Vergaberecht : Whistleblowing im öffentlichen Auftragswesen

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Fokus auf öffentliches Auftragswesen

Ziel des neuen HinweisgeberInnenschutzgesetzes (HSchG, im Volksmund Whistleblower-Richtlinie) ist es, rechtskonformes Verhalten zu bestärken und sichere Kanäle zur Verfügung zu stellen, um Rechtsverletzungen in Bereichen von besonderem öffentlichem Interesse melden zu können, ohne Repressalien fürchten zu müssen.
Neben Rechtsbereichen wie Umweltschutz oder öffentliche Gesundheit gilt der Fokus des Gesetzes insbesondere dem öffentlichen Auftragswesen als durchaus korruptionsanfälligem Bereich öffentlicher Mittelverwendung.

Wer ist ein Hinweisgeber?


Das HinweisgeberInnenschutzgesetz gilt für alle Personen, die aufgrund laufender oder früherer beruflicher Verbindung Informationen über eine Rechtsverletzung in den im Gesetz aufgezählten "sensiblen" Bereichen erlangt haben. Der Kreis der geschützten Hinweisgeber wird durch das Gesetz bewusst sehr weit gesteckt: Dies können (auch frühere) Arbeitnehmer, Bedienstete, überlassene Arbeitskräfte, Bewerber, Praktikanten, Lehrlinge, Mitglieder eines Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans oder sogar nur für das Unternehmen tätige Subunternehmer, Freelancer oder Lieferanten sein (das Gesetz verlangt nur eine "berufliche Verbindung"). Dabei ist nicht nur der unmittelbare Hinweisgeber geschützt, sondern auch Personen, die Hinweisgeber unterstützen oder sonst von nachteiligen Folgen betroffen sein können.

Der Schutz des Gesetzes gilt dann, wenn der Hinweisgeber auf Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Informationen und der tatsächlichen Umstände mit hinreichenden Gründen annehmen konnte, dass der von ihm gegebene Hinweis wahr ist und in den Geltungsbereich des Gesetzes fällt. Nicht schützenswert ist ein Melder also, wenn er weiß, dass der gemeldete Hinweis gar nicht der Wahrheit entspricht. Ein "gutgläubiger" Hinweisgeber ist aber jedenfalls vom Gesetz geschützt, selbst wenn sich der Hinweis als unzutreffend oder nicht relevant herausstellen sollte.

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AKTUELLE AUSGABE

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Welche Unternehmen müssen die Vorgaben zum Hinweisgeberschutz umsetzen?

So weit der Schutzbereich für die Hinweisgeber gesteckt wurde, so unklar ist die Definition der durch das Gesetz Verpflichteten: Grundsätzlich soll das Gesetz für Unternehmen und juristische Personen des öffentlichen Sektors mit jeweils 50 oder mehr Arbeiternehmern oder Bediensteten gelten, sofern (?) sie in den genannten "sensiblen" Bereichen Hinweise auf Rechtsverletzungen erhalten (können?).

Da die "sensiblen" Bereiche aber sehr weitreichend sind bzw faktisch wohl jedes Unternehmen (zumindest theoretisch) in diesen Bereichen Rechtsverletzungen setzen könnte, gilt das Gesetz de facto wohl für alle Unternehmen mit 50 oder mehr Mitarbeitern. Sowohl öffentliche Auftraggeber (Bund, Länder, Gemeinden, sonstige Rechtsträger wie BIG, Asfinag usw) als auch private Unternehmen müssen daher entsprechende Meldekanäle vorsehen.

Die Umsetzung (Einrichtung interner Stellen) hat binnen der folgenden Zeiträume zu erfolgen:

* Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern müssen die Vorgaben des HinweisgeberInnenschutzgesetzes bis längstens 25.8.2023 umsetzen;

* Unternehmen mit 50-250 Mitarbeitern müssen die Vorgaben bis längstens 17.12.2023 umsetzen.

Sind Hinweisgeber ausreichend geschützt?

Das HSchG schützt nur die Hinweisgebung betreffend Rechtsverletzungen in den definierten Bereichen. Zwar umfasst eine Rechtsverletzung laut Gesetzesdefinition jeden Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift der genannten Bereiche oder gegen deren Ziel oder Zweck. Es bleibt aber – was schon im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses kritisiert wurde – das Risiko des Hinweisgebers, ob die Verletzung tatsächlich einem der genannten Bereiche zuzuordnen ist (widrigenfalls er oder sie keinen Hinweisgeberschutz genießt).

Im öffentlichen Auftragswesen ist die Zuordnung auf den ersten Blick relativ einfach: Alle Verstöße gegen das Bundesvergabegesetz sind umfasst. Dies können z.B. Nichtbeachtung/Verstöße bei der Auftragswertberechnung und Wahl des Vergabeverfahrens (z.B. unzulässige Direktvergaben) sein, das Nicht-Verhindern von Interessenskonflikten, rechtswidrig auf bestimmte Bieter "zugeschnittene" Ausschreibungen oder Verstöße gegen Geheimhaltungsvorschriften während eines Vergabeverfahrens (z.B. Weitergabe von Angebotspreisen oder Kalkulationsunterlagen).

