Baustoffe : “Die Zementindustrie steht vor einer Revolution”

Berthold Kren Lafarge VÖZ

Die Zementindustrie steht am Kreuzungspunkt zwischen Problemen und Chancen. VÖZ-Chef Berthold Kren beschönigt bei den Problemen nichts, das macht ihn bei den Chancen umso glaubwürdiger.

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"Mit Energiepreis-Hedging kann man den Markt nicht schlagen"

Solid: Die Zementindustrie führt im Moment keine sehr leichte Existenz. Auf der anderen Seite gibt es Projekte, die ganz toll sind wie einen sehr, sehr großen mit Beton gebauten und bauteilaktivierten Bildungscampus in der Seestadt Aspern bei Wien. Und auf der anderen Seite gilt die Zementindustrie nicht nur, sondern ist auch eine der energieintensivsten und die Umwelt am meisten belastenden Industrien generell. Wie läuft's denn für Sie?

Berthold Kren:
Das Beispiel, das Sie gerade angeführt haben mit dem Bildungscampus, ist ein vielversprechender Blick in die Zukunft. Ich war schwer beeindruckt, dass man eine Schule für 1600 Schüler mit Betonkernaktivierung heizen und kühlen kann und das zu sehr, sehr geringen Kosten. Ute Schaller von der Magistratsdirektion hat uns ja gesagt: Im Prinzip belaufen sich die Heiz und Kühl-Kosten auf jene eines größeren älteren Einfamilienhauses. Das weist den Weg in die Zukunft. Das zeigt, was Beton alles kann. Das stimmt mich sehr positiv. Auf der anderen Seite: ja, wir sind Bestandteil der energieintensiven Industrie in Österreich und sehen uns mannigfaltigen Herausforderungen gegenüber. Wir reden bei den Strompreisen von einem Vielfachen von vor einem Jahr und von einem Zehnfachen von vor zwei Jahren. Das ist eine Preisentwicklung, die uns alle vor sehr, sehr große Aufgaben stellt.

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Kann man da mit einer Hedging-Strategie etwas erreichen?

Kren
: Wenn jemand glaubt, er kann mit Hedging den Markt schlagen, dann muss ich ihm leider widersprechen. Mit Hedging nimmt man Risiko heraus und das machen meines WIssens alle größeren Unternehmen. Das geht über eine gewisse Zeit. Aber wenn die aktuelle Energiesituation zu einer starken Preissteigerung führt, führt das auch bei den Forwards in der Regel sehr schnell zu Preissteigerungen. Also in die Zukunft gesehen trifft es jedes Unternehmen. Und dann birgt das natürlich auch Gefahren, denn bei so einer Überhitzung müssen die Preise natürlich auch irgendwann wieder umdrehen und wenn man dann bei zu hohen Preisen eingeloggt ist, hat das natürlich auch gegenteilige Wirkung.

Wir müssen da im Moment ganz schön Federn lassen, die Preise sind Wahnsinn. Da macht es theoretisch keinen Sinn, überhaupt noch die Mühlen anzuwerfen. Wenn man den allgemeinen Studien folgt, reden wir von Energiekosten, die einen Großteil des Verkaufspreises ausmachen. Vor einem oder vor zwei Jahren waren das noch 10 % des Verkaufspreises. in dem Ausmaß kann ich die Preise gar nicht erhöhen. Und so wie es im Moment aussieht, wird sich dieser Trend auch im nächsten Jahr fortsetzen. Es wird auch grundsätzlich jetzt spannend werden, wie sich die Bauwirtschaft entwickelt.

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Grundsätzlich haben wir ja bis jetzt vor diesem Energiepreisbust eine Stimmung gehabt: na ja, vielleicht gar nicht so schlecht, vielleicht erstrecken sich manche Projekte, vielleicht haben wir ein bisschen mehr Zeit und ein bisschen länger Beschäftigung. Aber die Frage ist, wo geht es jetzt hin und wer kann es dann noch zahlen?

