Baurecht : Sicherstellung bei Bauverträgen

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Seit Inkrafttreten des § 1170b ABGB vor mittlerweile 16 Jahren diskutieren Baujuristen in Fachbeiträgen wie auch in der Praxis zahlreiche Detailfragen zur "Sicherstellung bei Bauverträgen". Auch im vergangenen Kalenderjahr beschäftigten uns neue wie bereits bekannte Fragestellungen im Zusammenhang mit dieser – der "Bauhandwerkersicherung" des deutschen Bundesgesetzbuches nachgebildeten – Bestimmung.

Wenngleich wir uns im SOLID bereits (mehrfach) mit § 1170b ABGB auseinandergesetzt haben, möchten wir in dieser ersten Ausgabe im Jahr 2023 aktuelle Praxisbeispiele mit einem Überblick über die Grundlagen dieser gesetzlichen Bestimmung verknüpfen:

Nur juristische Personen öffentlichen Rechts sind ausgenommen:

Ein Auftragnehmer (AN), der aufgrund eines Bauvertrages verpflichtet ist, Bau- oder Planungsleistungen zu erbringen, kann vom Auftraggeber (AG) für das noch ausstehende Entgelt eine Sicherstellung (in Form von Bargeld oder – wie in der Praxis üblich – Bank- oder Versicherungsgarantien) verlangen.
Der AN kann jedoch keine Sicherstellung verlangen, wenn der AG ein Verbraucher oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist. Ein häufiger Irrtum in diesem Zusammenhang ist, dass auch juristische Personen des Privatrechts, denen öffentlich-rechtliche Aufgaben übertragen werden (z.B. im Infrastruktur- oder Gesundheitsbereich) und an denen juristische Personen des öffentlichen Rechts wie Bund oder Länder (auch mehrheitlich) beteiligt sind, ebenfalls ausgenommen sind.

Tatsächlich kommt es jedoch für die im Gesetz genannte Ausnahme ausschließlich auf die öffentlich-rechtliche Organisationsform an, die beispielsweise Gemeinden, Länder, der Bund oder die verschiedenen Kammern besitzen.

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Praxisfälle zur Ermittlung der Höhe der zu übergebenden Sicherstellung:

Die Höhe der vom AG auf Aufforderung des AN zu legenden Sicherstellung ist einerseits mit der Höhe des noch ausstehenden Entgelts und andererseits durch eine Höchstgrenze von 20% des vereinbarten Entgelts (bei innerhalb von drei Monaten zu erfüllenden Verträgen mit 40% des vereinbarten Entgelts) begrenzt. Gerade im Zusammenhang mit der Höhe der zu leistenden Sicherstellung stellen sich interessante Fragen, die bisher nicht höchstgerichtlich entschieden wurden:

Weitgehend unstrittig ist, dass beim "vereinbarten Entgelt", sohin der Bemessungsgrundlage für die Höhe der Sicherstellung, beauftragte Nachträge, also einvernehmliche Vertragsänderungen, zu berücksichtigen sind. Strittige Nachträge sind unserer Ansicht nach und ausgehend von der bisher zu dieser Thematik ergangenen Rechtsprechung – wenn überhaupt – nur in jenem Ausmaß zu berücksichtigen, in dem deren Zurechtbestehen offensichtlich ist.

Im letzten Jahr hat uns in diesem Zusammenhang auch die Frage beschäftigt, ob die Höhe der Sicherstellung vom Netto- oder Brutto-Werklohn ausgehend zu berechnen ist. Grundsätzlich stellt der auf die Umsatzsteuer entfallenden Anteil des Werklohns einen Teil des "vereinbarten Entgelts" dar. In diesem Zusammenhang kommt unseres Erachtens jedoch § 19 Abs 1a UStG Bedeutung zu: Danach ist ein Übergang der Steuerschuld auf den AG als Leistungsempfänger möglich, wenn dieser selbst mit der Erbringung von Bauleistungen beauftragt ist. In diesem Fall schuldet der AG gegenüber dem AN den sonst auf die Umsatzsteuer entfallenden Anteil des Werklohns nicht; dieser stellt sohin auch keinen Teil des "vereinbarten Werklohns" dar und ist die Höhe der Sicherstellung in diesen Fällen vom Netto-Werklohn zu ermitteln.

