Meinung : Die Baukrise und das Frühwarnsystem

Baustoffmarkt, Wohnbau und Auftragslage

Die jüngste Aussendung der Bundesinnung Baugewerbe an ihre 14.000 Mitgliedsunternehmen mit über 110.000 Arbeitsplätzen stimmt nachdenklich. Detailliert wird die notwendige Vorgangsweise beschrieben, wie angesichts sich rapide verschlechternder Auftragslage im Wohnbau Arbeitnehmerkündigungen beim Arbeitsmarktservice anzuzeigen und mit dem Betriebsrat abzustimmen sind.

Tatsächlich steckt der Wohnbau in Österreich und Deutschland in einer veritablen Krise, die auch die restliche Bauwirtschaft nicht unbeeindruckt lässt. Beunruhigende Meldungen über nicht mehr finanzierbare Neubauprojekte, zu hohe resultierende Mieten im gemeinnützigen Wohnbau, verschleppte Genehmigungsprozesse und daraus folgend viel zu geringer Neubautätigkeit sind allgegenwärtig. Der Baustoffmarkt ist seit dem Auslaufen der Covid-Investitionsförderung im Frühjahr um über 20% im Rückstand, die Auftragslage der Bauunternehmen bei minus 30% und mehr.

Trendumkehr am Bau und die kika-Leiner-Insolvenz

Nach 30 Monaten des Material- und Mitarbeitermangels schlägt die Ressourcenlage im Bauwesen derzeit komplett um. Die Lager der Händler sind voll und erzwingen eine Trendumkehr bei den Materialpreisen. So billig wie vor der Pandemie wird’s nicht mehr, das wird von Energiepreisen und CO2-Bepreisung zuverlässig verhindert. Doch die Margen schwinden schneller als das Eis in der Arktis.

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Der Fachkräftemangel besteht allerdings weiterhin. Bei den Fachkräften – und nur bei diesen. Alle anderen Beschäftigten müssen sich auf schwierigere Zeiten einstellen.

Die fehlenden Neubauten ziehen sinkende Beschäftigung der nachfolgenden Gewerke von Ausbau und Haustechnik im Bauneben- und Bauhilfsgewerbe nach sich und einem Interview des Obmannes der Branchenvertretung der Möbelhändler, Hubert Kastinger, in der Wiener Zeitung zu Folge ist die Insolvenz des zweitgrößten Möbelkonzerns Kika-Leiner nicht überraschend in einem Marktumfeld, das seit 2019 um über 10% geschrumpft ist.

Was nicht gebaut wird braucht man auch nicht möblieren.

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Gewerbe- und Industriebau volatil

Immerhin läuft der staatlich finanzierte Tiefbau für die überschaubare Zahl dort beschäftigter Unternehmen noch ziemlich gut, inwieweit der Gewerbe- und Industriebau die Auslastung stützen kann, ist aber fraglich - zu groß sind zwischenzeitlich auch die Sorgen der stark exportorientierten österreichischen Wirtschaft geworden.

Der Tourismus leidet trotz allem am Personalmangel, die Automobil-Zulieferindustrie daran das das völlig veraltete Leitprodukt „Verbrennungsmotor“ auch mit massiver politischer Intervention für e-Fuels kaum mehr dauerhaft am Leben erhalten werden kann.

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AKTUELLE AUSGABE

SOLID Bau - Fachmagazin

Ursachen liegen weiter zurück als Pandemie und Ukrainekrieg

Wie am Beispiel Kika-Leiner zu sehen, ist der Arbeitsmarkt derzeit noch einigermaßen robust und in der Lage, auch größere Störungen aufzufangen. Dennoch ist die Tendenz negativ und der Ausblick beunruhigend.

Klar ist – angeblich –, dass die momentane Situation völlig unerwartet eingetreten und angesichts des unglücklichen Zusammentreffens einer weltweiten Pandemie, eines verstopften Meereskanales und dem völkerrechtswidrigen Einmarsch der russischen Truppen in der Ukraine leider unvermeidbar gewesen wäre.