Kren
: Wenn wir jetzt insgesamt die Kosten für Beton in einem Bauwerk anschauen, spielt sich das in einem sehr tiefem einstelligen Prozentbereich ab. Aber insgesamt muss man schon die Trends jetzt im Moment sehen. Zum einen kommt der soziale Wohnbau ob der gestiegenen Kosten beinahe zum Erliegen. Die neuen Finanzierungskriterien für Private erschwert die Kreditaufnahme und damit auch Neubauprojekte. Also auch aus diesem Titel erwarten wir Rückgänge. Vor nicht allzu langer Zeit hat ein Vorstand eines großen Bauunternehmens einmal gesagt Ja, die Mengen sind rückläufig, aber in einem bewältigbaren Ausmaß. Ich glaube, dass es sogar noch ein bisschen weiter zurückgeht. Aber ich bin nicht hier, um zu jammern. Wir haben so viele Aufgaben vor uns!

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Gibt es da jetzt vielleicht sogar ein Window of Opportunity, in der Qualität besser zu werden, wenn das mit der reinen Quantität nimmer geht?

Kren
: Ich glaube, dass die Zementindustrie vor einer Revolution steht. Als ich vor zwei Jahre gekommen bin, haben wir mit dem Thema Nachhaltige Baustoffe so richtig angefangen. Da hat es durchaus Stimmen gegeben, die meinten: wen interessiert das, das braucht man nicht und das macht keiner. Faktum ist: der Markt ist da und der Markt ist auch bereit. Der Kunde frägt immer mehr nach umweltfreundlicheren Produkten und der kleine Preisunterschied ist im Vergleich zu den Sprüngen durch die Energiepreise eigentlich Pipifax. Das heißt: Die gesamte Zementindustrie in Österreich arbeitet weiter an einem Portfolio im Zuge unserer CO2 Roadmap. Da ziehen auch alle an einem Strang. Es hilft ja nichts, wenn nur einer einen klimafreundlichen Zement anbietet.

Im Unterschied zu vielen anderen CEO's in der Baubranche, die meistens Wirtschafter sind, haben wir hier jetzt das Privileg, einen studierten Umwelttechniker vor uns zu haben. Was wissen Sie, was die Wirtschafter nicht wissen?


Kren
: Als Techniker freut es mich natürlich ganz besonders, dass ich hier meine Erfahrung einbringen kann. Ich sehe das aber jetzt nicht als so besonders. Wir sind alle bemüht, unsere Unternehmen durch momentan sehr unruhige Zeiten zu führen. Zu all den bis jetzt besprochenen Themen kommt ja noch der Fachkräftemangel. Uns fehlen Hände und Köpfe. Viele Leute wollen in einem anderen Arbeitsumfeld arbeiten und auch damit müssen wir uns auseinandersetzen und neue Möglichkeiten schaffen.

Ich glaube, dass die Zementindustrie vor einer Revolution steht. Der Markt ist da und der Markt ist auch bereit.
Berthold Kren

Wenn man jetzt ein bisschen den Teufel an die Wand malt, könnte man dann ja sagen: Na ja, warum machen wir es überhaupt? Die Energiepreise sind hoch, alles Mögliche ist schwierig, die Dekarbonisierung hat viele Ansätze aber jeder ist auf andere Weise ein bisschen kompliziert. Wir haben das Problem mit Fachkräften. Scheint so, als ob sich die Welt grad nicht ausgeht, oder?

Kren
: Man sollte das nicht zu sehr dramatisieren und pessimistisch werden. Ich glaube, was die vergangenen Jahre oder auch Jahrzehnte gezeigt haben, ist, dass wir gar nicht so schlecht sind darin, Krisen zu meistern. Und die größten Fortschritte geschehen meistens auch zu Zeiten von Krisen.

In der Zementindustrie sind andererseits die Innovationszyklen nicht die kürzesten. Es gibt so viele Ansätze von anderen Zusatzstoffen bis zu einer doch hoch komplexen Geschichte wie C2PAT in Schwechat oder Westküste100 in Deutschland. Aber irgendwie kommt es nicht wirklich oder nicht so schnell auf die Erde, wie es scheint. Wie sehen sie das?