Etwas schwieriger fällt schon die Einordnung von Absprachen mit anderen Wettbewerbern oder Betrug. Das Gesetz bietet hier nämlich durchaus Interpretationsspielraum: So sehen die Materialien zum HSchG wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Vergabeverfahren (§ 168b StGB) sowie Betrug (§ 146 ff StGB) nur dann vom Anwendungsbereich und damit Schutzbereich des Gesetzes erfasst, soweit dadurch die finanziellen Interessen der Europäischen Union geschädigt wurden oder hätten werden können. Sind daher nur Abreden bei Vergabeverfahren unter der Verwendung von Unionsmitteln vom HSchG erfasst? Das kann unseres Erachtens vor dem Hintergrund und den Zielen des Gesetzes nicht sein: Der faire und lautere Wettbewerb ist ein derartiges Kernelement des öffentlichen Auftragswesens, dass die Meldung von Verstößen dagegen – unabhängig von der Verwendung von Unionsmitteln – geschützt sein muss. Klarheit kann allerdings nur der Gesetzgeber oder die Rechtsprechung bringen.

Ob z.B. ein "klassischer" Betrug (etwa überhöhte Abrechnungen) vom Anwendungsbereich des Gesetzes erfasst ist, könnte aber durchaus diskutiert werden. Sicherheit für Hinweisgeber würde dementsprechend nur dann bestehen, wenn das Hinweisgeberschutzsystem vom jeweiligen Unternehmen freiwillig erweitert würde.

Was haben Unternehmen zu tun?

Die betroffenen Unternehmen (und öffentliche Auftraggeber) müssen entsprechende (interne) Hinweisgeberschutzsysteme implementieren. Das Hinweisgeberschutzsystem bzw die Meldestelle ist dabei finanziell und personell hinreichend auszustatten, um die Aufgaben entsprechend dem HSchG (unparteilich und weisungsfrei) wahrnehmen zu können.

Auch ist sicherzustellen (sowohl prozessual als auch personell/finanziell), dass die Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers und Dritter gewahrt wird. Jeder Hinweis ist auf seine Stichhaltigkeit zu überprüfen und die Prüfung zu dokumentieren; offenkundig falsche Hinweise sind zurückzuweisen. Spätestens drei Monate nach Entgegennahme des Hinweises ist dem Hinweisgeber bekannt zu geben, welche Maßnahmen ergriffen wurden oder aus welchen Gründen der Hinweis nicht weiterverfolgt wird.

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Höhe der Strafen

Die Behinderung der Hinweisgebung, der Druck auf einen Hinweisgeber oder die Setzung von Vergeltungsmaßnahmen für eine Hinweisgebung, die Verletzung der Bestimmungen zum Schutz der Vertraulichkeit sowie die wissentlich falsche Hinweisgebung sind mit einer Verwaltungsstrafe von bis zu 20.000,- Euro im Wiederholungsfall 40.000,- Euro bedroht (sofern nicht andere Gesetze eine strengere Bestrafung vorsehen).

Zusammenfassung

Das HinweisgeberInnenschutzgesetz trifft – neben öffentlichen Stellen – eine Vielzahl von "privaten" Unternehmen; de facto wohl jedes Unternehmen mit 50 oder mehr Mitarbeitern. Die betroffenen Unternehmen sind verpflichtet, Meldekanäle bzw -systeme einzuführen und die Hinweisgeber entsprechend zu schützen.

Unabhängig davon ist Unternehmen aber ohnehin anzuraten, im Rahmen der Compliance entsprechende Whistleblower-Systeme bzw ein Compliance Management System (CMS) vorzusehen. Ein robustes CMS kann – neben der Sicherung rechtskonformen Verhaltens – vor einer Vielzahl von Haftungen (Geschäftsführerhaftung, Haftung im Rahmen der Verbandsverantwortlichkeit usw) bewahren als auch im Extremfall das unternehmerische "Überleben" sichern (wenn mit dem CMS die "Selbstreinigung" des Unternehmens und damit die Wiedererlangung der Zuverlässigkeit für die Erbringung von öffentlichen Aufträgen sichergestellt wird).

Praxistipps:

Das neue HinweisgeberInnenschutzgesetz soll Whistleblower/Hinweisgeber schützen, die auf Missstände/Rechtsverletzungen in bestimmten Bereichen (etwa öffentliches Auftragswesen, Umweltschutz, Produktsicherheit) hinweisen, und derart Compliance und Transparenz in Bereichen von öffentlichem Interesse stärken.

Auch wenn das Gesetz zum Anwendungsbereich schwammig ist, wird das Gesetz – neben dem "öffentlichen Bereich" – de facto für jedes "private" Unternehmen mit 50 oder mehr Mitarbeitern gelten. Faktisch wird wohl jedes Unternehmen mit 50 Mitarbeitern die Vorgaben an den Hinweisgeberschutz umsetzen müssen!
*Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern müssen die Vorgaben des Hinweisgeberinnenschutzgesetzes (Einrichtung interner Stellen bzw Kanäle) bis längstens 25.8.2023 umsetzen;
* Unternehmen mit 50-250 Mitarbeitern müssen die Vorgaben bis längstens 17.12.2023 umsetzen.

Die Einrichtung eines funktionierenden Whistleblowing-Systems ist notwendiges Element eines robusten Compliance Management Systems. Zur Vermeidung von Haftungen und insbesondere für die Beurteilung der vergaberechtlichen Zuverlässigkeit kann einem solchen System – unabhängig von der konkreten Geltung des HinweisgeberInnenschutzgesetzes – immense Bedeutung zukommen (Stichwort "Selbstreinigung").