Executive Talk mit Top-Managern der Baubranche : Plädoyer für ein Bauministerium

Angeregte Diskussionen über die Zukunft der Baubranche wurden beim Executive Talk geführt.
- © Thomas TopfGipfeltreffen im 15. Stock des Canetti Tower in Wien: Auf Einladung von Horvath & Partner Management Consulting und SOLID trafen die Spitzen der heimischen Baubranche zum Executive Talk zusammen. Bestimmendes Thema dabei: die derzeitige und zu erwartende Branchenkonjunktur, deren Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft und die Erwartungen an die Politik, die sich aus dieser Gemengelage ergeben.
Der „größte Pferdefuß des Jahres 2024“ steht für Michael Wardian fest: „Mit der KIM-Verordnung wurde der Wohnbau praktisch lahmgelegt.“ Erlassen wurde die Kreditinstitute-Immobilienfinanzierungsmaßnahmen-Verordnung – so der volle Name – im August 2022. Gemäß den Bestimmungen ist ein Eigenmittelanteil von mindestens 20 Prozent für Kredite erforderlich. Immobilienkredite dürfen zudem nicht länger als 35 Jahre laufen, die Rückzahlungsrate darf 40 Prozent des verfügbaren Nettohaushaltseinkommens nicht übersteigen.
Seit 2024 wurden geringfügige Lockerungen bei den Bestimmungen der Verordnung eingeführt. Das Grundproblem bleibt jedoch bestehen, so der Geschäftsführer der Kirchdorfer Gruppe und der Kirchdorfer Fertigteilholding: „Die Zeit der Niedrigst-Zinssätze ist längst vorüber. Die Besachwaltung der Banken durch die KIM-Verordnung erschwert die Kreditvergabe und gerät damit zu einer der großen Herausforderungen im Hochbau.“ Ein weiterer Effekt: „Dass die Kapazitäten in diesem Bereich nicht ausgelastet sind, hat zu einer Preisspirale geführt. Die Krise im Wohnbau hat damit eine doppelt negative Auswirkung auf die Branche.“
Hoffnung auf Zinssenkungen
Klemens Eiter sieht eine unheilvolle Kombination aus Zinsanstiegen und Inflation am Werk. „Nicht zuletzt der Anstieg der Energiepreise hat die Inflation angefeuert, die wiederum zu hohen Lohnsteigerungen geführt hat“, so der CFO der Porr AG.
Die Finanzierung wird damit insgesamt zu einem Riesenthema. „So manchen Projektentwickler bringt die gegenwärtige Situation an den Rand der Überlebensfähigkeit. Überspitzt gesagt, wurden Projekte in der Vergangenheit schrankenlos finanziert. Dafür hat sich die Situation nun ins Gegenteil verkehrt: Es gibt überhaupt kein Geld mehr und bei jeder Verlängerung wird das Volumen gekürzt.“ Eine Zwickmühle, angesichts derer so mancher Developer in Sachen Finanzierung bei den Baufirmen vorstellig wird.
Der Finanz- und Kapitalmarkt-Experte hofft auf weitere Zinsschritte nach unten. „Die Europäische Zentralbank orientiert sich diesbezüglich an der US-amerikanischen Fed. Wenn die Prognosen eintreffen, sollte es auf zwei bis 2,5 Prozent hinuntergehen.“
So manchen Projektentwickler bringt die gegenwärtige Situation an den Rand der Überlebensfähigkeit.Klemens Eiter, Porr
Die Margen müssen steigen
„Große Unternehmen, die divers aufgestellt sind, tun sich derzeit etwas leichter“, sagt Hubert Wetschnig. „Wer nur im Hochbau unterwegs ist oder gar auf den Bau von Einfamilienhäusern spezialisiert ist, hat momentan ein Riesenproblem.“
Das führt zu einer Entwicklung, die wiederum die gesamte Branche betrifft, wie der Geschäftsführer der Habau Hoch- und Tiefbaugesellschaft sowie CEO der Habau Group beobachtet: „Firmen, deren Nachfrage wegbricht, experimentieren auf anderen Betätigungsfeldern, mit denen sie bislang keine Erfahrungen hatten.“ Soll heißen: Reine Wohnbauunternehmen engagieren sich im Infrastruktur- oder beispielsweise im Glasfaserausbau.
