Bauwirtschaft | Zement | Beton : "Strom wird die kritische Größe"

Solid: Vor wenigen Wochen lief im Radiokolleg auf Österreich 1 eine Serie über Chemie und da gab es auch eine Sendung zum Zement mit dem Titel „Zement: Fluch und Segen“. Was sehen Sie als Fluch und was ist der Segen von Zement?

Sebastian Spaun: Der Fluch ist unser schlechtes Image und dass Zement und Beton sehr oft herhalten müssen für Negativkampagnen. Der Segen sind unsere Strategien und Projekte, mit denen wir beweisen können, dass dieser Grundwerkstoff sehr Innovation und vorwärtsgerichtet ist.

Zement zählt wie Stahl zu den energieintensiven Industrien. Wie ist es der Zementindustrie ergangen mit der Gaskrise und wie geht es weiter?

Spaun: Wir haben uns vom Erdgas schon vor 30 Jahren verabschiedet, indem wir geschaut haben, dass wir insgesamt von fossiler Energie unabhängig werden und uns damals in den Abfall und andere Alternativbrennstoffe hineinbegeben haben.

Insofern wurden wir davon nicht betroffen.

Das heißt, die Preissteigerungen, die alle anderen gemacht haben aufgrund der höheren Energiepreise, haben Sie nicht gemacht, mussten Sie nicht machen?

Spaun: Das Gas hat leider zu Preissteigerungen überall
geführt, also bei allen Betriebsmitteln, die wir einsetzen, beispielsweise das AdBlue, das wir auch brauchen, um unsere Stickoxide in den Katalysatoren abzuscheiden. Und natürlich hat der Strom, von dem wir leider mehr als genug brauchen, unter der Gaskrise preislich gelitten.

Und wie schaut es beim Strom aus?

Spaun: Das ist die große Herausforderung, vor der jede Volkswirtschaft in Europa steht, da die Dekarbonisierung über Strom läuft. Allerdings muss der Strom aus CO2-neutralen Quellen kommen - und wenn ich auf unsere eigene Dekarbonisierungsroadmap blicke, dann muss ich sagen: der Weg hin zur Zero Emission bedeutet, dass eine Branche wie die unsere ihren Strombedarf verdreifacht und da sind wir nicht allein.

Strom wird die kritische Größe und daher ist allen Insidern auch klar, dass wir diese Menge Strom nicht allein am Standort Österreich erzeugen werden können.

Insofern müssen die Regierungen hier zusammenarbeiten, um Strom gut durch Europa leiten zu können, weil möglicherweise die großen erneuerbaren Quellen dort sein werden, wo die Sonne noch mehr scheint als bei uns oder der Wind noch mehr weht als bei uns.

Verlässliche Stromnetze und ausgebaute Leitungen werden wahrscheinlich standortentscheidend.

Sie haben jetzt selber CO2 angesprochen. Eines Ihrer Argumente in letzter Zeit war immer: die österreichische Zementindustrie ist Weltmeister im niedrigen CO2-Ausstoß. Wir haben, glaube ich, 0,54 Tonnen CO2 pro Tonne erzeugten Zements. Aber wir müssen tatsächlich auf Null. Wo stehen wir denn da und wie geht es weiter?

Spaun: Ja, wir sind an die Spitze gekommen in den letzten 20, 30 Jahren. Aber das war nur die Ouvertüre zu dem, was jetzt folgt. Viele meiner Kollegen sprechen von einer industriellen Transformation oder sogar Revolution, die vor uns steht. Dafür müssen wir eben Strom im ausreichenden Ausmaß bekommen, Infrastruktur wird ganz entscheidend.

Auf der anderen Seite geht es ja auch um den Werkstoff selber. Zement ist nicht Zement, so wie Beton nicht Beton ist und es geht auch ein bisschen um die Menge der verbauten Dinge. Wo geht es denn da hin? Sowohl ich weiß, wird ja gerade im Bereich Zement, Smart Minerals und so weiter extrem viel geforscht?

Spaun: Ja, wir sind mittendrin in der Forschung, aber man kann eigentlich schon berichten, es gibt die ersten Ergebnisse aus diesen Forschungen. Wir haben heuer bereits in fünf Unternehmen diese erste Generation wirklich klimafitter Zemente auf den Markt gebracht.

Das ist jetzt Zementlatein, aber CEM II/C ist letztlich ein Zement, der nur mehr 50 Prozent Zementklinker enthält. Das ist das Produkt, das wir in unseren Drehrohröfen brennen müssen, das aus Kalkstein erzeugt wird und wo leider Gottes bei der Erzeugung dieses Zementklinkers aus dem Kalkstein das CO2 entweicht, das zwei Drittel unserer Emissionen ausmacht.

Darum ist ein ganz wesentlicher Punkt unserer Strategie, so wenig wie möglich Klinker in den Zementen verwenden. Das Problem dabei ist: der Klinker bringt die Festigkeit und die Dauerhaftigkeit.

Man muss also hier sehr genau wissen, was man tut?

Spaun: Es geht nicht darum, Dinge nur zu verdünnen, sonst hätte die Bauindustrie damit keine große Freude oder unsere Bauwerke würden auch nicht so lange halten, wie wir das gewohnt sind.

Aber eine wirkliche Dekarbonisierung der Zementbranche kann nur integrativ gehen mit der gesamten Wertschöpfungskette. Wir haben eine Strategie namens 5C und ich möchte das kurz ausführen, weil es Ihre Frage beantwortet:

Das erste C steht für den Klinker, habe ich gerade gesagt, das ist unsere Aufgabe.

Das zweite C steht für die neue Generation von C-Zement, kommt jetzt aus dem Englischen, das dritte C steht für Concrete, wie optimieren wir beispielsweise die Gesteinskörnungen im Beton so, dass wir möglichst wenig Bindemittel brauchen?

Und jetzt wird es interessant: das vierte C steht für eine Revolution der Planung. Es steht für Construction und bedeutet, dass wir auch ein völlig neues Mindset brauchen, wie wir mit Materialien umgehen, wie wir planen, wie wir bauen. Bisher ist zumindest die Tragwerksplanung oft ein stiefmütterlich behandeltes Thema und das muss sich ändern.

Und jetzt noch das fünfte C, das ist die Karbonatisierung, also die Eigenschaft vom Beton, CO2 wieder aus der Luft aufnehmen zu können.

Und an all diesen Schrauben wollen wir drehen.

Ein groß kommunizierte Thema ist die Bauteilaktivierung, wie weit sind Sie hier tatsächlich auch im Ausrollen?

Spaun: Wir haben in den letzten 15 Jahren viele Projekte initiiert und begleitet und ich kann sagen: In Ostösterreich ist das zu einer Erfolgsformel geworden. Es gibt kaum einen Auftraggeber mehr im Wohnbau, der an dieser Technologie derzeit vorbeigeht oder sie nicht nützt. Ich würde mir zwar noch viel mehr wünschen, aber wir haben sicher in den letzten Jahren ein bis zwei Millionen Quadratmeter gemacht, und auf das bin ich schon stolz. International ist Wien da tatsächlich zum Hotspot geworden.