Steuerrecht : Willkommen im Digitalen Zeitalter

Am 5. November 2024 hat der ECOFIN-Rat den Vorschlag der Europäischen Kommission zur Modernisierung des europäischen Mehrwertsteuersystems (ViDA – VAT in the Digital Age) einstimmig angenommen. Seit der ursprünglichen Veröffentlichung im Dezember 2022 wurden die Inhalte mehrfach angepasst, um eine von allen Mitgliedstaaten akzeptierte Lösung zu finden.
Während auf europäischer Ebene ein Paket zur Digitalisierung des Mehrwertsteuersystems geschnürt wurde, ist der eigentliche Wandel in vielen Mitgliedstaaten bereits im Gange. Unabhängig davon, ob Unternehmer grenzüberschreitend tätig sind oder nicht, wird das Mehrwertsteuersystem in ein neues Zeitalter eintreten und jeden Unternehmer betreffen, auch in Österreich.
Worum geht es in ViDA?
Das Reformpaket ViDA bringt umfassende rechtliche Neuerungen in drei großen Themenbereichen, die als Pillar 1-3 bezeichnet werden:
Pillar 1: Einführung eines neuen digitalen Meldesystems (DRR – Digital Reporting Requirements) basierend auf einem neuen elektronischen Rechnungsstandard (strukturierte E-Rechnung im Einheitsformat EN-16931). Dieses System wird verpflichtend für grenzüberschreitende Leistungsbeziehungen angewendet, wobei die nationale Umsetzung den Mitgliedstaaten freigestellt ist.
Pillar 2: Neue Regelungen für die Besteuerung der Plattformwirtschaft, insbesondere durch die Einführung einer Steuerfiktion (deemed supplier), wodurch Plattformen bei Kurzzeitvermietungen und Personenbeförderungen zum Steuerschuldner werden.
- Pillar 3: Konzept der Single VAT Registration, das durch Maßnahmen wie die Ausweitung des allgemeinen Reverse Charge Systems und des EU-OSS Systems dazu beitragen soll, Registrierungsverpflichtungen durch grenzüberschreitende Aktivitäten zu minimieren.
Die Chronologie der Umsetzung
Die Maßnahmenpakete werden nach folgendem Zeitplan umgesetzt:
- Juli 2028: Pillar 3 – Single VAT Registration
- Januar 2030: Pillar 2 – Plattformwirtschaft
- Juli 2030: Pillar 1 – Digital Reporting & e-invoicing
- Januar 2035: Pillar 1 – Harmonisierung der nationalen und grenzüberschreitenden Meldepflichten
Anfang 2025: Forcierung nationaler E-Rechnungssysteme
Nach der Veröffentlichung der ViDA-Richtlinie im Europäischen Amtsblatt können Mitgliedstaaten nationale E-Rechnungssysteme einführen, ohne eine Genehmigung der EU-Kommission einholen zu müssen. Diese Systeme dürfen jedoch zurzeit nur für innerstaatliche B2B-Transaktionen umgesetzt werden. Viele EU-Mitgliedstaaten haben bereits nationale E-Rechnungssysteme oder umfangreichere Meldesysteme implementiert bzw. arbeiten daran, die E-Rechnung nach EU-Standard als Vorbereitung auf Pillar 1 auf nationaler Ebene zu forcieren.
Juli 2028, Pillar 3: Single VAT Registration
Die Maßnahmen von Pillar 3 zur Single VAT Registration treten ab dem 1. Juli 2028 in Kraft. Dieses Paket bringt eine Ausweitung der OSS-Meldungen (Transfer-OSS) sowie der Regelungen zur Umkehr der Steuerschuldnerschaft auf Lieferungen und Dienstleistungen ausländischer Unternehmer mit sich (Reverse Charge). Ziel ist es, dass grenzüberschreitend tätige Unternehmer weniger umsatzsteuerliche Registrierungen in anderen EU-Mitgliedstaaten benötigen. Allerdings beinhaltet der Kompromissvorschlag Wahlrechte bei der Umsetzung der Reverse Charge-Regelungen, wodurch eine Harmonisierung nicht garantiert wird.
Die Erweiterung des Reverse Charge- sowie des EU-OSS Systems bedeuten das Aus für die Vereinfachungsregelung für Call-off Stocks. Konkret kann noch für Lagerbestückungen bis 30.6.2028 die Vereinfachung angewendet werden, danach muss eine geänderte Abwicklung erfolgen (zB. Transfer-OSS-Meldung und Reverse Charge Rechnung).
