Vergaberecht : Mitwirkung von Bietern in der Angebotsphase & Co.: was "darf" ein Zuschlagskriterium?
Offenlegung von "Claim-Potenzial" ist Ziel
Bei der Gestaltung der Zuschlagskriterien haben öffentliche Auftraggeber großen Spielraum. Einige Grundregeln sind aber einzuhalten. In einzelnen Ausschreibungen finden sich Zuschlagskriterien, die auf ein Verhalten der Bieter in der Angebotsphase abstellen.
Damit ist offenbar die frühzeitige Offenlegung von "Claim-Potenzial" durch die Bieterseite selbst bezweckt. Zweifel an der Zulässigkeit derartiger Regelungen sind durchaus berechtigt.
Wunsch berechtigt, aber Umsetzung vergaberechtskonform?
In einer kürzlich erfolgten Ausschreibung der Asfinag findet sich ein als "Mitwirkung in der Angebotsphase" bezeichnetes Zuschlagskriterium. Punkte erhält dabei, wer während der Angebotsfrist auf Unvollständigkeiten bzw. Unstimmigkeiten in den Ausschreibungsunterlagen hinweist. Beispielhaft genannt werden dazu
fehlende Positionen und falsche Mengenangaben. Voraussetzung dafür, dass Bieter
Punkte erhalten, ist u.a., dass die Hinweise tatsächlich zu einer Berichtigung führen und rechtzeitig vor Ablauf der Angebotsfrist eingehen.
Die konkrete Regelung ist wesentlich detaillierter. Für die hier zu behandelnde
Fragestellung sollen jedoch die oben skizzierten Prinzipien genügen. Die Idee
des Auftraggebers besteht offensichtlich darin, das Know-how der Bieter
im Vergabeverfahren zur Optimierung der Ausschreibungsunterlagen (va des
Leistungsverzeichnisses) zu nutzen und die Bieter insofern in das eigene
"Anti-Claim-Management" einzubeziehen. Der Wunsch der Einbeziehung
der Bieter in die Gestaltung der Ausschreibungsunterlagen zur Minimierung des
Risikos von Mehrkostenforderungen ist nicht neu (Stichwort "EarlyContractor Involvement") und durchaus verständlich. Fraglich ist aber,
ob die gewählte Art der Umsetzung vergaberechtskonform ist.
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Was "darf" ein Zuschlagskriterium?
Zuschlagskriterien sind jene Kriterien, auf deren Basis das "technisch und wirtschaftlich günstigste Angebot" (Bestbieterprinzip) bzw das "Angebot mit dem niedrigsten Preis" (Billigstbieterprinzip) ermittelt wird. Der Auftraggeber hat großen Spielraum bei deren Gestaltung, ist dabei aber nicht völlig frei.
Zuschlagskriterien müssen diskriminierungsfrei sein und mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen, dürfen dem Auftraggeber keine uneingeschränkte Wahlfreiheit übertragen, müssen einen wirksamen Wettbewerb gewährleisten und so spezifiziert sein, dass sie für Bieter nachvollzieh- und nachprüfbar sind (§ 2 Z 22 lit d sublit aa BVergG).
Typische (qualitative) Zuschlagskriterien sind die Incentivierung des Einsatzes eines bestimmten Materials (zB recyceltes Material) oder bestimmten Personals (zB Lehrlinge, erfahrene Arbeitnehmer) sowie die Umsetzung baulicher Sicherheitsmaßnahmen bei der Leistungserbringung oder deren Verkürzung (Bauzeit). Auch CO2-ärmere Transportmethoden (zB Schiene statt Straße) finden als ökologische Zuschlagskriterien oftmals Verwendung.
Grundsätzlich unzulässig sind Zuschlagskriterien, die rein unternehmensbezogen sind (z.B. die Bewertungen von Referenzen) sowie Zuschlagskriterien, deren Anwendung dem Auftraggeber einen willkürlichen Ermessensspielraum einräumt.
Neben den spezifischen Anforderungen des BvergG sind Auftraggeber an die Grundsätze des Vergaberechts, wie die Gleichbehandlung aller Bieter und Transparenz der Vergaben sowie das vergaberechtliche Umgehungsverbot gebunden (§ 20 BVergG).
Bewertung der Mitwirkung im Vergabeverfahren
Die Bewertung der Mitwirkung im Vergabeverfahren wirft zunächst die Grundsatzfrage auf, inwieweit dieses Kriterium überhaupt mit dem Auftragsgegenstand bzw der vertraglichen Leistung in Verbindung steht. Das Kriterium stellt ja – ausdrücklich – auf ein Verhalten des Bieters im Vorfeld der Auftragsabwicklung ab und erscheint insofern als "Konstruktionsfehler".
Dem könnte entgegengehalten werden, dass die Ausschreibungsunterlagen naturgemäß den Auftragsgegenstand betreffen. Dieser indirekte Zusammenhang genügt uE jedoch nicht.