Bei all dem furchtbaren menschlichen Leid von Millionen Pandemietoten und Kriegsopfern muss aber festgehalten werden, dass die Ursachen weiter zurück reichen und die genannten Katastrophen eher Anlassfälle denn Problemursprung sind. Oder anders herum, Europas strukturelle Probleme wären – vielleicht etwas später und etwas weniger drastisch - auch ohne die Katastrophen der letzten Jahre noch in den 2020ern aufgebrochen.

Jugend braucht Perspektive, Geldpolitik muss sich ändern,

Je nach befragter Gruppe stehen sicherlich viele verschiedene Krisenursachen zur Auswahl, die hier nicht alle besprochen werden können. Deshalb nur einige Beispiele, wo ein politisches und gesellschaftliches Umdenken Verbesserungspotenzial mit sich bringen würde:

Perspektivenlosigkeit der Jugend bekämpfen


Mit 30% Lehrlingen in der Belegschaft ist unser eigenes Unternehmen ein aktiver Teil der nach wie vor wichtigsten Ausbildungsschiene in Österreich, der dualen Ausbildung. Immerhin ca. die Hälfte der Jugendlichen werden über die Lehre zu wertvollen Fachkräften ausgebildet, wobei gerade kleine und mittlere Unternehmen einen erheblichen Beitrag leisten.

Aus der jahrzehntelangen Tätigkeit mit Jugendlichen beharre ich darauf, dass diese heute grundsätzlich genauso interessiert, lern- und leistungsbereit sind wie vor dreißig Jahren.


Jedoch haben sich ihre Umstände massiv verschlechtert. Seit dem zweiten Weltkrieg ist die heutige Jugend die erste Generation, der es nicht automatisch besser geht als der vorigen.
Dem immer noch weit verbreiteten verständlichen Wunsch, sich eine stabile, auch auf Wohneigentum begründete Existenz aufzubauen, stehen (nicht nur finanzielle) Hindernisse entgegen, die unsere Generation noch nicht kannte.

Als Reaktion flüchtet sich eine ganze Generation in „Work-Life-Balance“ und kurzlebigen Konsum, verbunden mit hohen Kosten und schlechtem Gewissen der Umwelt gegenüber.


Hier wäre die Politik gefordert, den jungen Erwachsenen den Aufbau einer von staatlichen Transferleistungen unabhängigen, auf Wohneigentum als wesentlichen Pfeiler gegründeten Existenz wieder zu ermöglichen.
Sei es durch Maßnahmen und Reduktion der bürokratischen Aufwände, wodurch Bau wieder effizienter und günstiger werden kann, sei es durch Anreizmaßnahmen etwa im Bereich der Einkommensbesteuerung.

Auch Inflationsbekämpfung kann ein hilfreicher Schritt sein. Inflation entsteht aus einer Diskrepanz von vorhandenen Geldmitteln und vorhandenem Güter- und Dienstleistungsangebot.

Der Trend zu Teilzeit und Arbeitszeitverkürzung ist nicht hilfreich. Auch wenn manche behaupten, die Produktivität wäre bei geringerer Arbeitszeit ja nicht schlechter. Das Warenangebot ergibt sich leider aus Produktivität multipliziert mit der Arbeitszeit und sinkt damit bei geringerer Arbeitszeit automatisch.

Verfehlte Fiskal- und Geldpolitik umkehren


Mehr als ein Jahrzehnt verantwortungsloser Nullzinspolitik der EZB war den krisengeschüttelten Staatsfinanzen mancher EU-Länder zwar angenehm, hat die Immobilienwirtschaft und insbesondere deren Preisgefüge aber völlig auf den Kopf gestellt. Aus Nullzinsen folgte völliger Verlust an Preissensibilität, gleichzeitig wurden kreditgestützte Vorsorgeimmobilien mit 2% Renditehoffnung plötzlich zur attraktiven Anlageklasse. Buchstäblich jede Immobilie konnte zu Fantasiepreisen vermarktet werden, Top-Down schlägt das finanzielle Schlaraffenland bis auf die Grundstückspreise durch und die explosive Preisentwicklung wird zum Selbstläufer.

