Fachkräfte : Lehrlinge am Bau weiter dringend gesucht
Bewerbungsverfahren ohne Hürden
Auch wenn die Lehrlingsentgelte in den Bauberufen bei knapp über 1.000 Euro pro Monat im ersten Lehrjahr liegen und sich bis auf knapp 2.500 im 4. Jahr steigern, müssen sich Bauunternehmen mehr einfallen lassen, um die zukünftigen Arbeitnehmer von morgen zu finden und danach auch zu halten. So verliert die Porr – bis zu drei Jahre nach Lehrabschluss - rund 38 Prozent der Lehrlinge und jungen Fachkräfte, wie Martina Auer-Klass, Head of HR bei Porr Group, veranschaulicht. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken werden allen Bewerberinnen und Bewerbern Schnuppertage im gewünschten Lehrberuf angeboten. Darüber hinaus wurde das Lehrlingsbetreuungsnetzwerk ausgebaut um die Lehrlinge noch individueller zu begleiten.
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Es gilt, auf potenzielle Kandidat:innen zuzugehen und ihnen schon das Bewerbungsverfahren so einfach wie möglich zu machen. Gesucht wird nicht mehr nur auf klassischem Weg, sondern auch über das B2B-Netzwerk LinkedIn, TikTok oder ab April auch mit dem neuen Tool „Talk’n’Job“. „Wir wollen junge Menschen dort abholen, wo sie sich aufhalten. So bauen wir etwa auf Kooperationen mit TikTok-Influencern wie Class Ninjas und auf vereinfachte Bewerbungswege. Damit haben wir 2022 mehr als 3,5 Millionen Impressionen erreicht und die Anzahl der Bewerbungen im Vergleich zum Jahr 2020 um 154 Prozent gesteigert“, so Auer-Klass.
Talk’n’Job wiederum ist eine sprachgesteuerte Chat-Bewerbungsplattform, auf der sich Jobinteressierte per Sprachnachricht bewerben können. Ein Avatar stellt Fragen – möglich sind mehrere Sprachen – und die Antworten werden automatisch in Deutsch transkribiert. „Zielgruppe sind Lehrlinge und gewerbliches Personal. Wir verringern dadurch die Barrieren bei der Bewerbung, zum Beispiel bei Menschen, die keinen Lebenslauf haben.“
Lesen Sie hier unseren SOLID-Fachartikel, wie Sie Fachkräfte finden und halten.
Lehre statt HTL
422 Lehrlinge werden derzeit bei Porr in Österreich in 23 Berufen ausgebildet, allein im Vorjahr kamen 200 dazu. Bis zu 600 sollen es werden, wie Lehrlingsmanagerin Petra Karacs verrät: „Wir suchen immer, das ist unser Vorteil. Mit dem Beginn der Lehre muss also nicht bis Herbst gewartet werden.
Karacs ist mit ihrem Team von Anfang für die Anliegen der jungen Arbeitskräfte da. So auch für Jasmin Ramic, die sie von der Lehre als Bautechnische Assistentin überzeugen konnte: „Im Bewerbungsgespräch für die Lehrstelle als Physiklaborantin hat mir Petra Karacs angeboten, drei Tage auf der Baustelle zu schnuppern. Zuerst war ich skeptisch, da ich von dieser Lehre vorher noch nie etwas gehört hatte“, erzählt die junge Frau. Im Juni wird sie ihre Lehre abschließen.
Im SOLID-Gespräch beantwortet sie, warum sie von der HTL zur Lehre wechselte und warum sie geblieben ist, was sie an ihrer Lehre begeistert und welche Erfahrungen sie am Porr Campus sammeln durfte.
Ausbildung zur Bautechnischen Assistenz
SOLID: Warum haben Sie sich für den Lehrberuf Bautechnische Assistentin entschieden?
Jasmin Ramic: Während meines zweiten Jahres an der HTL für Maschinenbau habe ich gemerkt, dass mir der Praxisbezug fehlt. Nur Theorie und das jeden Tag. Das wollte ich ändern. Also habe ich mich hier beworben. Ich bin von der ersten Minute an begeistert gewesen. Noch nie bin ich so strahlend von der Schule oder Arbeit heimgegangen. Angefangen vom herzlichen Empfang der Kollegen bis hin zu den spannenden Aufgaben. Ich habe alles fragen können, was ich wissen wollte und habe schon beim Schnuppern viel gelernt. Meine Familie hat mich von Tag Eins unterstützt. Sie haben gewusst, dass ich technisch versiert bin und mir ein Lehrabschluss viel bedeuten würde.
Bei der Zusage habe ich einen Freudensprung gemacht. Starten durfte ich bei dem Team, bei dem ich geschnuppert habe. Einer der schönsten Tage in meinem Leben. Wirklich!
Was gefällt Ihnen besonders gut?
Ramic: Ehrlich gesagt: alles. Vor allem die Abwechslung. Jeder Tag bringt neue Herausforderungen, die man lösen muss. Es wird nie langweilig und endlich wird die Theorie mit der Praxis hinterlegt, was das Lernen einfach greifbarer macht. Ich habe mich vom ersten Tag an einbringen können und bin gleich als Teammitglied akzeptiert worden. Es gibt viele Erfolgserlebnisse. So gehe ich jeden Tag mit einem guten Gefühl nach Hause.