Die vom EuGH seit der Entscheidung in der Rechtssache Universale Bau (C-470/99) entwickelten Grundsätze für Zuschlagskriterien, die Erwägungsgründe zur Vergaberichtlinie, die Gesetzesmaterialien und die Literatur machen deutlich, dass Zuschlagskriterien einen "engen Bezug zum Auftragsgegenstand" (EBRV 69 BlgNr. XXVI. GP zu § 2 BVergG) aufweisen und direkt die Modalitäten der Ausführung betreffen müssen (vgl Schiefer/Mensdorff-Pouilly in Heid/Preslmayr, Handbuch Vergaberecht4, Rz 1431). Es soll um die Leistungserbringung des konkreten Auftragnehmers gehen (Welches Material setzt dieser ein? Welches Personal kommt zum Einsatz? Wird die Bauzeit verkürzt? Etc).
Die gegenständliche Regelung betrifft hingegen die für alle Bieter gültigen Vertragsgrundlagen, die im Vorfeld der Leistungserbringung festgelegt werden. Schon zeitlich betreffen diese daher nicht die eigentliche Leistungserbringung und inhaltlich betreffen sie nicht die Ausführung durch einen bestimmten Auftragnehmer.
In der skizzierten Regelung und wohl denknotwendig in derartigen Regelungen liegt es zudem in der Hand des Auftraggebers, ob ein Bieter tatsächlich Punkte für seinen Vorschlag zur Modifikation der Ausschreibung erhält. Nur wenn ein Vorschlag tatsächlich zu einer Berichtigung führt, fallen Punkte an. Der Auftraggeber hat es also in der Hand, auch inhaltlich geeignete Vorschläge durch Unterlassung der Berichtigung nicht zu "bepunkten". Dies steht uE im Widerspruch zum Gebot, dass einem Auftraggeber bei der Bewertung keine uneingeschränkte Wahlfreiheit zukommen darf.
Zudem besteht zumindest ein Spannungsverhältnis zur Bietergleichbehandlung. Faktisch kann sich ein Bieter nämlich kaum dagegen wehren, wenn ein Auftraggeber in einem Fall einen Vorschlag aufgreift und in einem anderen Fall einen "ebenso guten" Vorschlag nicht.
Weitere Bedenken gegen die Zulässigkeit eines solchen Zuschlagskriteriums bestehen, da die Änderungsvorschläge von Bietern notwendigerweise vor Ende der Angebotsfrist zu erstatten sind, um noch in die Ausschreibung übernommen werden zu können. Somit sind diese gerade nicht Teil des Angebots.
Mit Hilfe der Zuschlagskriterien ist aber gemäß § 2 Z 22 lit d sublit aa BVergG das "technisch und wirtschaftlich günstigste Angebot" zu ermitteln, nicht der "mitteilsamste Bieter".
Mindestens ein Spannungsverhältnis besteht auch gegenüber dem vergaberechtlichen Umgehungsverbot. So ist fraglich, inwieweit ein solches Zuschlagskriterium in einem offenen Verfahren in Einklang mit dem dort geltenden Verhandlungsverbot steht.
Konkrete Vorschläge zu Änderungen der Ausschreibungs- und damit Vertragsunterlagen und deren allfällige Annahme ähneln sehr einem Verhandlungsvorgang, den das Vergaberecht in Verhandlungsverfahren vorsieht, in offenen Verfahren aber nicht duldet.
Resümee und Praxistipps
Insgesamt sprechen gewichtige Argumente gegen die Zulässigkeit der Bewertung einer Mitwirkung in der Angebotsphase. Die Problempunkte sind von so grundsätzlicher Natur, dass es fraglich erscheint, ob eine vergaberechtskonforme Gestaltung einer solchen Festlegung überhaupt möglich ist.
Auftraggeber, die derartige Festlegungen treffen, gehen ein beträchtliches Risiko ein, da deren erfolgreiche Bekämpfung als grundsätzlich nicht berichtigbare Ausschreibungselemente wohl zur Nichtigerklärung der gesamten Ausschreibung führen würde; dies da Zuschlagskriterien prinzipiell keiner Berichtigung zugänglich sind.
Wir raten daher, folgende Dinge zu beherzigen:
- Auftraggeber sollten die Bewertung nicht (eindeutig) auftragsbezogener Aspekte als Zuschlagskriterium gründlich abzuwägen, da derartige Kriterien in der Regel nur untergeordnetes Gewicht haben, als potentielle "K.O.-Kriterien" für die gesamte Ausschreibung aber ein hohes Risiko bergen.
- Bieter, die mit derartigen Kriterien konfrontiert sind, sollten abwägen, ob diese für sie vorteilhaft, neutral oder nachteilig sind. Angesichts der oft geringen Gewichtung derartiger "Nebenkriterien", werden sich diese in der Bewertung vielfach kaum auswirken und es wird verkraftbar sein, diese Punkte "liegenzulassen". Wenn eine spürbar nachteilige Wirkung zu erwarten ist, sollte die Zulässigkeit der Festlegung hinterfragt werden. Als ultima ratio besteht die Möglichkeit eines Nachprüfungsantrages.