Zur Höhe der Sicherstellung ist auch zu erwähnen, dass die unberechtigte Forderung einer zu hohen Sicherstellung nicht die Unwirksamkeit des Sicherungsbegehrens zur Folge hat. Dieses Begehren ist vielmehr auf seinen zulässigen Inhalt zu reduzieren, was kurz gesagt bedeutet, dass der AG auch dann, wenn der AN eine zu hohe Sicherstellung fordert, verpflichtet ist, eine Sicherstellung in berechtigter Höhe zu übergeben. Dieser Umstand wurde zuletzt vom OGH jedoch dahingehend eingeschränkt, dass ein solches Sicherstellungsbegehren nur dann auf den zulässigen Inhalt zu reduzieren ist, wenn der AG die Höhe der Sicherstellung selbst ohne weiteres erkennen kann.

Die vom AN geforderte Sicherstellung ist vom AG binnen angemessener, vom AN festzusetzender Frist zu leisten; als angemessen erscheint in der Regel eine Frist von sieben bis 14 Tagen. Kommt der AG dem Sicherstellungsverlangen des AN nicht, nicht ausreichend nach, so kann der AN die weitere Leistungserbringung verweigern und unter Setzung einer ebenso angemessenen Nachfrist die Vertragsaufhebung erklären. Kommt es zu einer Vertragsaufhebung, so hat der AN Anspruch auf das gesamte vereinbarte Entgelt, abzüglich dessen, was er sich erspart oder zu ersparen absichtlich verabsäumt hat.

§ 1170b ABGB ist zwingendes und "uneinschränkbares" Recht

Dieses oben skizzierte Recht des AN auf Übergabe einer Sicherstellung kann vertraglich nicht abbedungen werden, ist also zwingend. Auch jegliche Einschränkung dieses Rechts durch einen vertraglichen Verzicht, eine ziffernmäßige Beschränkung (auf eine geringere Höhe als gesetzlich vorgesehen) oder ähnliche Vertragsbestimmungen ist unzulässig.

In der Praxis spielen insbesondere sogenannte "Retorsionsklauseln" eine Rolle: Diese sehen eine Verknüpfung zwischen der Aufforderung zur Übergabe einer Sicherstellung gemäß § 1170 ABGB einerseits und beispielsweise der Verpflichtung zur Übergabe einer Vertragserfüllungsgarantie andererseits vor; eine solche Verknüpfung ist nach ganz herrschender Ansicht unzulässig. Eine Bestimmung, wonach der Anspruch des AG auf Übergabe einer Vertragserfüllungsgarantie (nur) für den Fall entsteht, dass der AN eine Sicherstellung gemäß § 1170b ABGB fordert, ist unwirksam. Das heißt, der AN wäre in diesem Fall nicht verpflichtet, eine Vertragserfüllungsgarantie zu übergeben, ohne die vertraglich bedungenen Rechtsfolgen fürchten zu müssen.

Tipps aus aktuellen Praxisfällen:

* Einvernehmliche Vertragsänderungen aufgrund von unstrittigen Nachträgen sind bei der Ermittlung der Höhe der Sicherstellung zu berücksichtigen; strittige Nachträge nur dann und insoweit deren Zurechtbestehen offensichtlich ist.

* Die Höhe der Sicherstellung bemisst sich in der Regel vom vereinbarten Brutto-Entgelt, es sei denn, es wurde ein Übergang der Steuerschuld auf den AG gemäß § 19 Abs 1a UStG vereinbart.

* Das Recht auf Sicherstellung darf nicht eingeschränkt oder vertraglich mit sonstigen Rechten des AG bzw Pflichten des AN verknüpft werden.