Nach einem Jahr sich rapide dem natürlichen Niveau annähernder Zinssteigerungen wird die Diskrepanz zwischen Wert und Bewertung sichtbar, Neubau auf gehorteten Hochpreisgrundstücken ist plötzlich nicht mehr verwertbar, die Baukostensteigerungen tun ihr übriges. Letztere mögen zum Teil aus dem Kriegsgeschehen resultieren, insgesamt liegen die Ursachen aber woanders.

Neben den Zinsthemen vor allem auch in einer jahrzehntelang stagnierenden Bauproduktivität bei gleichzeitig laufend höher werdenden, vor allem bürokratischen Anforderungen.

Vorhersehbare und stabile Rahmenbedingungen mit einem halbwegs gesunden Zinsniveau verbunden mit verantwortungsbewusster Zurückhaltung bei den Lohnverhandlungen könnte die allgemeine Preisentwicklung wie auch die Immobilienbepreisung im Besonderen wieder auf ein sinnvolles Niveau senken.

Innovationshemmenden Paternalismus des Gemeinwesens entschärfen

Überbordende Bürokratie ist das zwingende Ergebnis von staatlichem Mikromanagement und der schlimmste Feind der Innovation. In der europäischen Union haben wir es geschafft, drei konkurrierende Gesetzgebungsebenen (Region bzw. Bundesland, Staat, Union) 25 mal zu replizieren, mit unzähligen Interessensvertretungen und Lobbyingorganisationen anzureichern und alle in permanente Abstimmungsprozesse zu zwingen.

Beispiele für zu kompliziertes Vorgehen

  • Alleine zum Vorschlag der neuen europäischen Bauproduktenverordnung wurden über 200 Stellungnahmen eingereicht, die vorher jeweils wochenlang von der einreichenden Stelle bearbeitet wurden.
  • Im Rahmen der CEN, der europäischen Normung, gibt es für BIM einen Arbeitskreis der sich nur damit beschäftigt wie man Normierungsdokumente für die Gestaltung von BIM-Standards schaffen könnte die es den anderen Arbeitskreisen und Normungsinstituten leichter machen würden die Normvorschriften noch umfangreicher, unübersichtlicher und – natürlich – zukunftsfähiger zu gestalten.
  • Während China und USA sich in der Entwicklung von KI-Anwendungen permanent vorwärts treiben hat Europa die Hoffnung schon lange aufgegeben und zieht sich auf regulative Einschränkungen einer Technologie zurück deren Entwicklung und wirtschaftliche Verwertung wir anderen überlassen.

Die europäische Union lebt von ihrer Innovationskraft. Wir benötigen politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen welche Innovation wieder zulassen und es auch erlauben, von Innovation persönlich zu profitieren, ja sogar reich zu werden ohne dass die Neidgesellschaft darüber herfällt.


Abhängigkeit von Ostasien und China verringern


„Solange Milliarden Tonnen CO2 in die Luft blasen, nützen unsere Umweltschutzbemühungen gar nichts“ - diese vielfach geäußerte Klage übersieht, wer denn für die Milliarden Tonnen CO2 finanziell aufkommt. Nämlich wir Europäer, die wir jahrzehntelang große Teile unserer Produktion aus Gründen der Kosten und Bequemlichkeit in Süd- und ostasiatische Billiglohnländer verlagert haben.

Neben den spektakulären Umweltfolgen erleben wir die Abhängigkeit von diesen Ländern zunehmend auch als militärisch-politisches Problem und auch in den Apotheken, wenn plötzlich selbst grundlegende Arzneimittel aufgrund von Lieferkettenproblemen nicht mehr verfügbar sind.

Eine Rückbesinnung auf die eigenen Produktionskapazitäten, verbunden mit einem klaren Bekenntnis zur Re-Industrialisierung Europas und der Bereitschaft, für die Unabhängigkeit auch mal etwas höhere Preise in Kauf zu nehmen wäre angebracht.

Dann gibt es auch wieder genügend Arbeit für alle.