Die Folge: Die Margen sinken nicht nur im Hochbau, sondern auch in der Infrastruktur. „Dadurch erzielen wir in letzterem Bereich schlechtere Preise als notwendig.“ Anerkennend weist Wetschnig auf die Strabag-Zielsetzung einer EBIT-Marge von sechs Prozent bis 2030 hin. „Das würde ich auch unterschreiben. Im Verhältnis zum Risiko, das wir eingehen, und zu den beträchtlichen Investitionen, die wir tätigen, bewegen wir uns in der Baubranche unter der Gürtellinie.“
Ein Stolperstein des laufenden Jahres waren zudem Zahlungsausfälle und Konkurse bei Kunden wie bei Partnern. „Die großen Pleiten des Jahres 2024 muss ich wohl kaum eigens in Erinnerung rufen. Aber auch bei Partnern wie Lieferanten, Subunternehmern und anderen Professionisten hatten wir vermehrt Ausfälle.“
Wenn Developer und Subunternehmen wegfallen, werden sich die Geschäftsmodelle in der Baubranche wandeln.Stefan Bergsmann, Horvath & Partner Management Consulting
Klein und groß
Zwei Punkte der Ausführungen des Habau-Chefs greift Stefan Bergsmann auf. Der Geschäftsführer von Horvath & Partner Management Consulting und Gastgeber des Executive Talk sieht für die Zukunft möglicherweise einen Wandel der Geschäftsmodelle auf die Branche zukommen: „Wenn Developer und Subunternehmen wegfallen, müssen diese Dinge künftig anders organisiert werden.“
Einen riesigen Unterschied ortet er auch bei der Ausgangslage großer und kleiner Baubetriebe: „Die Situation ist generell schwierig, aber besonders herausfordernd für kleinere Gewerbebetriebe. Damit ergeben sich für die Großen freilich auch Chancen, Marktanteile dazuzugewinnen.“
Explosion der Mietkosten?
Peter Krammer stimmt in den allgemeinen Tenor ein: „Materialkosten, Grundstückspreise, Löhne, Energiepreise und Zinsen sind über Jahre gestiegen.“ Damit sei die Projektentwicklung ins Stocken geraten.
Was dem Swietelsky-Vorstandsvorsitzenden zusätzlich Sorge bereitet: „Es kommt nichts mehr nach. Die Baugenehmigungen haben sich ebenso halbiert wie die Baubeginnsanzeigen. Das spüren wir jetzt schon.“
Zu spüren bekommen werden das auch die Mieterinnen und Mieter: „Die Baupreise mögen gesunken sein, weil die Nachfrage geringer ist als das Angebot. Die Mietpreise werden aber erst so richtig anziehen, einfach weil keine Projekte mehr nachkommen.“ Krammer ist daher im Einklang mit den Wohnbaugenossenschaften, wenn er fordert, dass in den Wohnbau wieder mehr investiert werden muss.
Wir müssen endlich die Problematik der hohen Lohnnebenkosten und den Bürokratieabbau in Österreich angehen.Stefan Graf, Leyrer + Graf
Genehmigungen beschleunigen
„Wirtschaft ist Psychologie“, meint Stefan Graf. Die Zinsschritte unter die 4-Prozent-Schwelle seien daher auch psychologisch wichtig gewesen. EZB-Chefvolkswirt Philip Lane stellte im Zuge dessen weitere Zinssenkungen in Aussicht.
„Die allgemeine Verunsicherung geht mittlerweile über den Wohnbau hinaus“, stellt der geschäftsführende Gesellschafter und CEO von Leyrer + Graf mit Blick auf die Industrie fest. „Die hohen Lohnabschlüsse haben zu einer Steigerung der Lohnstückkosten und damit zu einer verminderten Wettbewerbsfähigkeit geführt. Da kommt noch etwas auf uns zu.“
Zumindest „diskussionswürdig“ sei die Wirtschaftspolitik der Europäischen Union. „So manche der Vorgaben sind Gift für die exportorientierte Industrie hierzulande, für die wir als Branche wiederum regional bauen.“
Im Frühjahr wurde seitens der heimischen Regierung ein Konjunkturpaket für Wohnbau in der Höhe von 2 Milliarden Euro beschlossen. Davon merkt man nicht viel: „Pakete, die angekündigt werden, müssen in Gesetze gegossen werden. Und wenn sie dann beschlossen sind, müssen sie im Markt ankommen. Dazwischen vergeht Zeit.“
Für zielführender hält es Stefan Graf, endlich die Problematik der hohen Lohnnebenkosten und den Bürokratieabbau in Österreich anzugehen. „Genehmigungen müssen schneller erteilt werden. Wenn beispielsweise UVP-Verfahren den erforderlichen Ausbau der Energieinfrastruktur verlangsamen oder gar verhindern, bauen sich systemische Widersprüche auf, die dringend ausgeräumt werden müssen.“
Der Bedarf ist gewaltig
An dieses Thema knüpfen sich auch die großen Hoffnungen der Baumanager. „Die Zukunft der Branche ist rosig“, erklärt Krammer. Ein durchaus überraschender Befund nach der Erörterung der drückenden Problemstellungen der Gegenwart.
„Österreich und die EU haben sich Ziele auf dem Weg zur Klimaneutralität gesetzt. 38 Prozent der CO2-Emissionen kommen aus der Bauindustrie, drei Viertel davon aus dem Gebäudebestand.“ Hier gibt es damit auf absehbare Zeit viel zu tun.