Januar 2030, Pillar 2: Plattformwirtschaft
Im Rahmen von Pillar 2 wird die Lieferkettenfiktion („deemed supplier regime“) auf Online-Marktplätze ausgeweitet, die kurzzeitige Vermietungen von Wohnungen/Appartements oder Personenbeförderungsleistungen anbieten. Ab Juli 2028 können Mitgliedstaaten die Inhalte von Pillar 2 bereits freiwillig einführen. Ab Januar 2030 werden die Neuregelungen dann unionsweit verpflichtend.
Juli 2030, Pillar 1: Digital Reporting & e-invoicing
Die verpflichtende E-Rechnung und das damit zusammenhängende E-Reporting für innergemeinschaftliche B2B-Transaktionen wird ab dem 1. Juli 2030 verbindlich. Die Zusammenfassende Meldung wird ab diesem Zeitpunkt obsolet. Erfasst sind innergemeinschaftliche Lieferungen, Dreiecksgeschäfte, grenzüberschreitende B2B-Dienstleistungen, Lieferungen und Dienstleistungen von im Inland nicht ansässigen Leistenden sowie Energielieferungen. Ein Umsatz muss grundsätzlich 10 Tage nach dem Eintreten des Steuertatbestandes fakturiert und elektronisch gemeldet werden.
Januar 2035, Pillar 1: Harmonisierung der nationalen und grenzüberschreitenden Meldepflichten
Die Verpflichtung zur Harmonisierung der nationalen und grenzüberschreitenden Meldepflichten wurde auf Januar 2035 verschoben. Grund dafür sind die Bedenken jener Mitgliedstaaten, die bereits etablierte nationale E-Reporting-Systeme in Verwendung haben und diese nun an die EU-Vorgaben anpassen müssen. Diese verzögerte Harmonisierung ist nur für jene Mitgliedstaaten zugänglich, die ihre nationalen E-Reporting-Systeme vor dem 1. Januar 2024 eingeführt haben.
Praxistipps für die bevorstehenden Änderungen der MwStSyst-RL
- Prüfen Sie, ob Ihre derzeit verwendete Software die gesetzlichen Anforderungen zur Erstellung, Übermittlung und Auswertung von elektronischen Rechnungen gemäß der EU-Norm erfüllt. Da derzeit viele Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene auf die neue E-Rechnung umstellen, kann es sehr schnell passieren, dass ausländische Handelspartner bereits jetzt auf das neue Rechnungsformat bestehen.
- Stellen Sie sicher, dass Ihre Software die Möglichkeit des automatisierten Auslesens und Übermittelns von Daten unterstützt, da einige Mitgliedstaaten Echtzeitmeldungen verlangen.
- Machen Sie sich bewusst, dass eine Rechnungsübermittlung via E-Mail bald nicht mehr ausreichend sein wird.
- Vor dem 1. Juli 2028 sollten Sie prüfen, ob Registrierungen im Ausland langfristig noch benötigt werden oder ob eine ausländische UID-Nummer strategische Vorteile bringt.
- Planen Sie gegebenenfalls einen entsprechenden Registrierungsgrund und wägen Sie die Kosten-Nutzen-Überlegungen ab.
- Evaluieren Sie rechtzeitig Ihre Lagerverträge im Zusammenhang mit Konsignationslagergeschäften.
- Prüfen Sie die flächendeckende Anwendung des Transfer-OSS und die Möglichkeit, eine Transfer-OSS Registrierung mit einer umsatzsteuerlichen Registrierung im Ausland zu kombinieren.
- Evaluieren Sie bestehende Verträge und deren umsatzsteuerliche Behandlung.
- Bereiten Sie sich auf die neue Meldelogik (nahezu Echtzeit) vor, indem Sie Ihre Leistungspalette hinsichtlich Leistungsart und Einheitlichkeit der Leistung prüfen. Die 10-Tagesfrist bedeutet in der Praxis, dass bei Leistungserbringung keine Zweifel mehr bestehen dürfen, wie abgerechnet/gemeldet werden muss. Die Umsatzsteuerfragen sind daher unbedingt vorher abzuklären.
- Klären Sie im Vorfeld, wie das Leistungsdatum im ERP-System zugeordnet wird, um fehlerhafte Meldungen zu vermeiden.
- Überprüfen Sie die bestehenden Prozesse und deren steuerliche Erfassung/Kontrolle.
- Gewährleisten Sie, dass die für die Meldungen notwendigen Daten in guter Qualität verfügbar sind.
- Nutzen Sie die neuen Regelungen und technischen Herausforderungen als Chance für die Automatisierung der Umsatzsteuerprozesse. Eine gute Vorbereitung kann die Effizienz im Tagesgeschäft mit Sicherheit steigern.