Bauwirtschaft : „Die Bauunternehmen stecken in der Kostenfalle“
Wohnkredite mit strengen Kriterien
SOLID: Was beschäftigt die NÖ Baubranche derzeit am meisten?
Robert Jägersberger: Die strengeren Kriterien für die Vergabe von Wohnkrediten, die im August 2022 von der Finanzmarktaufsicht verordnet wurden. Ziel war es, Überhitzungserscheinungen im Immobiliensektor hintanzuhalten.
Sechs Monate später wurden die ersten negativen Auswirkungen auf Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze sichtbar: Die Finanzierungsbremse verursacht einen massiven Rückgang bei der Schaffung von Eigenheimen. Nicht nur, dass der Traum tausender Jungfamilien platzt, auch Arbeitsplätze und die Konjunkturlokomotive Bau sind gefährdet. Vor allem die auf den privaten Hausbau und die Errichtung von Wohnungen spezialisierten Baufirmen sind mit massiven Auftragsrückgängen konfrontiert. Damit entwickeln sich die FMA-Kriterien zu einem gefährlichen Boomerang für die Bauwirtschaft. Bei der Schaffung von Eigenheimen sind Vorlaufzeiten von bis zu einem Jahr durch Planung, Bewilligungen, Finanzierung und Vergabe einzurechnen. Ein Einbruch ab Sommer 2023 ist somit vorprogrammiert. Es braucht daher einerseits großzügigere und praktikablere Richtlinien für Wohnbaukredite, darüber hinaus aber auch zinsstützende Maßnahmen, um die langfristige Finanzierbarkeit des Wohnbaus zu gewährleisten.
Gestiegene Beschaffungskosten und Baustopps
Hinzu kommen Teuerungen, Verfügbarkeit, Krieg und Pandemie-Nachwirkungen: Wie sind hier die Auswirkungen auf die ausführende Bauwirtschaft?
Die Rückmeldungen unserer Mitgliedsbetriebe zeichnen hier ein völlig anderes Bild, als es von Seiten einiger Medien dargestellt wird. Sie berichten seit Monaten regelmäßig von Gewinnsteigerungen in der Bauwirtschaft. Dabei wird allerdings undifferenziert die Baustoffindustrie, die seit geraumer Zeit deutliche Preis- und Gewinnsteigerungen verzeichnen konnte, als Maßstab herangezogen. Sie zählt jedoch nicht zur ausführenden Bauwirtschaft, für die sich die Situation ganz anders gestaltet: Sie ist nämlich selbst Leidtragende der stark gestiegenen Beschaffungskosten. Die ausführende Bauwirtschaft agiert an der Schnittstelle mit dem Endkunden und muss daher einerseits die stark gestiegenen Beschaffungskosten und anderseits die budgetären Restriktionen der Kunden unter einen Hut bringen. Das ist aber angesichts der explodierenden Material- und Energiekosten mittlerweile nahezu unmöglich geworden und die Bauunternehmen stecken in der Kostenfalle.
Ein weiterer Punkt ist der Baustopp von manchen Gemeinnützigen.
Ähnlich wie im Einfamilienhaussektor ist auch im gemeinnützigen Wohnbau ein besorgniserregender Rückgang zu befürchten. Der politische Auftrag lautet allerdings, geplante und genehmigte Projekte umzusetzen, was wir natürlich zu 100 Prozent unterstützen. Die Baukostenobergrenze stellt uns hier aber vor zusätzliche Herausforderungen, welche es im Interesse der Bauwirtschaft unbedingt zu bewältigen gilt.
EU-Taxonomie und Kreditvergabe
Wie wirken sich EU-Taxonomie und die neue Kreditvergabe-Richtlinien auf Ihre Mitgliedsbetriebe aus?
Die Problematiken der Kreditvergabe-Richtlinien haben wir ja bereits erläutert. Bei der EU-Taxonomie kommt sicherlich auch etwas auf uns zu, derzeit wirkt sich das eher noch bei Großprojekten aus, wo Investoren im Hintergrund stehen. Wir gehen aber davon aus, dass sich das auch bei der Finanzierung von Kleinprojekten wie Einfamilienhäusern in abgeschwächter Form auswirken wird.
Wie hilft die Innung bei all diesen Herausforderungen?
Die Bundesinnung Bau hat bereits während Covid und anschließend auch anlässlich des Ukrainekrieges umfangreiche Rechtsgutachten zu den verschiedenen Sachverhalten ausarbeiten lassen. Darüber hinaus informieren wir im Rahmen von Veranstaltungen, Vorträgen und Seminaren bzw. natürlich nicht zuletzt auch in der persönlichen Beratung. Als Interessenvertretung kämpfen wir selbstverständlich für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen.
