Bauwirtschaft : Baukonjunktur: "Gemengelage aus Wirtschaftsabkühlung, Inflation und Zinsen ist das Problem"
Inhalt
- Zwischen Überhitzung und Normalität
- Achillesferse Hoch- und Wohnungsbau und die veränderte Rolle der Renovierungen
- Über die im Vergleich zu Herbst 2022 veränderte Rolle des Energiepreises
- Über den größten Krisenfaktor, wenn es die Energie nicht mehr ist
- Über die positive Nachricht aus dem Wohnungsmarkt - und das Problematische daran
- Was die Betriebe tun können und sollen
Im Oktober 2022 veröffentlichte das Beraterunternehmen Roland Berger eine Studie zum Thema "Bauindustrie in DACH unter Druck". Die Kernaussagen damals waren:
- Die Branche könnte 2023 um fast 5 Prozent schrumpfen
- Der lange Jahre währende Bauboom gerät ins Stocken
- Wohnungs- und Neubau sowie Baustoffhersteller sind am stärksten betroffen
- Eine vollständige Erholung der Branche kann bis zu vier Jahre dauern
- Der Energiepreis spielt eine entscheidende Rolle
Wie sprachen nun - knapp ein Quartal später - vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen mit dem Studienautor Kai Stefan Schober, einem langjährigen Branchenexperten sowohl für ausführende Unternehmen als auch die Zulieferindustrie.
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Lesen Sie in der Folge die wichtigsten Aussagen von Kai Schober:
Zwischen Überhitzung und Normalität
„Wenn man die Entwicklung der letzten zwei, drei Jahre betrachtet, kann man die Verlangsamung auch bis zu einem gewissen Maß erst einmal als Schritt zurück in Richtung Normalität interpretieren.“
„In Deutschland gibt es im Bauhauptgewerbe Auftragsbestände von bis zu 18 Monaten – das ist für die Branche natürlich positiv (Anm. der Redaktion: die diesbezügliche Situation ist in Österreich ähnlich). Nach 17 Jahren Bauboom hatte sich allerdings eine Überhitzung im Markt angedeutet, die mit Kapazitätsengpässen einhergeht. Fallen in 2023 Aufträge weg, ist das zunächst eine gewisse Normalisierung. Ab einem bestimmten Maß bzw. je länger dieser negative Trend anhält, geht es darüber hinaus und desto kritischer wird es für die Unternehmen. Anpassungen werden notwendig.“
„Viele Unternehmen in der Bauwirtschaft wussten in den letzten Jahren nicht, wie sie die Aufträge bewältigen sollten. Das gilt sowohl für das Bauhauptgewerbe als auch das Handwerk. Die Baustoffhersteller wiederum konnten lange Zeit ihre gestiegenen Kosten über höhere Preise weiterreichen. Dementsprechend positiv haben sich die Firmen entwickelt – das hat sich auch in den Jahresabschlüssen 2021 niedergeschlagen und wird sich teilweise sogar noch in 2022 bemerkbar machen.“
Achillesferse Hoch- und Wohnungsbau und die veränderte Rolle der Renovierungen
„Bei einigen Anbietern wird die Abkühlung schon bemerkbar. Das sind vor allem Unternehmen, die im Bau bzw. der Belieferung des Ein- oder Zwei-Familien-Hausbau sehr aktiv sind. Allerdings wird sich auch im privaten Hausbau, aber auch im Wohnungsbau gesamt das wirkliche Ausmaß der Entwicklung erst in diesem oder sogar erst im nächsten Jahr zeigen. Wir haben hier in 2022 einen drastischen Rückgang von Baugenehmigungen und Auftragseingänge verzeichnen müssen. Die Steigerung der Energiekosten hat zudem bei Baustoffherstellern bereits für ein Abschmelzen der Rendite gesorgt.“
„Vor allem private Bauherren und Sanierer sind schon Anfang oder Mitte des Jahres 2022 ganz stark auf die Bremse getreten. Der rapide Rückgang der Baugenehmigungen in Deutschland ist ein Indikator hierfür. Damit zeigt sich eine ganz andere Ausgangslage als in den Krisen zuvor. Sowohl in der Corona- als auch in der Finanzkrise war es immer der private Wohnungsbau, der für die Bauwirtschaft ein starkes Rückgrat gebildet hat.“
