichkeit?
Swietelsky-CEO Karl Weidlinger ergänzte an dieser Stelle, dass es auch einen mit Steuerbegünstigung verbundenen Anreiz geben sollte, über 65 hinaus zu arbeiten. Er selber scheide zwar mit 65 als Vorstand aus, würde aber durchaus nach der Pensionierung noch andere Dinge tun, weil er genug Kraft verspüre, um weiter aktiv zu bleiben. Und ebenso könne man sich die Frage stellen: „Warum denken wir bei all dem Gejammer über hohe Preise nicht darüber nach, die wöchentliche Arbeitszeit wieder anzuheben? Man muss einfach ganz klar sagen: weniger Leistung zu bringen bedeutet automatisch Wohlstandsverlust.“
In der Baubranche sei das ohnedies so, zitierte Michael Wardian (Kirchdorfer) aus einer Studie. „Die Baubranche ist eine der wenigen, wenn nicht fast die einzige, in der die geleisteten Arbeitsstunden pro Arbeitsverhältnis in den vergangenen Jahren angestiegen wären.“
Ehrlich kommunizieren, Potenzial unterstreichen, Erfolg fördern
Abschließend bog Strabag-CEO Klemens Haselsteiner das Thema wieder zurück zum Arbeitskräftemangel und New Work. „Meines Erachtens ist das Problem der Baubranche, dass bei den Projekten aus verschiedenen Gründen viel zu viel Konfliktmentalität herrscht – und darauf haben immer weniger Menschen Lust.“ Es stünde der Branche außerdem gut an, ein bisschen mehr Selbstvertrauen zu zeigen, denn es wäre klar, dass die Bauindustrie Teil der Lösung sein, diese aber nicht alleine herbeiführen könne – und das müsse man sich offen zu kommunizieren getrauen.
Letztendlich sei aber das Zwischenmenschliche entscheidend, denn ein Arbeitsplatz sei ja wie eine zweite Familie. „Man verbringt ja auch genug Zeit damit. Unterm Strich geht es darum, die Menschen mit Anstand und Respekt zu behandeln.“ Das klinge zwar selbstverständlich und in der Diskussion seien sich sicher alle darüber einig, aber in der Realität sei das mit Sicherheit noch nicht überall durchgedrungen.
New Work sei, darüber waren sich alle abschließend einig, gar nicht so new, sondern ein Begriff für etwas, das man in schlagkräftigen und positiv arbeitenden Einheiten immer so gehandhabt habe. In Zeiten eines Arbeitnehmermarktes sei es aber sicher wichtig, sich dieser Dinge bewusst zu werden und erfolgsfördernde und soziale Faktoren zu stärken – letztlich aber immer, um als Unternehmen bessere Leistung erbringen zu können.