Kren
: Also es gibt sehr, sehr, sehr viele Ansätze. Wir sind ja eigentlich nur Teil einer sehr großen Wertschöpfungskette, wenn wir die Bauwirtschaft insgesamt sehen. Ich glaube, das, was sich im Moment stark ändert, ist zum einen die Spanne der Kommunikation. Mittlerweile reden die Bauherren mit dem Baustoffhersteller, weil sie sich das und das erwarten. Das war vor noch nicht allzu langer Zeit unmöglich. Und da muss dann auch die Baufirma voll eingebunden sein. Und wir müssen gemeinsam überlegen, wohin die Reise geht, weil da noch sehr viel Potenzial drin ist. Tragwerkstechniker berichten etwa, dass man 30 bis 40 % Betonvolumen in einer Decke einsparen und trotzdem volle Funktionalität und Tragfähigkeit haben und Bauteile aktivieren auch noch kann. Das bedeutet um 30 oder 40 % weniger Material und wir fallen trotzdem nicht in Ohnmacht, denn es geht um Dekarbonisierung und die Lösungen der Zukunft. Dort müssen wir hin.

Es stimmt schon, die Innovationszyklen sind nicht rasend schnell, aber ich glaube, wir werden besser und schneller, weil das gemeinsame Verständnis zunimmt, das das nur gemeinsam zu bewältigen ist und dass sich dann für alle die Situation zum Besseren wendet. Früher war das vielleicht so, dass wir noch viel mehr in Silos gedacht haben: die einen wollen ja nur mehr Zement verkaufen und die anderen wollen uns ins Geschäft reden usw. Überhaupt nicht! Also ich glaube, dass die Erkenntnis, dass wir mehr fachübergreifend und auch von der Lieferkette übergreifend reden und zusammenarbeiten müssen, schon langsam einsetzt und das wird auch die Innovationszyklen weiter beschleunigen und befeuern. Und es gibt Innovation, man sieht sie überall.

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Mit konventioneller Technologien sind wir recht gut in der Dekarbonisierung, aber dann kommt noch ein großer Batzen.
Berthold Kren

Wenn man sich die Strategiepapiere der EU-Kommission anschaut, dann steht dort eigentlich so in Summe: Es wird bald nur mehr zehn Prozent oder weniger Neubau geben. Aber da muss sich die gesamte Bauwirtschaft extrem verändern?

Kren
: Deswegen sage ich ja: Wir stehen alle an der Schwelle einer Revolution. Die Dekarbonisierung wird uns dazu zwingen, in anderen Schienen zu denken und es wird schon extrem herausfordernd. Da geht es nicht nur um Gewinn und Umsatz, sondern auch wirklich um physikalische Grenzen, die, die man verschieben muss und wo man neue Sachen ausprobieren und erforschen muss. Man muss neue Produktionsprozesse finden, andere Rezepturen, andere mineralische Komponenten. Bis jetzt gibt es da noch noch keinen Stein der der Weisen, bei dem dann einfach sagen könnte: fertig, Problem gelöst, gehen wir zum nächsten.

Besteht nicht die Gefahr, dass wir hier in Europa eine Qualitätsblase schaffen?


Kren
: Wenn wir in Österreich unseren CO2-Fußabdruck in der Zementindustrie zum Beispiel um 30 Kilogramm reduzieren, ist das technisch schon eine ziemliche Leistung. In der globalen CO2-Bilanz mag das nur eine kleine Rolle spielen, auf der anderen Seite stimmt aber auch, dass wir eines der reichsten Länder Europas sind und einen extrem hohen CO2-Fußabdruck haben. Und der ist zu reduzieren. Punkt. Aus. Im Vergleich zum Fußabdruck eines Inders oder eines Chinesen sind wir so weit weg. Also wir haben eine Verpflichtung, das zu tun.

Wie weit sind wir und wie weit kommen wir bei der Dekarbonisierung?


Kren: Wir haben einen ziemlich guten Pfad mit konventionellen Technologien, wie wir die Dekarbonisierung bis zu einem gewissen Punkt vorantreiben. Wir reden da von circa der Hälfte der Emissionen, also nach unseren Berechnungen ganz genau 52 %. Und danach kommt ein großer Batzen und da geht es dann wirklich ans Eingemachte. Da müssen wir dann schauen, wie wir das CO2 aus dem Prozess herausbekommen und da reden wir dann wirklich von Break Through Technologien. Es gibt viele Ansätze, aber noch nichts, was man anfassen kann, leider. Im Labor-Maßstab ja, aber noch nichts im großen Stil. Aber es werden bald die ersten Anlagen entstehen und da bin ich eigentlich ganz guter Dinge, dass wir auch da die eine oder andere Lösung zusammenbringen.

