Beton und Zement : Sanierung, Dekarbonisierung und Energiespeicherung im Fokus
Wie bauen wir in Zukunft?
Das diesjährige Kolloquium „Forschung & Entwicklung für Zement und Beton“ stand im Spannungsfeld von Sanierung, Dekarbonisierung und Energiespeicherung und brachte die aktuellsten Herausforderungen der Branche auf den Punkt. „Wir sprechen die Themen an, die polarisieren und gleichzeitig unsere Zukunft prägen. Mit dem Kolloquium bieten wir nicht nur einen spannenden Wissenstransfer, sondern auch eine übergreifende Plattform zum gegenseitigen Austausch“, so VÖZ-Geschäftsführer Sebastian Spaun.
Die VÖZ konnte dieses Jahr Vordenker Werner Sobek für die Keynote gewinnen. Erst kürzlich wurde sein weltweit renommiertes Ingenieurunternehmen mit dem deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet und damit an die Spitze der Vorreiter in dieser Branche gewählt. Sobek begeisterte das Publikum mit seinem Blick über den Tellerrand, er zeigte aber ebenso einen ungeschönten Blick in die Zukunft des Bauens auf: „Das Bauwesen steht weltweit für knapp 60 Prozent des Ressourcenverbrauchs, knapp 50 Prozent des Massenmüllaufkommens und für knapp 50 Prozent der klimaschädlichen Emissionen. Wenn wir weiter so bauen wie bisher und wenn wir dabei auch noch den Nachholbedarf der Menschen im globalen Süden sowie die Zunahme der Weltbevölkerung innerhalb der kommenden Generation um 25 Prozent berücksichtigen, dann führen wir die menschliche Gesellschaft schon in wenigen Jahren an den Rand des Abgrunds. Das ist sicher. Wir müssen das Bauschaffen deshalb von Grund auf neu denken.“
Infrastruktur und Bauen neu denken: Verantwortung aller Beteiligten
Das Bauen neu denken war auch das Stichwort für die Podiumsdiskussion, die erstmals am Kolloquium zwischen Entscheidungsträger:innen aus Industrie, Bau und Infrastruktur stattfand. Martin Hrunek von den Wiener Linien, Andreas Fromm von der Asfinag, Berthold Kren von Holcim Österreich und Helmut Leibinger von Net Zero Emission Labs diskutierten mit Werner Sobek die Rolle der Infrastruktur und Visionen für das Bauen der Zukunft. Martin Hrunek, Abteilungsleiter für die Infrastruktur-Großprojekte der Wiener Linien: „Als Wiener Linien wollen wir dort, wo es möglich ist, noch nachhaltiger werden. Schon jetzt sind jeden Tag 2 Millionen Menschen mit U-Bahn, Bus und Bim in Wien klimafreundlich unterwegs. Ich bin aber davon überzeugt, dass weitere normative und unterstützende Regelwerke den Prozess der Ökologisierung beschleunigen könnten. Der Einsatz von Recyclingmaterialien muss noch stärker gefördert werden. Hier braucht es weitere Entwicklungsarbeit wie etwa im Bereich Recycling-Beton sowie wie Normungsarbeit, um einen rechtlich einwandfreien Rückhalt bei Ausschreibung und Einsatz von recycelten Materialien zu haben.“
Andreas Fromm, Geschäftsführer der Asfinag Bau Management GmbH, erläuterte die hohen Ansprüche der Asfinag in puncto Nachhaltigkeit: „Natürlich ist das klimafreundlichste Bauprojekt jenes, das gar nicht erst umgesetzt wird. Nachhaltig wirtschaften bedeutet aber auch, die uns bereits zur Verfügung stehenden Infrastrukturen möglichst lange zu nutzen und weiter zu erhalten. Dafür werden wir auch weiterhin auf bewährte langlebige Baustoffe wie Beton setzen. Und wir arbeiten täglich daran, diese so klimafreundlich wie möglich einzusetzen und die CO2-Bilanz kontinuierlich zu reduzieren.“
Welchen Beitrag die Industrie bereits leistet, erklärte Berthold Kren, CEO Holcim Central Europe und Präsident der VÖZ: „Österreich ist das Land, in dem die Klinkerherstellung beim Ausstieg aus fossilen Brennstoffen am weitesten fortgeschritten ist. Wir treiben den Fortschritt mit neuen Baustoffen, Bauteilaktivierung und reduziertem Einsatz von Beton in neuen Bauweisen. Wir meinen es ernst mit dem Wandel unserer Industrie in eine klimafitte Zukunft.“ Optimistisch blickte auch Helmut Leibinger, Geschäftsführer von Net Zero Emission Labs, in die Zukunft: „Null CO2 – das geht! Dieses Ziel erreichen wir nur gemeinsam. Wir sind mit unserer Forschungsarbeit schon sehr weit – erste Pilotprojekte zeigen das Erfolgspotential auf. Ich bin davon überzeugt, dass der Baustoff Beton das Fundament für eine grüne Zukunft ist“, so Leibinger. Net Zero Emission Labs GmbH agiert innerhalb der Rohrdorfer Unternehmensgruppe wie ein Start-up und hat mehr als 30 Mitarbeitende.
