Baurecht : Perfekter Sturm in der Bau-Glaskugel

Viele verschiedene Euro Geldscheine. Symbolfoto für Reichtum und Geldanlage.

Baurechtlich gibt es in einer unübersichtlichen wirtschaftlichen Situation wie in der zweiten Jahreshälfte 2022 einige Dinge, die zu beherzigen sind, wenn man seines Geldes Freund ist.

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Was tun bei Stopp oder Verkleinerung von Bauprojekten?

Exorbitant gestiegene Material- und Energiekosten (und damit Baupreise), die höchste Inflation der letzten Jahrzehnte, steigende Zinsen und Energieunsicherheit: Nur die wenigsten wagen vorherzusagen, wie sich all diese Faktoren in den kommenden Monaten tatsächlich auf die Baubranche auswirken werden.

Lediglich einige Folgen scheinen unausweichlich: die zuletzt sehr hohe Nachfrage wird zurückgehen, nicht alle bereits geplanten und/oder begonnen Projekte werden wie geplant umgesetzt werden, nicht alle Unternehmen werden mit den neuen Herausforderungen umgehen und diese wirtschaftlich überstehen können.

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Die Auswirkungen auf bestehende und neue Bauverträge können zwar ebenso wenig exakt vorausgesagt werden, die bauvertragsrechtliche Praxis der letzten Jahre lässt aber die eine oder andere Vorhersage zu, welche Rechtsfragen in der Baubranche zu diskutieren sein werden. Hier wollen wir beleuchten, was zu beachten ist, wenn der Bauherr das geplante Projekt stoppt oder einseitig in Umfang und Ablauf eines vertraglich bereits fixierten Projekts eingreift – z.B. weil das Budget doch nicht ausreicht oder generell der "Sparstift gezückt" wird.

Wolfgang Müller, Wolf Theiss
Partner Mag. Wolfgang Müller leitet die Praxisgruppe Immobilien- und Baurecht von Wolf Theiss sowie das Baurechtsteam der Kanzlei. Er ist als einer der österreichischen Top-Anwälte in diesem Gebiet bekannt und regelmäßig in komplexe internationale Bau- und Entwicklungsprojekte involviert. Außerdem vertritt er Bauunternehmen vor Gerichten, Schiedsgerichten und FIDIC - Dispute Adjudication Boards. - © www.amriphoto.com

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Auftraggeber darf Bauleistungen abbestellen - mit großen Abers

Generell gilt, dass der Auftraggeber berechtigt ist, Leistungen des Auftragnehmers einseitig abzubestellen. Dieses – auf den ersten Blick "ungerecht" erscheinende – Abbestellungsrecht des Auftraggebers ist jedoch dahingehend zu ergänzen, dass der Auftragnehmer im Falle einer Abbestellung dennoch Anspruch auf den gesamten vereinbarten Werklohn hat, abzüglich dessen, was er sich tatsächlich erspart hat oder ersparen hätte können. Damit entspricht die Regelung des § 1168 ABGB der typischen Interessenlage der Vertragspartner: Der Auftragnehmer will seinen Werklohn erhalten und hat in der Regel kein eigenständiges Interesse an der Herstellung des Werks; dem Auftraggeber soll demgegenüber nichts "aufgezwungen" werden, was er nicht (mehr) will. Damit der Auftragnehmer aber so gestellt ist, wie er stünde, wenn er das Werk vollständig erbringen hätte können, muss er auch Anspruch auf den gesamten von ihm kalkulierten Gewinn haben.

Diese aus § 1168 ABGB ableitbaren Regeln werden in Werkverträgen oftmals ergänzt oder abgeändert, z.B. dahingehend, dass der Auftragnehmer im Falle einer (Teil-)Abbestellung nur jenes Entgelt fordern darf, das den bis zum Zeitpunkt des Projektabbruchs erbrachten Leistungen entspricht. Ein solcher Vorwegverzicht des Auftragnehmers auf seinen geminderten Werklohnanspruch ist jedoch nach überwiegender Ansicht sittenwidrig und kann vom Auftragnehmer im Streitfalle angefochten werden.

