Kreislaufwirtschaft am Bau : Bodenaushub: Von der kostenpflichtigen Entledigung zum Nebenprodukt

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Die Bauwirtschaft ist der mit Abstand größte Abfallproduzent Österreichs, und den Löwenanteil des Abfalls machen Aushubmaterialien aus: 40 Mio. Tonnen Bodenaushub fallen in Österreich jedes Jahr an. Das sind fast 60 Prozent des Gesamtabfallaufkommens. Zum Vergleich: Das ist rund zehn Mal so viel wie der gesamte Hausmüll, der rund 4 MioTonnen ausmacht. Doch das Problem ist nicht nur die Menge, sondern die Art damit umzugehen. Mehr als zwei Drittel des Bodenaushubs wird schlicht deponiert, und zu diesem Zweck werden Millionen an Tonnen per LKW viele Kilometer weit auf die Deponien gefahren. Wenn die Bauwirtschaft also nach Wegen sucht, den CO2-Fußabdruck zu senken, ist hier der kurzfristig wohl größte Hebel zu finden. Bisher stand dem die heimische Gesetzeslage entgegen, doch das ändert sich wegen eines überraschend eindeutigen Urteils des Europäischen Gerichtshofs. Die Saubermacher Akademie widmete sich am 15. März diesem potenziellen Game-Changer der Bauwirtschaft und nahm den Urteilsspruch, seine Hintergründe und seine Auswirkungen unter die Lupe.

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Die Vortragenden bei der Saubermacher-Akademie v.l.n.r.: Holzer Christian/Leiter der Sektion „Umwelt und Kreislaufwirtschaft“, BMK, Robbi Steffen/Geschäftsführer Digital Findet Stadt, Jung Stefan/Projektleiter STC Development GmbH, Fürnkranz Alois/VOEB-Arbeitsgruppenleiter Nachhaltiges Bauen, Giffinger Peter/CEO Saint-Gobain Austria, Palfy Caroline/Geschäftsführerin Handler Holding, Opelt Andreas/COO Saubermacher, Suchanek David/Rechtsanwalt Niederhuber & Partner, Kasper Thomas/Präsident Österreichischer Baustoff-Recycling Verband

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Am Anfang war die Porr

Die bisherige Situation war recht klar, erklärte David Suchanek von der Rechtsanwaltskanzlei Niederhuber & Partner: „Bodenaushub war Abfall, sobald der LKW die Baustelle verlässt.“ Ausgenommen davon ist lediglich nicht kontaminierter Bodenaushub, der auf der Baustelle selbst verwendet werden kann. Aber sobald der LKW die Grenze der Baustelle verlässt, erkannten die Behörden eine „Entledigungsabsicht“ und schrieben die Übergabe an eine befugte Stelle laut §24 Abfallwirtschaftsgesetz vor – sprich: an eine Deponie oder einen Recycler. Ob das sinnvoll ist, wollte die Porr genau wissen, und suchte einen geeigneten Präzedenzfall aus. Der Bauriese suchte um Bewilligung dafür an, Aushubmaterial einer steirischen Baustelle für geländegestaltende Maßnahmen in einem nahegelegenen Park zu verwenden. Erwartungsgemäß verweigerten die Behörden dieses Ansinnen, denn schließlich sei der Aushub außerhalb der Baustelle als Abfall zu behandeln. Mit diesem gut konstruierten Fall ging die Porr bis zum Europäischen Gerichtshof und wollte wissen, ob die ausgehobene Erde tatsächlich als Abfall zu behandeln sei – und bekam Recht.

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Kein Entledigungsabsicht, kein Abfall

Der EuGH sah in diesem konkreten Fall keine „Entledigungsabsicht“, womit das erste Ziel bereits erreicht war: Die Verwendung für die Geländegestaltung in einem Park anstatt der kostenpflichtigen Entsorgung in einer weiter entfernt liegenden Deponie war damit möglich. Doch überraschenderweise, so David Suchanek, ging der EUGH sogar noch zwei Schritte weiter. Denn Aushub wurde als „Nebenprodukt“ der Bauproduktion bestätigt. Der Clou dabei: Die Definition von Nebenprodukten stammt aus der Welt der Industrie und beschreibt die stets in gleicher Menge und gleicher Qualität anfallenden Stoffe aus genormten, gleichförmigen Prozessen. Damit wird beispielsweise Salzsäure als Nebenprodukt der Sodaproduktion, Sägespäne als Nebenprodukt der Holzverarbeitung oder Melasse als Nebenprodukt der Zuckerherstellung einfacher weiterverabeit- und handelbar. Nun gleicht bekanntlich keine Baustelle der anderen. „Bau als industriellen Prozess zu sehen, das ist schon schräg“, sagte dazu Christian Holzer, Leiter der Sektion „Umwelt und Kreislaufwirtschaft“ im BMK im Rahmen der Podiumsdiskussion – nicht ohne hinzuzufügen, dass das EuGH-Urteil selbstverständlich zu respektieren und eine entsprechende Verordnung seines Ministeriums bereits in Vorbereitung sei. Erwartet wird diese bis Ende des Jahres.