Forschungsprojekte treiben Dekarbonisierung von Zement an
Die Dekarbonisierung von Zement ist ein Thema, das in Zukunft immer relevanter wird. Die VÖZ sowie Smart Minerals GmbH setzen mit ihrer Forschung daher auf ein Konzept mit Perspektive. Anhand von drei Forschungsprojekten, die mit unterschiedlichen Ansätzen die Dekarbonisierung von Zement vorantreiben, zeigte Cornelia Bauer von der Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie gemeinsam mit Tanja Manninger von der Smart Minerals GmbH am Kolloquium beispielhaft, was bereits für eine nachhaltige Zukunft geleistet wird. „Im Projekt ,CarboRate´ wird das CO2-Aufnahmepotential von Beton auf verschiedene Arten ermittelt. Eine davon ist die natürliche Lagerung des aufbereiteten Betonbruchs in unterschiedlichen Fraktionen über die vier Jahre Projektlaufzeit. Weiters wird die forcierte Carbonatisierung von Betonbruch durch CO2-Begasung direkt im Abgasstrom eines Zementwerkes, am Ort der Entstehung, durchgeführt. Die zur Gänze carbonatisierten Brechsandfraktionen werden anschließend als Recyclingmaterial in Bauprodukten eingesetzt und die Auswirkungen auf die Produkteigenschaften untersucht.“, so Bauer.
Um die CO2-Bilanz von Zementen zu verbessern, werden Materialien untersucht, die den Portlandzementklinkergehalt senken. „Eine aussichtsreiche Option stellen getemperte Tone dar. Sie sind nicht nur weltweit in ausreichenden Mengen verfügbar, sondern können unter geeigneten Bedingungen einen großen Anteil des Klinkers ersetzen.“, erläuterte Manninger. Das Tempern erfolgt bei – im Vergleich zur Klinkerproduktion niedrigeren – Brenntemperaturen zwischen 550 und 950 °C. Mit diesem Projekt wird der Grundstein für die Verwendung von Zementen mit getemperten Tonen, auch als Ersatz herkömmlicher Zumahlstoffe (z.B. Flugasche), in Österreich gelegt.
Die Abfallrahmenrichtlinie der EU fordert, bis 2020 Recyclingquoten von 70 Prozent für Bau- und Abbruchabfälle zu erreichen. Das Projekt LeptoCalc trägt dazu bei. Bei der Zerkleinerung von Beton zur Wiederverwertung der groben Betonzuschläge fallen etwa 50 Prozent Feinanteile an, die derzeit nicht verwertet werden können. Ziel war daher, die Entwicklung eines Zementersatzstoffs, der aus Feinanteilen aus dem Betonrecycling besteht. Da Klinkerminerale in der Feinfraktion angereichert sind, wurde auch eine mögliche Festigkeitszunahme durch nicht-reagierte Klinkeranteile in der Recyclingfraktion untersucht.