Sportstättenbau | Architektur | Gastbeitrag : Wien braucht fix ein neues Stadion

VIENNA, AUSTRIA - JUNE 05, 2017: The outside of Ernst Happel Stadium on blue sky background

Das schwer in die Jahre gekommene Ernst Happel Stadion im Wiener Prater ist seit Jahren Thema großer Diskussionen rund um einen möglichen Neubau.

- © unclepodger - stock.adobe.com

Zu wenig Fan Experience und VIP-Plätze

Das Ernst Happel Stadion ist heute eine infrastrukturell hochwertig angeschlossene Immobilie mit gemischter Nutzung im Eigentum der Stadt Wien und ein Bauwerk mit erheblichem Fußabdruck. Eine Diskussion über die Zukunft des Stadions sollte aus meiner Sicht eine vielschichtige Analyse als Grundlage haben und keinesfalls den als fan experience bezeichnete emotionalen Erlebniswert für alle Nutzersphären wie Akteure, Fans aller Gruppierungen und Bedürfnissen, Presse und Offizielle aussparen.

Sportimmobilien ist die Tatsache eines kurzen Adaptionszyklus immanent. Somit ist auch davon auszugehen, dass in das Wiener Stadion jährlich erhebliche Mittel fließen. Mit dem heutigen Fassungsvermögen der Arena von guten 50.000 Sitzplätzen bei Fußball und 54.000 Plätzen (Rasen und Tribüne) bei Konzerten und 900 VIP Plätzen ist das Ernst-Happel-Stadion das größte Stadion Österreichs, allerdings weist es gleichzeitig die geringste Anzahl an VIP Plätzen gemessen an der Gesamtkapazität auf.

Zum Vergleich: Die Linzer Raiffeisenarena weist fünf mal mehr Gastro- und gehobene Zuschauerplätze auf als das Ernst Happel Stadion – heute ein wesentlicher Faktor zur Erhaltung und Refinanzierung des Stadions auch außerhalb der eigentlichen Veranstaltungen auf dem Rasen.

Harald Fux beim Gespräch mit Solid, aus dem heraus dieser Artikel entstand.

Das Konzept Zweckbau ist veraltet

Das Ernst Happel Stadion, früher Praterstadion, wurde 1931 im Wiener Prater als Teil einer großen polysportiven Anlage eröffnet und eigentlich für die Abhaltung der Arbeiterolympiade 1931, zu der Arbeiter aus Niederösterreich und Wien antraten, erbaut. Keine der weiteren Sportanalgen sind heute noch in der ursprünglichen Form erhalten – weder die ursprünglich offene Radrennbahn, das Stadionbad noch die Trabrennbahn.

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Die ursprünglich zweirangige nach außen durch eine funktionale Fassade geschlossene Stahlbetonmassivkonstruktion des Stadions wurde mittlerweile bereits durchgreifend bestandsgetreu erneuert und mit UEFA-konformen Sitzplätzen ausgestattet, ein dritter Sitzplatzrang, eine fast umlaufende Büromantelnutzung (derzeitige Nutzer ist die Stadt selbst sowie der österreichische Fußballverband) sowie eine vollflächige Überdachung der Tribünen im Laufe des 20. Jahrhunderts ergänzt. Mit Ausnahme des höchst filigranen weithin sichtbaren Daches weist das Stadion heute keine besonderen architektonischen Qualitäten auf und war wohl auch immer als „Zweckbau“ betrachtet worden. Diese Ansicht ist freilich veraltet.

An den Missbrauch des Stadions in den Kriegsjahren des zweiten Weltkrieges und die vom Stadion ausgehenden Deportationen Wiener Juden erinnert heute eine Gedenktafel.

