Nachhaltigkeit : Taxonomie, ESG und Immobilien: „Anders als Sie jetzt vielleicht denken“

Mikis Waschl Interview

„ESG ist das Mindset der nächsten Generation, und damit die größte Chance „junge Talente“ wieder für die Bau- und Immobilienwirtschaft zu begeistern.“ Mikis Waschl, Präsident IFMA Austria und CEO von caFM engineering GmbH.

- © Fabbro Daniel FRB Media

Mikis Waschl kennt das Wehklagen seiner Branche beim Thema „ESG“ nur zu gut. Geht es um die neue EU-Taxonomie, sehen viele Immobilieninvestoren nur eine weitere lästige Vorgabe, die ihnen das Leben erschweren soll. „Das Nachhaltigkeitsthema macht nur eins: es kannibalisiert unsere Gewinne“, tönt es da aus Kritikerecken scharf.
Aber was steckt wirklich hinter diesen 3 Buchstaben, die derzeit vielen Nerven kosten? Immobilieninvestoren und -fonds sind durch eine neue EU-Regulierung zur unternehmerischen Verantwortung (Corporate Social Responsibility, EU-Taxonomie, ESG) verpflichtet. Kurz: sie müssen Daten zur Nachhaltigkeit der eigenen unternehmerischen Aktivität erheben und veröffentlichen. Dies gilt und betrifft insbesondere Investoren und deren Portfolio-Immobilien. „Und das stresst momentan alle“, so der Präsident der IFMA Austria.

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Es soll der Investorenseele weh tun

„Menschen hassen Change. Er wird als Bedrohung wahrgenommen, als psychischer Stress, als Zumutung.“ Vor allem dann, wenn es wie bei ESG keinen Ausweg gibt. Denn die EU-Vorgaben sind streng. Sollen der Investorenseele weh tun – und das mit Absicht. So können die Zinsen bei Bankkrediten für nicht grüne Investments um bis zu ein Prozent steigen.

Dazu kommt die CO²-Bepreisung von bis zu acht Prozent des Umsatzes, abhängig vom CO2 Ausstoß. Es geht sogar noch weiter: „Heutige Annahmen gehen davon aus, dass der Wert nicht grüner Gebäude um fünf bis zehn Prozent sinken wird“, erklärt Waschl. „Man muss also nicht lange rechnen um zu erkennen, dass sich das bei einer durchschnittlichen Immobilienrendite von vier bis sechs Prozent, nicht mehr ausgeht.“

Es gibt mittlerweile viel zu viele selbst ernannte ESG Berater, die mal irgendwo einen Zählerstand abgelesen und glauben dadurch die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben.
Mikis Walisch

Die gefährliche Schockstarre

Eine harte Rechnung, die die hiesigen Rene Benkos vor gewaltige Herausforderungen stellt. Glaubt man nämlich heimischen Immobilienmogulen, sei es deswegen eine so große Herausforderung, weil es an übergeordneten Standards fehle. Die Branche sehnt sich nach Orientierung, „sie wollen einen Leitfaden zum Download, was sie jetzt tun müssen“, kennt Waschl die Sorgen seiner Kunden.

Da es diesen aber so nicht gäbe, laute die Devise oft: Schockstarre. Für den digitalen Revoluzzer im Facility Management unverständlich. „Es braucht keine Gesetze um nachhaltig oder generationengerecht zu denken“, so Waschl. „Das „E“ sei heute schon recht klar definiert. „Dem ‚Green Deal‘ folgend geht es um einen kontinuierlichen Prozess bis 2050, der im Wesentlichen aus einer CO²-Reduktion um 95 Prozent, einer Kreislauffähigkeit von 80 Prozent und 95 Prozent erneuerbarer Energien besteht“, erklärt Waschl.

Eigentlich recht simpel, wäre da nicht die österreichische Mentalität des „ Jo eh, schaun ma moi“. Waschl warnt: „Wer dieser Mentalität anheimfällt und noch lange mit den ersten Schritten wartet, wird es nicht schaffen.“ Nachhaltig handeln bedeutet für den Facility Manager mit Weitsicht und Weitblick zu agieren.

Wo jetzt investiert werden sollte

Fragt man also den Profi, dann ist Schritt eins im ESG-Investitionsdschungel: Die Bestandserfassung. „Das ist die Hausaufgabe, die jetzt gemacht werden kann bzw. schon gemacht sein sollte“, so Waschl. „Zahlen, Daten, Fakten über die Immobilien sammeln, nach einer einheitlichen Systematik.“ Hier geht es laut Waschl vor allem um Flächen, Nutzungen, um Verbräuche, aber auch um Nachhaltigkeitsaspekte, wie Energiemanagement usw.

