SOLID 05/2022 : Preiswahnsinn am Bau: „Groscherl zählen“ ist gefragt

Wohnbau mit Kränen

Auf der Baustelle gilt es, noch mehr aufs Geld zu schauen.

- © slavun - stock.adobe.com

Das Ende der Fixpreise bei Bauaufträgen, die gestiegenen Kosten, die Rohstoffknappheit und die damit einhergehende Materialverfügbarkeit bedeutet nicht die erste Herausforderung in der Baubranche. Aber eine der am längsten andauernden und am schwierigsten einschätzbaren. Das zeigt sich im Gespräch mit Baumeister Stefan Graf, Geschäftsführender Gesellschafter, CEO, bei Leyrer + Graf. Er verweist auf die Finanzkrise 2008, die sich auch erst mit ein bis zwei Jahren Verzögerung im Baubereich bemerkbar gemacht habe. Mit dieser zeitlichen Komponente von sechs Monaten bis zu zwei Jahren je nach Projektgröße rechnet er auch dieses Mal. Dennoch wagt er keine Prognosen abzugeben, wann sich die Lage entspannen könnte: „Die Welt hat sich bereits durch Corona total geändert. Dies ist durch die Ukraine-Krise, die Rohstoffknappheit und die Lieferketten weiter gegangen. Wir für uns beobachten einmal und wollen die Situation Anfang Juni dann neuerlich bewerten“, so Graf.

Noch weiter zurück, nämlich fast 50 Jahre, geht WIFO-Ökonom Michael Klien. Auch in den 1970er-Jahren spielten die Preise verrückt, um sich schließlich wieder einzupendeln: „Die Preissteigerungen kamen 1974/75 zu einem Ende, weil die Baukonjunktur spürbar schwächer wurde. Es war damals ein Rückgang in der Nachfrage nach Bauleistungen, die auch der Preisdynamik ein Ende bereitet haben“, informiert Klien. Ähnliches erwartet er für die momentane Situation: „Selbst, wenn sich die Baukosten schneller wieder beruhigen, werden die Baupreise erst beim Abflauen des Baubooms schwächer wachsen.“ Die Hoffnung, dass es heuer zu einer Beruhigung bei den Baupreisen durch eher moderate Steigerungen komme, sei laut Klien durch die Ukraine-Krise zerschlagen worden. Er rechnet, dass es auch 2022 bei dynamischen Kostenentwicklungen bleibt und es frühestens 2023 eine Entspannung eintritt.

Stefan Graf, Leyrer + Graf
Stefan Graf, Leyrer + Graf beobachtet die aktuelle Lage, sieht aber derzeit noch keinen Handlungsbedarf. - © Leyrer + Graf

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Erste Bauprojekte werden bereits gestoppt

Damit sind auch die gemeinnützigen Bauvereinigungen konfrontiert, wie es GBV-Obmannstellvertreter Herwig Pernsteiner zur Sprache bringt: „In einigen Bundesländern mussten bereits Projekte gestoppt werden. Neben den weiterhin hohen Rohstoffkosten erweisen sich die Baupreise aktuell als unkalkulierbar. Angebote gelten immer kürzer oder sind teils gar nicht zu bekommen. Wie sich diese Kostensteigerungen langfristig auf die Produktion von leistbaren Wohnungen auswirkt, ist noch offen.“

So werden in Tirol heuer um 200 Wohnungen weniger als im Vorjahr gebaut. 2021 waren es 1.355, jetzt sind es 1.170. Als Gründe werden die Baukosten und die hohen Grundstückspreise genannt. Aus anderen Bundesländern ist ähnliches zu hören. GBV-Obmann Bernd Rießland ist zuversichtlich, dass die Bautätigkeit nur kurze Zeit gebremst sein wird: „Es sind weiterhin 32.000 GBV-Wohnungen in Bau. Die Auswirkungen werden sich erst zeitverzögert zeigen.“ Ebenfalls keinen Rückgang an Aufträgen sieht WIFO-Experte Klien. Bei Leyrer + Graf merkt man es leicht, dass Aufträge nicht vergeben werden – im Wohnbau, bei Privaten und auch öffentliche Auftraggeber verschiebt sich das eine oder andere Projekt um ein bis zwei Jahre.

Pressekonferenz zur GBV-Baubilanz 2021 im Presseclub Concordia am 6. April 2022.
Herwig Pernsteiner und GBV-Obmann Bernd Rießland gehen davon aus, dass die Bautätigkeit nur kurze Zeit ausgebremst - © Christian Lendl (www.dchr.is)

Baukostenobergrenze in OÖ erhöht

Erste Maßnahmen gegen die Preisexplosion in der Baubranche – von Februar auf März waren es plus fünf Prozent, hat in Oberösterreich nun die Politik auf den Plan gerufen. Bei einem Krisengipfel mit dem Land OÖ, den Wohnbauträgern und der Bauwirtschaft wurde die Erhöhung der Baukostenobergrenze um 300 Euro pro Quadratmeter zugesagt. Das sei je nach Bauprojekt ein Plus von 15 bis 22 Prozent. „Durch den gemeinsamen Schulterschluss mit den gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften und dem Land OÖ werden die Bauunternehmen überhaupt wieder in der Lage sein, Angebote abzugeben und dadurch einen Stillstand auf den Baustellen abwenden zu können“, meint Landesinnungsmeister Norbert Hartl.