Zuletzt hat das Stadion im Zuge der EURO 2008 einen größeren kostenintensiven Sanierungsschub - zum selben Budget wurden anderorts Stadien für 32.000 Zuschauer brutto errichtet - insbesondere einen VIP Club mit 900 Personen, erhalten. Selbstredend wurde es laufend instandgehalten und gewartet, sodass die Stadt Wien in diesen Tagen mit einigem Stolz eine nicht weiter präzisierte weitere Gebrauchstauglichkeit von 3- bis 4 Dekaden (!) in Aussicht stellen kann. Aktuell wurden die Umsetzung einer Photovoltaikanlage, die das Stadion und die umgebenden Sportanlagen energieautark machen soll und die Prüfung der Umsetzung eines schließbaren Daches, sowie der Abschluss einer vermutlich detaillierteren, Substanzanalyse projektiert.

Von weiteren durchgreifenden baulichen, funktionalen und technischen Verbesserungen bzw. Abänderungen im Stadion ist derzeit nichts bekannt bzw. geplant und der bauliche Bestand steht großen Veränderungen auch leider im Weg.

Harald Fux war auch federführend an Planung und Bau der neuen Raiffeisen Arena in Linz beteiligt.

- © Oberndorfer

Typologie und die Bedeutung der Laufbahn und des Daches

Es gilt neben der historischen Bedeutung auch die funktionale Tauglichkeit im Sinne der Nutzungen Sport und Verwaltung sowie die Nachhaltigkeit im Hinblick auf die Gebrauchstauglichkeit und -funktionalität der Nutzungen wie auch des Energie- und Ressourcenverbrauches zu beleuchten.

Die ursprüngliche Typologie des Stadions als multisportive geschlossene Arena für alle Disziplinen der Leichtathletik wie für die Fußballnutzung im infield entspricht der üblichen sportlichen Codierung der Erbauungszeit. Beide Disziplinen verzeichneten in der 1930er Jahren erhebliches Zuschauerinteresse. Seit der Nachkriegszeit fanden allerdings keine nennenswerten Leichtathletikbegegnungen im Stadion mehr statt, sondern wird es heute für die internationale Begegnungen im Fußball, kulturelle Veranstaltungen, insbesondere Konzerte genutzt.

Der später eingebauten Überdachung des Stadions, einer beachtlichen Leistung der Konstrukteure und Ausführenden, kommt heute zentrale Bedeutung zu. Einerseits deckt es die Zuschauerplätze des Bestandes ab und stellt somit den internationalen Mindeststandard dar, allerdings wird es bereits heute aufwändig technisch überwacht und ist kaum erweiterbar, was einen Umbau der Tribüne und Überbauung der Laufbahn unmöglich macht.

Ob die Qualität der Überdachung für eine Unterschutzstellung gemäß Denkmalschutzgesetz ausreicht, wird zu klären sein. Jedenfalls sollte die Frage des Denkmalschutzes geklärt werden und nicht als KO Kriterium für den unbedingten Erhalt herangezogen werden, insbesondere weil ein Unterschutzstellungsbescheid nicht vorliegt.

Heute muss das Stadion gerade aufgrund der Laufbahn als völlig ungeeignet für attraktive Fußballveranstaltungen angesehen werden – die mangelnde und veraltete Versorgung der Zuschauer mit sanitärer Infrastruktur und Verpflegungseinrichtungen und die die Sicht verstellenden Erschließungstreppen vom ersten auf den zweiten Rang, die im internationalen Vergleich zu wenig steil sind, sind weitere Punkte, die Zuschauer heute zu Recht kritisieren.

Die Wege der Zuschauer sind so veraltet angelegt, dass auch die heute übliche Digitalisieung der Bestellungen nicht verbessernd wirken wird. Es ist schlicht und ergreifend kein Platz da für Verbesserungen der fan experience, die einer Erhöhung der Verkaufspunkte wie auch Platz zur Einnahme von Speis und Trank dringend erfordert.