„Der Wohnungsbau macht knapp 60 Prozent des Deutschen Bauvolumens aus. Somit ist ein Rückgang hier gewichtiger als bei dem Infrastruktur- oder Gewerbebau. In Krisenzeiten kompensieren Renovierungen den fehlenden Neubau häufig. Allerdings wurden während der Corona-Pandemie meinem Eindruck nach sehr viele Renovierungsarbeiten vorweggenommen. Es ist zweifelhaft, ob es in dieser Krise ebenfalls der Fall sein wird. Alle größeren Sanierungsarbeiten wie Dach- oder Heizanlagen oder ähnliches sind mit den hohen Zinssätzen wirtschaftlich hinterfragbar. Sicherlich sorgt die Energiekrise dafür, dass Wärmepumpen oder PV-Anlagen stark nachgefragt werden. Das führt aber zunächst zu Liefer- und Arbeitskraftengpässen.“
Über die im Vergleich zu Herbst 2022 veränderte Rolle des Energiepreises
„Man darf optimistisch sein. Die Energiepreise sind wieder stark zurückgegangen, werden aber volatil bleiben. In meinen Gesprächen mit Unternehmen ist das Energiethema aktuell nicht mehr ganz so präsent, wie es vielleicht vor fünf oder sechs Monaten war.“
Über den größten Krisenfaktor, wenn es die Energie nicht mehr ist
„Ich glaube, die Gemengelage aus wirtschaftlicher Abkühlung, hoher Inflation und gestiegenen Zinssätzen sowie die Anfälligkeit mancher Lieferketten ist die größte Herausforderung für die Baubranche. Es ist letztendlich nicht der eine oder andere Faktor im Speziellen, sondern ein Mix, der das zentraleuropäische Geschäft negativ beeinflusst. Im Wohnungsbau ist das aktuell schon sichtbar, gegebenenfalls betrifft das auch den Gewerbebau. Beim Infrastrukturbau bin ich hingegen relativ zuversichtlich. Hier wird die öffentliche Hand in irgendeiner Art und Weise einen Ausgleich schaffen. Es mag Verzögerungen geben, gegebenenfalls auch für Monate oder ein Jahr, aber die Politik wird - hoffentlich - dagegenhalten.“
Beim Infrastrukturbau bin ich relativ zuversichtlich. Hier wird die öffentliche Hand in irgendeiner Art und Weise einen Ausgleich schaffen.
Über die positive Nachricht aus dem Wohnungsmarkt - und das Problematische daran
„Es ist Tatsache, dass in Deutschland Wohnungen fehlen. Und das bleibt letztendlich auch eine positive Nachricht für die Baubranche: Trotz Nachfragerückgang ist der Bedarf akut und steigt sogar. Das führt aber möglicherweise zu einer schwierigeren Lage auf dem Immobilienmarkt. Wenn weniger gebaut wird, gibt es auch weniger neue Mietobjekte. Die Nachfrage konzentriert sich noch stärker auf den Bestand, was gegebenenfalls zu höheren Mieten führt. Deshalb bin ich aber auch zuversichtlich, dass die öffentliche Hand den Wohnungsbau attraktiver machen wird.“
Es wird sich auch vermehrt die Frage stellen: Kann man Gebäude nicht deutlich günstiger, mit anderen und weniger Materialien, aber gleicher Qualität bauen?
Was die Betriebe tun können und sollen
„Ich glaube, dass die verschiedenen Akteure unterschiedliche Ausgangslagen haben. Die Baustoffunternehmen haben eine noch sehr komfortable, weil sie in den letzten ein, zwei Jahren extrem gut gewirtschaftet haben. Bei den Bauunternehmen ist diese Basis etwas dünner, dennoch haben auch hier viele Betriebe ihre Marge in den letzten Jahren gesteigert. Es besteht also durchaus etwas Spielraum, eine Durststrecke zu bewältigen.“
„Es geht vor allem darum, die operative Effizienz zu heben. Firmen sollten überall nach Potenzial suchen, Dinge günstiger, besser, schneller zu machen. Das schließt auch den Rückgriff auf neue Technologien ein. Während der Corona-Pandemie ist der Online-Vertrieb von Baustoffen beispielsweise deutlich gestiegen. Mit Blick auf die Zukunft sollte das Thema Digitalisierung nicht nur im Verkauf, sondern auch in der Vorfertigung und auf der Baustelle mehr Aufmerksamkeit erfahren. Insbesondere das modulare Bauen wird hier sicher mehr kommen.
Es wird sich auch vermehrt die Frage stellen: Kann man Gebäude nicht deutlich günstiger, mit anderen und weniger Materialien, aber gleicher Qualität bauen? Wir haben in den letzten Jahren schon neue Produkte auf dem Markt gesehen, die weniger Masse, aber gleiche Qualität mit sich bringen.“
„Als Berater sehe ich die Krisenzeit auch als große Chance, sich hier auf dem Markt besser zu positionieren. Unternehmen, die auf dem Markt bleiben und die Situation als Investitionsphase verstehen, können profitieren. Wenn der Markt wieder hochfährt, starten sie mit einer ganz anderen Basis.“