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Die zweite Überraschung des EuGH-Spruches ist, dass das „Abfallende“ laut den europäischen Höchstrichtern insgesamt leichter erreichbar ist. War das Abfallende bisher an die Übergabe an einen befugten Entsorger oder Recycler geknüpft, so kann nun laut EuGH das Abfallende durch einfache Qualitätskontrolle erreicht werden. Es muss also lediglich nachgewiesen und dokumentiert werden, dass es sich bei dem Aushub um kein kontaminiertes oder sonstwie behandlungspflichtiges Material handelt, sondern um schlichte Erde – und schon ist die „Wiederverwertung“ möglich. Das ist für Sektionschef Holzer „sogar noch schräger“: Denn der Ausdruck „Wiederverwertung“ impliziert für ihn ja geradezu, dass der Aushub schon einmal für einen konkreten Zweck verwendet worden ist. Und das ist bei Erde, die einem Bauvorhaben weichen muss, ja definitiv nicht der Fall.

Logistik und Marktentwicklung als Herausforderung

Etwas anders sieht Thomas Kasper als Präsident des Österreichischen Baustoff-Recycling-Verbands (BRV) die Situation. Für ihn ist das EuGH-Urteil nur konsequent, den seiner Ansicht nach wäre es auch im Rahmen der bestehenden österreichischen Gesetzeslage zulässig gewesen, zu demselben Ergebnis wie die europäischen Richter zu kommen. Und so sehr er sich naturgemäß über den Spruch und die kommende Umsetzung in der österreichischen Rechtspraxis freut, sieht er bereits eine viel größere Herausforderung auf die Branche zukommen: „Die logistische Umsetzung ist wichtiger als die juristische Definition!“ Denn, zur Erinnerung an die riesige Dimension, immerhin geht es um eine Menge von 40. Mio Tonnen pro Jahr, die im Idealfall just-in-time und örtlich nahe der jeweiligen Baustelle für die Wiederverwertung nutzbar zu machen wären.

In eine ähnliche Kerbe schlägt Stefan Jung, Projektleiter bei STC Development. „Das Urteil ist eine konsequente Weiterführung der Kreislaufwirtschaft am Bau und erleichtert es uns, mit dem Bodenaushub umzugehen“, so der Immobilienentwickler. Aber es ist nicht damit getan, einfach nur über die Grenzen der Quartiersentwicklung hinaus zu denken. Es braucht auch strukturelle Lösungen dafür, beispielsweise eine digitale Informationsdrehscheibe, die den Bedarf an Bodenaushub erfasst und so als Marktplatz dienen kann. Beim Stichwort „Markt“ kommt noch eine weitere Dimension hinzu: Welchen Wert soll der Bodenaushub haben, wenn er als Nebenprodukt wiederverwertbar wird? Das wird von der zeitlichen und räumlichen Nähe sowie von der Möglichkeit zum Informationsaustausch abhängen, so die Conclusio der Diskutanten. Den Lacher hatte hier David Suchanek auf seiner Seite, der allzu hochfliegenden Träumen gleich mal einen Riegel vorschob: „Man kann aus dem EUGH-Urteil nicht ableiten, dass man jedem Dreck Produktstatus gibt!“

Über die Saubermacher Akademie

Die Veranstaltungsreihe informiert über wesentliche Neuerungen in der Abfallwirtschaft. Die Themen reichen von Elektroaltgeräten über Kanalwirtschaft bis zu Bauthemen. Bei der Veranstaltung am 15. März stand das EuGH-Urteil zum Bodenaushub im Mittelpunkt. Weiter Vorträge befassten sich unter anderem mit dem Bundesabfallwirtschaftsplan und seinen Folgen für die Bauwirtschaft: Hier informierten Alois Fürnkranz, Arbeitsgruppenleiter Nachhaltiges Bauen im VOEB, mit den kommenden Deponierungsverboten von Stoffen wie Asphalt oder künstlichen Mineralfasern. Robbi Steffen von Digital Findet Stadt nahm die Taxonomieverordnung und ihre Auswirkungen auf die Bauwirtschaft unter die Lupe; insbesondere die nötige Dokumentation von Baustoffen und die Überführung in einen digitalen Gebäudepass wird die Bauwirtschaft in den kommenden Jahren beschäftigen. Eine abschließende Podiumsdiskussion über die Kreislaufwirtschaft am Bau versammelte Branchengrößen wie Saint-Gobain Austria CEO Peter Giffinger, Caroline Palfy (Geschäftsführerin Handler Holding) und Andreas Opelt (CEO Saubermacher).

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