Es gibt viele Ansätze, aber noch nichts, was man anfassen kann, leider. Aber ich bin optimistisch und die ersten Anlagen entstehen bereits.
Berthold Kren

Berthold Kren im Gespräch mit SOLID-Chefredakteur Thomas Pöll

- © WEKA IM

Was heißt das im Detail?

Kren
: Alle großen Hersteller haben mittlerweile eine ganz klare und dezidierte Roadmap und Projekte. Im Prinzip lässt sich das im Moment auf eine Handvoll Technologien reduzieren, die man untersucht, beginnend bei der Abscheidung des CO2. Eine nennt sich Oxy Fuel, wo man versucht, in der Verbrennung mit reinem Sauerstoff zu fahren. Das braucht natürlich Energie, um dann um den Sauerstoff zu erzeugen. Damit konzentriere ich das CO2 im Prozess weiter, das ich dann leichter abscheiden und zum Beispiel verflüssigen und weiterverarbeiten kann. Es gibt aber auch andere Technologien wie Kryo Capture, wo man durch Abkühlung das CO2 übernimmt. Die großen und im Moment von den Europäischen Union extrem stark geförderten Dinge sind Carbon Capture Storage Lösungen. Das heißt, man geht dann mit dem CO2 in den Untergrund. Das spielt sich vor allem in den Küstenregionen und in der Nordsee ab. Da werden wir in den nächsten ein, zwei Jahren die ersten Projekte sehen, wo dann schon mehrere Hunderttausende Tonnen CO2 in die alten Ölvorkommen verpresst werden. Bei uns ist das gesetzlich noch nicht möglich oder nicht möglich. Ich glaube schon, dass man zumindest einmal darüber diskutieren sollte, da es im Moment die die schnellste kurzfristige Lösung darstellt, aber es ist keine langfristige Lösung für mich, denn letztendlich verpresst man etwas im Boden, bis die Lagerstätten voll sind und dann hat man dasselbe Problem wie vorher. Da gibt es natürlich Leute, die einem vorrechnen, es sind so und so viele Lagerstätten, also bleibt so und so viel kann man unterbringen. Das geht sich alles locker aus für ich weiß nicht wie viele Jahre. Ich glaube, man muss das weiter voranschreiten.

Und zwar wie?


Kren: Ich glaube, dass die Carbon Capture und Utility Lösung mittel- und langfristig die Zukunft ist. Das Problem ist, dass die Technologie im Moment sehr, sehr teuer und im großen Maßstab noch nicht erprobt ist. Wir haben mit unserem Projekt Carbon to Product Austria versucht, eine Versuchsanlage zu initiieren. Wir arbeiten daran, haben aber im Moment eine Phase, in der zum einen die Kosten explodiert sind, weil alles teurer geworden ist und wir zum anderen zwei Mal beim Innovation Fund in Europa nicht zum Zug gekommen sind, weil die Anlage zu klein ist. Wir haben in den technischen Kategorien überall Höchstwerte erzielt, das wurde uns auch von der Kommission beschieden und da bin ich sehr stolz auf unsere Teams. Aber in der Ratio mit Riesenprojekten wie in Deutschland schneiden wir natürlich furchtbar schlecht ab. Und wenn man nicht überall top Werte hat, gewinnt man nicht einmal eine Kokosnuss. Von der österreichischen Bundesregierung haben wir übrigens sehr viel Unterstützung bekommen und dafür möchte ich mich auch herzlich bedanken, das ist nicht selbstverständlich. Also, es glauben alle fest an uns, aber wir mussten jetzt einen Schritt zurück machen und wir sind wieder in die Konzeption gegangen und werden uns im Herbst mit OMV/Borealis und dem Verbund wieder hinsetzen und dann beschließen, wie wir weitermachen. Es gibt aber schon einen Ansatz, direkt auf eine große Lösung zu gehen. Da wird sich aber das Zusammenspiel ein bisschen anders ergeben. Man muss ja auch aufpassen, dass man von der Technologieentwicklung nicht überholt wird.