„Die Branche ist in der glücklichen Situation, dass es einen gewaltigen Bedarf gibt, sei es bei der Schaffung von Wohnraum, beim Ausbau der Infrastruktur oder im Bereich der Energiesysteme“, stimmt Horvath-Berater Bergsmann zu. „Was uns bremst, ist vor allem ein Finanzierungs- und mehr noch ein Genehmigungsproblem.“ Eine mögliche Lösung des Letzteren könnte darin bestehen, Projekte, die zum Klimaschutz und zur Energiewende beitragen, beschleunigt zu bewilligen.
Ein Ministerium für den Bau
Eine der wichtigsten Forderungen für Swietelsky-Manager Krammer ist daher jene nach einem Ministerium für Wohn- und Infrastrukturbau. „Was wir dringend benötigen, sind Vereinheitlichungen und Vereinfachungen. Damit sich endlich etwas bewegt, müssen wir gemeinsam für ein solches Ministerium kämpfen.“
Ein Anliegen, für das sich auch Stefan Graf in die Bresche wirft: „In Niederösterreich generiert die Bauwirtschaft einen Anteil von elf Prozent der Wertschöpfung.“ Ein Wirtschaftszweig mit dieser Bedeutung vertrage jedenfalls ein Ministerium, zumal dem Bau beim Wandel des Energiesystems eine zentrale Rolle zukommt.
„Bis 2040 soll sich der Strombedarf verdoppeln und die installierte erneuerbare Erzeugungsleistung verdreifachen“, weist Porr-CFO Klemens Eiter auf die Stromstrategie 2040 der heimischen Energiewirtschaft hin. Allein das Versorgungsunternehmen Verbund werde in diesem Jahrzehnt mehr als 15 Milliarden Euro in Netze, Erzeugung und Speicher investieren. „Eine riesige Summe und gewaltige Ausbauziele. Man fragt sich, wie das überhaupt gehen soll.“
Graf berichtet in diesem Zusammenhang von einem aktuellen Projekt: „Dabei handelt es sich um ein Umspannwerk für Ökostrom aus Wasserkraft, das aufgrund des dafür notwendigen Leitungsbaus fast am UVP-Verfahren gescheitert wäre. Mit Hinsicht‘l und Rücksicht‘l auf gut österreichische Art wird die Energiewende nicht zu bewältigen sein.“
Lichtblicke für die Branche
Auch in anderen Bereichen stehen in Zukunft große Investitionen im Sinne der Nachhaltigkeit an. Habau-Geschäftsführer Wetschnig verweist auf aktuelle Forderungen der Politik in Deutschland. „Für die Kernsanierung der Deutschen Bahn wurde ein Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren gefordert. Wenn auch nur die Hälfte davon kommt, geht das an die Grenze unser aller Kapazität.“ Im Leitungs- und Pipeline-Bau etwa sei die Habau-Gruppe schon jetzt bis Ende des kommenden Jahres komplett ausgelastet.
Kirchdorfer-Chef Wardian wiederum stimmt der Image-Zuwachs im Bereich des mineralischen Wohnbaus positiv: „Die Hochwasserkatastrophe des heurigen Jahres hat bedauerlicherweise ganze Landstriche stark in Mitleidenschaft gezogen und zu Totalschäden bei Wohnhäusern geführt.“ Deutlich zu merken sei jedoch auch der dadurch ausgelöste Sinneswandel: „Man hat gesehen, dass widerstandsfähig gebaut werden muss. Der mineralische Bau ist besser für Hochwasser und Feuer gerüstet. Langlebigkeit bei Starkwetterereignissen ist eine wesentliche Form der Nachhaltigkeit. Das wird auch ein Thema für die Versicherungen. Letztlich muss man den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes betrachten.“
Gut investiertes Geld
Freude hat Klemens Eiter mit den Entwicklungen seines Unternehmens im Tiefbau wie im Infrastrukturbau. „In Summe haben wir hier in Österreich höhere Auftragsbestände als noch 2023. Auch die Auftragseingänge im dritten Quartal sind gegenüber Vorjahr deutlich gestiegen.“ Kräftig dazu beitragen hat freilich die nun auslaufende Gemeinde-Milliarde.
An die künftige Regierung gerichtet, hält Peter Krammer fest: „Jeder Euro, der in die Bauindustrie geht, bringt – je nach Betrachtung – zwei Euro bis 2,50 Euro an Wertschöpfung. Das Geld, das in Hochbau und Tiefbau, Energie-, Schienen- und Straßeninfrastruktur investiert wird, zahlt sich damit gleich doppelt aus.“ Ein Weckruf an die Politik, den Berater Stefan Bergsmann unterstreicht und entsprechend abwandelt: „Jeder Euro, der in den Wohnbau investiert wird, ist ein Beitrag zur Wiederwahl.“