Die Anwendung der oben skizzierten "Grundregeln" der Abbestellungen sind weitestgehend klar, wenn ein Auftraggeber ein Projekt zur Gänze stoppt und sämtliche noch ausständigen Leistungen des Auftragnehmers abbestellt. Überwiegend unstrittig ist auch, dass Auftraggeber auch berechtigt sein sollen, nur (selbständige) Leistungsteile oder einzelne Positionen eines konstruktiven Leistungsverzeichnisses abzubestellen. Problematisch können jedoch jene Fälle sein, in denen ein Projekt "redimensioniert" – zumeist also verkleinert – werden soll. In den meisten Fällen ist eine solche Redimensionierung nämlich nicht mit einem bloßen "weniger" verbunden, sondern vielmehr auch mit einem gewissen "anders".

Philipp Szelinger, Wolf Theiss
Philipp Szelinger ist Rechtsanwalt im Team Construction & Real Estate bei Wolf Theiss Rechtsanwälte - © www.amriphoto.com

Wie so oft: Unterschied ABGB und ÖNORM

Die Verkleinerung eines Projekts macht fast zwangsläufig Umplanungen notwendig, womit sich die vom Auftragnehmer zu erbringende Leistung an sich ändert (denkt man sich "einfache" Fälle weg, wie z.B. die Verkleinerung eines Reihenhausprojekts von zehn auf acht Reihenhäuser).

Das ABGB selbst sieht kein Recht des Auftraggebers vor, nachträglich die Leistung einseitig zu ändern. Bei ÖNORM-Verträgen kann hier jedoch die Brücke zum Leistungsänderungsrecht geschlagen werden, die eine einseitige Anordnung solcher Änderungen durch den Auftraggeber unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht:


Gemäß Punkt 7.1 der ÖNORM B2110 ist der Auftraggeber berechtigt, einseitig den Leistungsumfang zu verändern, wenn dies zur Erreichung des Leistungsziels notwendig und dem Auftragnehmer zumutbar ist. Das für die Frage der Notwendigkeit relevante Leistungsziel ist aber jenes, das der Auftraggeber zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vor Augen hatte. Bei einer anderen Auslegung – nämlich einem "flexiblen" Leistungsziel, das sich immer zum Zeitpunkt einer Leistungsänderung definiert – wären dem Leistungsänderungsrecht des Auftraggebers nämlich keine Grenzen gesetzt.

Die in diesem Artikel interessierende "geänderte Marktsituation" darf demnach keinen Einfluss auf das ursprüngliche Leistungsziel haben;
auch wenn es sohin nunmehr das Ziel des Auftraggebers ist, sein Projekt kostengünstiger umzusetzen, ist dieses nicht für die Frage der Zulässigkeit einer einseitigen Leistungsänderung heranzuziehen.

Daraus folgt, dass der Auftraggeber in der Regel nicht berechtigt ist, das Projekt einseitig zu verändern. Genauer gesagt: der Auftragnehmer ist nicht verpflichtet, ein solches geändertes Projekt zu den gleichen Bedingungen wie die ursprünglich vertraglich vereinbarten Leistungen zu erbringen. Will oder muss ein Auftraggeber sohin sein Projekt redimensionieren und ist damit nicht nur eine quantitative, sondern auch eine qualitative Änderung des Projekts verbunden, so muss er sich entweder mit seinem Auftragnehmer auf eine einvernehmliche Vertragsänderung verständigen, oder aber er bestellt die noch offenen Leistungen ab (mit allen damit verbunden Folgen) und beauftragt einen Dritten mit der geänderten Projektfortführung.

Angesichts der oben beschriebenen Rechtslage, dass der Auftragnehmer im Falle der Abbestellung dennoch Anspruch auf den gesamten von ihm kalkulierten Gewinn hat, werden Auftraggeber in den meisten Fällen gut beraten sein, sich mit ihrem Auftragnehmer einvernehmlich auf eine geänderte Projektumsetzung zu einigen. Ein Rechtsanspruch darauf besteht freilich nicht.

Praxistipps unserer Experten

  • Auftraggeber sind berechtigt, noch vom Auftragnehmer zu erbringende Leistungen vollständig oder teilweise abzubestellen. Eine teilweise Abbestellung ist jedoch nur bei (selbständigen) Leistungsteile oder einzelnen LV-Positionen möglich.
  • Der Auftragnehmer hat auch in Folge einer Abbestellung Anspruch auf Vergütung des gesamten von ihm kalkulierten Gewinns.
  • Vertragliche Bestimmungen, mit denen der Auftragnehmer vorab auf seinen geminderten Werklohnanspruch verzichtet, sind sittenwidrig.