Beim Verband informiert man darüber, dass Preisobergrenzen in der Wohnbauförderung eine sehr lange Tradition haben. „In Abstimmung mit den Ländern bezüglich Einhaltung der Höchstpreise gibt es einen gewissen Spielraum bezügliche der Miete, weil Laufzeiten von Darlehen etwas gestreckt werden können und damit die Mieterhöhung in geringem Umfang abgefedert werden kann“, verrät Obmann Rießland. Steigende Zinsen und fehlende Fixzinssätze können jedoch wieder zu einem Durchschlagen auf die Miete führen.

Ökonom Michael Klien verweist weiters auf die Freiheit in der Vertragsgestaltung zwischen Bauherren und Ausführenden: „Selbst bei den momentan laufenden Bauprojekten, wo die Fixpreise teils deutlich unter den realisierten Kosten liegen, gibt es nicht selten Nachverhandlungen, wo die Preissteigerungen geteilt werden.“ Er glaubt, dass es bei anstehenden Projekten darauf ankomme, wie die Verhandlungsmacht verteilt ist. „Die Bauunternehmen sind aktuell aufgrund der hohen Auftragsbestände in einer komfortablen Position. Sie sind nicht gezwungen, schlecht kalkulierte oder riskante Projekte zu übernehmen. Das macht es ihnen leichter, Änderungen in den Verträgen wie zum Beispiel die Abkehr von Fixpreisen durchzusetzen“, ist Klien überzeugt.

Stefan Graf bringt in diesem Zusammenhang den gesamtvolkswirtschaftlichen Aspekt ins Spiel: „Wir versuchen Verständnis für die Auftraggeber zu haben. Der partnerschaftliche Blick darf nicht außer Acht gelassen werden. Die Preise sind nicht vernünftig kalkulierbar, das ist ein Teufelskreis für alle.“

Norbert Hartl, Landesinnungsmeister OÖ, freut sich über die gemeinsame Lösung in Oberösterreich und weitere Baumöglichkeiten.

- © Landesinnung Bau OÖ

Michael Klien, WIFO, glaubt, dass es frühestens 2023 zu einer Entspannung der Lage kommen wird.

- © WIFO

Baubranche mit großem Zuwachs an Arbeitsplätzen

Im Großen und Ganzen wird von einer hohen Auslastung gesprochen. „Trotz gegenwärtiger Preissteigerungen und beträchtlicher Unsicherheiten wegen des Krieges in der Ukraine ist derzeit in Österreich kein Mitarbeiterabbau in der Bauwirtschaft feststellbar. Auch unsere mittelfristigen Prognosen gehen für Österreich davon aus, dass das Bauwesen in den nächsten Jahren zu den Branchen mit dem größten Zuwachs an Arbeitsplätzen gehören wird“, zeichnet AMS-Pressesprecher Mag. Mathieu Völker ein positives Bild der Bauwirtschaft. Laut WIFO-Konjunkturtest ist der Arbeitskräftemangel sogar vor dem Materialmangel wieder Produktionshemmnis Nr. 1. Auch eine möglicherweise steigende Zahl an Insolvenzen steht den guten Beschäftigungsmöglichkeiten in der Bauwirtschaft nicht im Weg. Prognosen aus dem 1. Quartal 2022 zeigen, dass die Aktivbeschäftigung im österreichischen Baubereich ein Plus von 17.900 Personen im Vergleich 2021/2026 aufweisen wird. Die Arbeitslosigkeit ist in den nächsten Jahren in allen Berufsgruppen rückläufig, im Bereich Industrie und Gewerbe um minus 18.000 bis zum Jahr 2026 im Vergleich zum Jahr 2021.

Ebenfalls keine Gefahr durch die derzeitigen Herausforderungen fürs Personal sieht GBV-Obmann Dr. Bernd Rießland: „Der Großteil der Mitarbeit im Bereich der Verwaltung und bei der Projektentwicklung geht über lange Zeiträume.“ Dem stimmt DI Stefan Graf zu: „Dadurch, dass wir ein großes Spektrum anbieten und in keiner Nische angesiedelt sind, haben wir die Möglichkeit umzuschichten. Unsere Mitarbeiter sind oft schon sehr lange bei uns, gemeinsam haben wir viel durchgestanden und sehen es mit einem gewissen Maß an Gelassenheit.“

Anders die Situation in Deutschland: Hier stellt sich die Bauindustrie wegen des anhaltenden Materialmangels und steigender Preise auf Kurzarbeit ein. Die Situation habe sich weiter verschärft, sagte der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie, Tim-Oliver Müller, im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Mitte April. Weil Material nicht mehr zu bekommen sei oder weil sie auf fallende Preise hofften, hätten mittlerweile 40 Prozent der Auftraggeber Aufträge zurückgestellt, 30 Prozent sogar storniert. Der Verbandsvertreter nannte die Situation absurd: Vor Wochen habe die Branche noch händeringend um Arbeitskräfte geworben, „heute müssen wir uns Gedanken machen, wie wir die halten, die wir haben“.