In welchem Lehrjahr sind Sie gerade? Und wie sehen da Ihre Aufgaben aus?
Ramic: Aktuell bin ich im dritten Lehrjahr und werde im Juni meine Lehrabschlussprüfung machen. Meine Aufgaben sind sehr umfangreich: Einerseits habe ich Aufgaben, die ich am Schreibtisch erledige, wie zum Beispiel das Kalkulieren von Aufträgen oder das Verfassen von Ausschreibungen. Andererseits bin ich viel auf der Baustelle und kontrolliere die Arbeit unserer Subunternehmer, ob sie ihre Aufgaben korrekt umgesetzt haben. Ich nehme an vielen Besprechungen teil, so zum Beispiel mit dem Polier, um mit ihm die nächsten Schritte durchzugehen.
Wie begegnen Ihnen Ihre Kollegen? Ist es noch ein Thema, als Frau auf der Baustelle zu arbeiten?
Ramic: Es gab noch nicht einen Moment oder ein Erlebnis, wo ich mich als Frau unwohl gefühlt hätte. Vom ersten Tag an wurde ich herzlich aufgenommen. Mein Projektleiter unterstützt mich sehr und hat von Anfang an klar gemacht, dass es bei meinen Aufgaben keinen Unterschied macht, ob ich jetzt eine Frau oder ein Mann bin. Und auch die Kollegen auf der Baustelle selbst behandeln mich so, wie ich das erwarte: angemessen und mit Respekt.
Die Leistung zählt und nicht das Geschlecht. Das gefällt mir.
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"Meine Ziele habe ich ganz klar vor Augen: Im Juni die Lehre abschließen und dann als Technikerin durchstarten. Nebenbei mache ich noch die Berufsmatura."
Jasmin Ramic, Lehrling Porr
Lehre mit Matura
Was lernen Sie am Porr Campus? Was ist das Tolle daran?
Ramic: Ich war bis jetzt einmal für drei Wochen am Campus. Zwei Sachen haben mir besonders gefallen: Wir haben konkret gelernt, wie man mit der Software iTwo umgeht. Die ist sehr wichtig für das Projektmanagement am Bau. Ich finde, das ist ein großer Vorteil gegenüber Schülern, die keinen Zugang zu den Programmen haben, die in dann in der Realität eingesetzt werden. Wir haben ein ganzes Haus kalkuliert und abgerechnet. Was mir noch gefallen hat, war, dass sich am PORR Campus alle Lehrlinge aus ganz Österreich kennen lernen und austauschen. Die gegenseitige Unterstützung und die gemeinsame Zeit hat viel Spaß gemacht.
Wie sieht Ihr Berufsziel aus? Was möchten Sie besonders gerne machen?
Ramic: Meine Ziele habe ich ganz klar vor Augen. Im Juni die Lehre positiv abschließen und dann als Technikerin durchstarten. Ich mache nebenbei noch die Berufsmatura und mein Projektleiter achtet besonders darauf, dass ich alles weiß, dass auch HTL-Absolventen wissen könnten. Also sollte das schon mal gut funktionieren. Mein großes Ziel ist es dann, Bauleiterin zu werden. Um das zu werden, heißt es Erfahrung sammeln.
Was fasziniert Sie am Bauen?
Ramic: Das Abwechslungsreiche. Und die Herausforderungen, die es im Alltag auf der Baustelle zu bewältigen gibt. Jedes Projekt ist anders. Aktuell bin ich bei einem Projekt in der Gastgebgasse im 23. Bezirk. Hier werden gerade fünf Wohnhäuser mit insgesamt 440 Wohnungen gebaut. Da gibt es einiges zu tun. Ich kann mir keine andere Arbeit vorstellen, wo man jeden Tag so viel lernen und beitragen kann.
Infos zum Porr Campus
Mit der Eröffnung des Porr Campus 2019 wollte das Unternehmen eine gezielte Maßnahme gegen den Fachkräftemangel setzen: "Der Aus- und Weiterbildung unserer Mitarbeiter:innen kommt eine ganz entscheidende Bedeutung zu", meinte Porr-CEO Karl-Heinz Strauss im Rahmen der Eröffnung.
Zusätzlich zur Bauakademie stellt der Campus neben der Berufsschule und der Baustelle die vierte Säule der Ausbildung dar. Er bietet Lehrlingen, gewerblichem Personal und Angestellten mit einer 550 m2 Übungshalle, einem 1.100 m2 Freibereich und einem Wohnheim mit 55 Betten ein breites Bildungsangebot. Angesiedelt ist er in Wien Simmering (11. Bezirk). Neben Leiter Reinhard Schöller (er unterrichtete davor zehn Jahre an der HTL Mödling) gibt es drei Ausbildner. "Auf der Baustelle können die Lehrlinge oft nicht alles ausprobieren, hier dürfen sie selbst Hand anlegen", so Schöller. Und man begegnet einander auf Augenhöhe, den jungen Erwachsenen aus ganz Österreich wird viel Eigenverantwortung zugetraut.
310 Baulehrlinge waren es im Vorjahr, die hier weitergebildet wurden. Darüber hinaus 950 gewerbliche Mitarbeiter:innen seit 2019. Eingegangen wird neben der Praxis auch auf Themen wie Diversity, Gesundheit oder Suchtgiftprävention.