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"Ein wesentlicher Knackpunkt wird definitiv sein, wie seitens der öffentlichen Hand konjunkturbelebende Maßnahmen gesetzt werden können."
Bundesinnungsmeister Robert Jägersberger
Holzbau und Massivbau
In welchem Bereich wird momentan am meisten gebaut?
Im Gewerbe- bzw. Industriebau dürfte die Lage derzeit noch zufriedenstellend sein, im Sanierungsbereich hoffen wir auf eine Steigerung. Ein wesentlicher Knackpunkt wird definitiv sein, wie seitens der öffentlichen Hand konjunkturbelebende Maßnahmen gesetzt werden können.
Bauen mit Holz nimmt zu: Was bedeutet das für NÖ Baumeister-Betriebe?
Wir haben den Zimmermeister bzw. Holzbauer immer als Kollegen gesehen. Wo wir aber nicht mitkönnen, ist die einseitige politische Bevorzugung eines Baustoffs, dem ein vermeintlich ,grünes Mascherl` umgehängt wird. Wir bekennen uns zur Baustoffneutralität und sehen uns als Unternehmer, die den Kunden bzw. Markt entscheiden lassen.
Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft
Das bringt mich zu den Themen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft: Was wird hier in NÖ schon gemacht?
Im Bereich der Massivbaustoffe sind wir mit dem Recycling auf einem sehr guten Weg, so werden um die 90 Prozent des Betonabbruchs bzw. ein Großteil der mineralischen Baustoffe schon einer Wiederverwendung zugeführt. Weiters haben wir mit der Zukunftsagentur Bau gerade ein Projekt eingereicht, das sich mit der Herausforderung der Anwendung von Recyclingbaustoffen im Hochbau und deren Nachweis beschäftigt.
Wie wirkt sich die Klimakrise aufs Bauen aus?
Auch in diesem Bereich stehen wir vor großen Herausforderungen, so müssen wir uns in Zukunft noch stärker auf extreme Wetterereignisse wie Hitzeperioden, Stürme und Hochwasserereignisse einstellen. Hier kann der Massivbau mit seiner Standfestigkeit und Masse sicherlich einen guten Beitrag leisten.
In Zukunft werden wir uns noch stärker mit dem Thema Sommertauglichkeit von Gebäuden, sprich Kühlung beschäftigen müssen. Denn 1 Grad Abkühlung benötigt ungefähr so viel Energie wie 3 Grad aufheizen. Die Bauteilaktivierung, in deren Bereich wir in den vergangenen Jahren viel geforscht haben, kann hier einen sehr wertvollen energieeffizienten Beitrag leisten und Gebäude im Sommer wie im Winter behaglich halten.
Unsere Aufgabe sehe ich darin, langlebige Gebäude zu planen und zu errichten, die über die Lebensdauer mit einem möglichst hohen Anteil an alternativer Energie betrieben werden können. Denn die CO2-Emissionen bei der Errichtung von Gebäuden machen in der Regel etwa 10 % vom gesamten CO2-Fußabdruck aus. Der Betrieb des Gebäudes, einschließlich Heizung, Kühlung, Beleuchtung und anderen Energiebedarfen, etwa 80 %. Die verbleibenden 10 % entstehen während Entsorgung und Abbruch des Gebäudes.
Digitalisierung am Bau
Stichwort BIM/Digitalisierung: Wie weit ist man hier in NÖ? Schulungen seitens der Innung?
In Österreich gibt es mit dem MSc „Building Information Modeling“ ein Studium, das in dieser Form einzigartig im deutschsprachigen Raum ist. Hier können sich Baufachleute anwendungsorientiert zum BIM-Spezialisten weiterentwickeln und lernen dort fundiert, wie sie für sich bzw. ihr Unternehmen die Vorteile der fortschreitenden Digitalisierung am Bau und die damit einhergehenden Effizienzgewinne nutzbar machen.
Außerdem bietet die Bauakademie NÖ zum Beispiel Kurse wie den „Bauleiter Digital“ an. Auch in der Fachkräfteausbildung wurden seitens der Bundesinnung Bau starke Impulse in Richtung Digitalisierung gesetzt. Einerseits erhalten Lehrlinge das Bau-Lehre Tablet, andererseits gibt es seit 2019 die digitale Lern- und Wissensplattform E-Baulehre. Ein großer Schwerpunkt der Zukunftsagentur Bau ist es, die Vorteile der Digitalisierung auf breiter Basis für kleine und mittlere Betriebe zugänglich zu machen.
Was wünschen Sie sich für die kommenden drei Jahre?
Eine Stabilisierung der politischen und damit einhergehend wirtschaftlichen Lage, Frieden in Europa und endlich wieder einmal eine Zeit ohne Krisen und Katastrophen.