Digitalisierung der Schiene : Bahninfrastruktur: Interview mit ÖBB-Vorständin Judith Engel
Die größten Infrastruktur-Projekte
Was sind Ihre persönlichen Vorhaben als Mitglied des ÖBB-Vorstandes?
Judith Engel: Mein Ziel ist es, das größte Bauprogramm aller Zeiten, trotz eines sehr herausfordernden Umfelds wie Preissteigerungen, Energie, Lieferketten, Ressourcen und geopolitischen Entwicklungen umzusetzen parallel zu dem – hoffentlich auch weiter – steigenden Verkehr auf der Schiene. Damit möchte ich meinen Beitrag leisten, unser Schienennetz bereit für die Mobilitäts-Zukunft zu machen und Menschen für den Umstieg auf die Bahn zu begeistern. Denn: Jeder klimaneutral zurückgelegte Kilometer macht den Unterschied.
Welche Projekte werden heuer bzw. im kommenden Jahr abgeschlossen?
Im Jahr 2023 werden neben einigen Bahnhöfen etwa noch die Elektrifizierung zwischen Klagenfurt und Weizelsdorf oder der selektiv-zweigleisige Ausbau der Marchegger Ostbahn abgeschlossen.
Was sind die größten Infrastruktur-Projekte seitens der ÖBB?
Die größten Projekte sind der Brenner Nordzulauf (viergleisiger Ausbau zwischen Schaftenau und Radfeld), auf der Südstrecke die Koralmbahn zwischen Graz und Klagenfurt sowie der Semmering-Basistunnel, auf der Weststrecke der viergleisige Ausbau zwischen Linz und Wels, in der Ostregion der viergleisige Ausbau zwischen Wien Meidling und Mödling oder der Ausbau der Nordbahn
Bis 2028 sind 19 Milliarden Euro eingeplant
Von welchen Investitionen sprechen wir hier? Allein der Semmering-Basistunnel wird bis zu seiner Fertigstellung 2030 3,9 Milliarden Euro kosten.
Für den Ausbau und die Erhaltung des österreichischen Schienennetzes sind für die kommenden sechs Jahren von 2023 bis 2028 19 Milliarden Euro vorgesehen. Jährlich werden rund drei Milliarden Euro in Bahninfrastruktur investiert. Mit dem Ausbau und der Qualitätssicherung des Schienennetzes werden die Voraussetzung dafür geschaffen, dass insgesamt mehr Züge auf dem Schienennetz fahren können. Investitionen in die großen Hauptstrecken bringen mehr Geschwindigkeit und Kapazität zwischen den großen Ballungsräumen Österreichs – und mehr Komfort innerhalb der Ballungsräume, wie etwa im Großraum Wien. Neben den großen Hauptstrecken werden die Regionalbahnen attraktiviert und teilweise elektrifiziert.
Wie sieht es mit dem Güterverkehr aus?
Auch hier werden mehr Kapazitäten geschaffen, damit längere, schwerere und damit wirtschaftlichere Züge fahren können – das sichert die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der Straße.
Welche Rolle spielt Digitalisierung?
Auf der „Digitalisierung der Schiene“ für mehr Sicherheit und Effizienz im Bahnbetrieb liegt ein weiterer Schwerpunkt. Für Reisende optimieren wir auch das Mobilfunknetz entlang der Strecken. Zusätzlich investieren wir in die Digitalisierung der Kund:inneninformation.
Die herausforderndsten Baustellen
Das sind im wahrsten Sinn viele Baustellen. Welche davon sind die herausfordernsten?
In der Projektabwicklung warten verschiedenste Herausforderungen auf uns: Diese können beispielsweise technischer Natur sein, wie beim Semmering-Basistunnel, wo uns die geologischen Verhältnisse immer wieder vor neue Herausforderungen stellen. Eine große Herausforderung liegt auch darin, unser komplexes Bauprogramm unter laufenden Betrieb umzusetzen. Auf der Weststrecke arbeiten wir derzeit etwa intensiv daran, die zahlreichen Bauarbeiten der nächsten Jahre so einzutakten, dass Reisende möglichst wenig davon merken. Der Bahnbetrieb soll also möglichst stabil und pünktlich weiterlaufen. Weiters müssen unsere Projekte auch wie zuvor erwähnt mit den aktuellen Herausforderungen der allgemeinen Lage umgehen.
Wie sensibel reagieren Anrainer:innen auf Ihre Bauarbeiten? Bedarf es da einer speziellen Form der Kommunikation?
In der Anrainer:innen- und Stakeholder:innen-Kommunikation setzen wir auf zwei Säulen: Einerseits auf die möglichst transparente Informationspolitik auf Augenhöhe und andererseits auf die möglichst frühe Information und Einbindung aller Akteur:innen. Wir verschweigen nicht, dass unsere Bauarbeiten für einen begrenzten Zeitraum lärmintensiv sein können und zu Einschränkungen führen. Aber: Vom Ausbau der Bahninfrastruktur profitieren am Ende des Tages unsere Kund:innen durch ein besseres Angebot.
Müssen Sie dabei öfters auf Mediatoren zurückgreifen?
Nein, Mediationsverfahren waren bisher noch kaum notwendig. In der Planung und Umsetzung von Bahninfrastrukturvorhaben holen wir mit Runden Tischen, Dialogforen oder begleiteten Trassenauswahlverfahren die notwendigen Akteur:innen frühzeitig ins Boot. Entscheidend dabei ist insbesondere ein sehr früher Zeitpunkt für den Beginn dieser Aktivitäten. So kommt es in den meisten Fällen zu einer akzeptablen Lösung für alle.