Das Stadion als urbaner Katalysator mit Bildungsauftrag

Hinzu kommt, dass wir nahezu alles, was wir heute in einem Stadion transportieren wollen, im derzeitigen Gebäude nicht transportieren können. In jedem Fall ist ein Stadion ein öffentliches Gebäude, das auch entsprechende gesellschaftliche Funktionen und Aufgaben zu erfüllen hat.

Im Stadion zeigen wir – plakativ ausgedrückt –, wie wir einander in der Gesellschaft sozial und wertschätzend begegnen wollen, gemeinsam feiern und einen sportlichen Wettkampf austragen wollen. Bauliche Strukturen tragen hier einen wesentlichen Faktor in der Sozialisierung der Zuschauer und Spieler bei und repräsentieren unser gesellschaftliches Bild.

Der sich laufend verändernde Sport mit zahlreichen neuen, auch olympischen Sportarten, erfordert zudem andere bauliche Konzepte und vor allem Orte für Training und Veranstaltung. Wenn im Jahr 2024 gleich mehrere Events in Wien auf Heimatsuche sind und hierfür die bisher für temporäre (Sport-)Ereignisse genutzte Plätze Mangelware sind, so spiegelt das im Kleinen die Tatsache wieder, dass seit 2022 wesentliche Groß-Sportereignisse wieder in Zentraleuropa stattfinden, wider.

Lösungsansätze und business case(s)

Tottenham in London mit Baukosten von einer Milliarde Euro, Bernabeu Madrid und Camp Nou Barcelona, aber allen voran die Stadien in Los Angeles, Las Vegas und Atlanta rufen Bausummen auf, die auf den ersten Blick astronomisch und wirtschaftlich undarstellbar scheinen. Dennoch sollten Elemente und learnings aus diesen Stadien skaliert und für Wien entsprechend interpretiert werden.

Die jüngst ins Spiel gebrachte Überdachung des Stadions ist schon ein Hinweis dafür, dass schon (zögerlich) weitergedacht wird. Es wird nur mit der bestehenden Struktur des Daches nicht funktionieren. Jegliche neuen Investitionen, auch die den Klimazielen der Stadt Wien entsprechende Investition in PV Module, sollte angesichts des unzureichenden Bestandsbaus gut überlegt und aus meiner Sicht hintangestellt werden.

Denn Wien braucht ein neues Stadion.

Und klar ist, dass Wien kein Stadion für die Fußball-Länderspiele alleine braucht - somit ist auch die Ausgestaltung des Rasens als temporär bzw. beweglich zu diskutieren – das funktioniert in Amsterdam bereits prächtig und auch die Stadien in London und Madrid haben fahrbare Rasenlösungen entwickelt, die darunter etwa einen Kunstrasen oder neutrale Oberfläche zur Nutzung freigeben.

Wien braucht ein Stadion, das als destination und Platz für hospitality konzipiert ist. Als Weltstadt heißen wir Gäste in der Stadt wie auch im Stadion willkommen und wollen, das es Ihnen gut geht.

Ganzjährige Nutzungen von klein bis groß müssen genauso etabliert werden, wie flankierende Mantelnutzungen, die täglich frequentiert werden und als Anziehungspunkt für die Bewohner der Stadt konzipiert sind. Dies ohne den sportlichen Charakter des Ortes zu verlieren.

Hierfür ist es erforderlich, einen breit angelegten Denk- und Planungsprozess zu implementieren, der Potentiale und Defizite erhebt und bewertet und in einen business case umwandelbar ist, der – wie international längst üblich - mit entsprechenden Partnern aus Sport, Kultur und Tourismus umgesetzt werden kann. Das heißt auch, internationale Vorbilder zu prüfen und nachhaltig im Sinne möglicher Nutzungen und Bedarfe einer wachsenden Metropole zu denken, jedoch nicht einfach zu kopieren.

Die Aufgabe ist hochkomplex, aber lösbar – eine mittelfristige Perspektive wird auch durch die Bewohner der Stadt und ganz Österreich erwartet.