Geheimtipp: „Beauftragen Sie Dienstleiter, die auf einen ganzheitlichen digitalen Ansatz setzen, sonst enden Sie mit einer weiteren Insellösung und einer gewaltigen Magenverstimmung“, so Waschl. Dienstleister, wie Waschls Unternehmen caFM engineering GmbH, decken mit ihrem Ansatz das Thema Daten (Erstellung von Standards, Erfassung und Aufbereitung), Prozesse (Beratung, Implementierung) und Software (webbasierte Tools) paritätisch ab und schließen damit das, wie Waschl es gerne nennt, „Digitalisierungsdreieck“. „Obwohl unsere Wurzeln im Facility Management liegen, reißen wir dadurch viele ESG-Themengebiete an und bringen wichtige Inputs.“

Die Geldmacherei der ESG-Beratung

Das mache Waschl aber noch lange nicht zum ESG-Berater, wie er zugibt. Gerade das Thema ESG-Consulting beäugt der Wiener äußerst kritisch. Momentan gäbe es viel zu viele selbst ernannte ESG Berater, „die mal irgendwo einen Zählerstand abgelesen haben und glauben dadurch die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben“, so Waschl. Eine der größten Fallen in die Unternehmen derzeit tappen können.

Es herrsche gerade eine richtige Goldgräberstimmung und Klassenfahrt-Mentalität, ähnlich wie bei BIM-Beratern. „Jeder sagt über den anderen, dass er dumm ist und bietet eine bessere, eigene Softwarelösung an“, erklärt Waschl. In fast jeder Präsentation werde immer eine Folie mit „Quick Wins“ angepriesen. Verlockend? Keine Frage. Aber nachhaltig? Wohl kaum. Einen Beweis hat der Profi dazu aus der Praxis: „Indem er die jährlich laufenden Kosten des Facility Management um zehn Prozent reduzierte, hat einer dieser selbsternannten ESG-Berater vor nicht allzu langer Zeit eine Ausschreibung für ein großes Immobilien-Portfolio gewonnen“, erzählt Waschl. Klingt gut? „Klar, bis man die Kehrseite kennt“, meint der Profi.

Beauftragen Sie Dienstleiter, die auf einen ganzheitlichen digitalen Ansatz setzen, sonst enden Sie mit einer weiteren Insellösung und einer gewaltigen Magenverstimmung.
Mikis Walisch

Komplette Intransparenz, Totalschaden bei den Datenketten

Folglich kam es also zu einem Wechsel des Facility-Dienstleisters. Mit dem Wechsel verbunden waren allerdings die Einführung neuer Systeme und damit neuer Prozesse, neuer Schnittstellen, neuer Datenerfassung. „Ein sechsstelliger Betrag, den man so vorher nicht einkalkuliert hatte“, so Waschl. Die Abwärtsspirale war aber nicht zu Ende: Bereits etablierte digitale Prozesse wurden kurzum stillgelegt, die Objekte quasi offline gestellt. „Der neue Dienstleister macht mit seinen eigenen Tools irgendwas“, so Waschl. Der Auftraggeber sehe nur, was er sehen soll. Fazit: Am Ende des Tages hatte der Auftraggeber zwar 10 Prozent weniger Kosten im Facility Management, aber auch 15 Prozent weniger digitale Leistung bei seinen Immobilien. Eine Loose-Loose-Loose-Situation. „Komplette Intransparenz, Totalschaden in Sachen Datenketten. Aber he – einen Berater, der sich nach wie vor selber feiert, weil er 10 Prozent Kosten gespart hat“, fasst Waschl zynisch zusammen. Es ist ein nachhaltiger Supergau, wenn man nichts mehr über seine Immobilie weiß, keine Trends mehr erkennen und damit keine Entwicklungen abschätzen kann. Waschl warnt: „Nachhaltigkeit darf nicht immer nur auf das Thema CO²-Ausstoß reduziert werden. Es gibt da viele andere Dimensionen.“

Der fehlende Datenstandard

Gerade das Thema Datenerfassung stehe hoch im Kurs der ESG-Kritiker. Schwammige Kriterien, unterschiedliche Rating-Organisationen, kein Datenstandard geben der hiesigen „Suderei“ viel Platz. Zu Recht? Jein, meint Waschl. Es gäbe mittlerweile eine Vielzahl an Ansätzen, die sinnvoll sind und Orientierung geben. Er persönlich nutze sehr gerne den European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG)-Standard oder das GRESB-Rating als Werkzeug für Kriterien und Benchmarks. Einzige Kritik: Der fehlende Datenstandard. „Bei BIM-Projekten ist es ganz klar das Format IFC. So etwas fehlt leider“, erklärt Waschl. Die Mehrheit folge damit sehr individuellen Standards oder hat schlichtweg kaum Daten. Das mache es natürlich insbesondere für größere Portfolios besonders schwer. „Sehr häufig wird dann die Frage gestellt, was es kostet, diese Daten zu erfassen oder zu vereinheitlichen“, so Waschl. „Ich würde gerne die Frage stellen was es kostet, sie nicht zu erfassen oder zu vereinheitlichen?“

Bedarfsgerechte Leistung, statt starre Intervalle

Die Verfügbarkeit, Teilbarkeit und Erweiterbarkeit von Daten habe in den letzten zehn Jahren ganze Branchen und Wertschöpfungsketten signifikant verändert. „Es kann wohl keiner ernsthaft glauben, dass die Bau- und Immobilienwirtschaft hiervon ausgenommen ist“, warnt Waschl und packt gleich ein Rechenbeispiel oben drauf. „Wir wissen heute, dass Mitarbeiter im Facility Management über 30 Prozent ihrer Arbeitszeit mit „Suchen“ verbringen.“ Wegen dieser Suche nach Anlagen, nach Bestandsdokumentation, nach Prüfberichten verliere man über 20 Cent pro Quadratmeter pro Jahr. Alleine aus einem simplen Beispiel wie diesem entstehe enormes Optimierungspotenzial. Dafür braucht es aber einen sogenannten digitalen Zwilling. „Und dieser ist anhand von Stammdaten mit OPEX und CAPEX Planung bis heute kaum wo realisiert“, so Waschl. „Gebäude werden aber künftig anders gemanagt werden. Betreiber werden agieren, statt zu reagieren.“ Leistung müsse laut Waschl in Zukunft bedarfsgerecht und nicht nach starren Intervallen erbracht werden. „Hand aufs Herz: Wie viele Tage pro Jahr sind Sie nicht im Büro und an wie vielen dieser Tage wird die Reinigung abbestellt?“ Für Waschl ganz klar eine völlig unnötige Leistung. Klar, koste es etwas, wenn man sein Immobilien-Portfolio digital auf Vordermann bringen will. „Aber nach 15 Jahren in diesem Business, in denen wir auch eine Amortisationsrechnung als Angebotsbeilage für unsere Kunden erstellt haben, können wir getrost sagen - die Rechnung geht auf.“

Mikis Waschl
Mikis Waschl - © FRB Media

Das Mindset der jungen Generation

Außerdem ist in Waschls Augen das Thema ESG keine Vorgabe. ESG sei eine Jahrhundertchance. „Es ist das Mindset der nächsten Generation, und damit die größte Chance „junge Talente“ wieder für die Bau- und Immobilienwirtschaft zu begeistern“, so der Querdenker. Eine Chance, die von vielen immer noch sehr unterschätzt wird. Noch nie hat sich das Personal-Karussell in Unternehmen schneller gedreht als jetzt – mit der in Pension gehenden Boomer-Generation und einer zunehmend selbstbewussten und wechselwilligen jungen Generation an Fachkräften sind gerade weniger attraktive Branchen gut darin beraten, sich modern darzustellen. „Nachhaltigkeit und Digitalisierung sind da zwei Gamechanger-Themen, die auch noch komplementär zueinanderstehen. Denn das eine wird ohne das andere nicht gehen.“ Ein Dogma, das Waschl seit Jahren predigt und das durch ESG endlich wieder Fahrt aufnimmt.

Tipps vom Profi

3 Fragen, die Sie sich immer stellen sollten

ESG und Digitalisierung gehen Hand in Hand. Bevor Sie eine Maßnahme setzen, sollten Sie diese drei Fragen immer (!) stellen. Sollte eines dieser drei Dinge nicht erfüllt sein, kann die Maßnahme keinen Erfolg haben.

* Entsteht eine neue Customer Experience?
* Entsteht ein neues Geschäftsmodell?
* Entsteht zusätzlicher Nutzen?

3 Schritte, um bestens auf ESG vorbereitet zu sein


Wo jetzt investieren, damit die Finanzierungen gesichert sind? Mikis Waschl hat drei einfache Schritte zusammengefasst.

* Bestandsaufnahme des Portfolios und Überführung zu einer laufenden, (teil)automatisierten Datenerfassung & -pflege
* Maßnahmenplanung, im Idealfall auch KI gestützt
* Priorisierung und Szenario- bzw. Portfolioplanung