Baurecht : Schluss mit Vorbehalt

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In der bauwirtschaftlichen Praxis kommt der Auftragnehmer (Werkunternehmer) öfters in die Situation, dass er nach Legung der Schlussrechnung oder nach Erhalt der Schlusszahlung noch Nachforderungen geltend machen möchte. Dies einerseits, weil allenfalls gewisse Leistungen noch nicht verrechnet wurden oder andererseits, weil der Auftraggeber (Werkbesteller) von der Schlussrechnung Abzüge vorgenommen hat, die aus Sicht des Auftragnehmers zu Unrecht erfolgten. Doch wie hat der Auftragnehmer in solchen Fällen vorzugehen? Wie so oft im Werkvertragsrecht bedarf es in diesem Zusammenhang einer Unterscheidung zwischen Verträgen nach dem ABGB und solchen nach der ÖNORM B 2110.
Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrmals festgehalten, dass eine Rechnung eine sogenannte "deklarative Beweisurkunde" darstellt. Das bedeutet, dass sich der Aussteller (im Werkvertragsrecht sohin zumeist der Auftragnehmer), im Falle einer fehlerhaften (zu niedrigen) Ausstellung auf deren Unrichtigkeit berufen kann und die ihm tatsächlich zustehende (höhere) Werklohnforderung vom Werkbesteller dennoch fordern kann. Kurzum: Wurde in der Rechnungserstellung eine Forderung vergessen, kann der Auftragnehmer diese nachträglich vom Auftraggeber fordern. Dies gilt für Verträge, die (ausschließlich) dem ABGB unterliegen, sohin einzelvertraglich keine abweichenden Rechnungslegungsbestimmungen vereinbart wurden. Die ÖNORM B 2110 enthält entsprechende Regelungen und wird dieses Rechnungslegungsregime durch Vereinbarung der ÖNORM B 2110 als Vertragsgrundlage konkretisiert.
Schlussrechnungs- und Schlusszahlungsvorbehalt gemäß ÖNORM B 2110
Punkt 8.4.2 ÖNORM B 2110 bestimmt, dass die Annahme der Schlusszahlung aufgrund einer Schlussrechnung nachträgliche Forderungen für die vertragsgemäß erbrachten Leistungen ausschließt. Die ÖNORM B 2110 regelt dabei zwei Tatbestände: der Auftragnehmer hat nicht alle Forderungen in die Schlussrechnung aufgenommen ("nachträgliche Forderungen = SchlussRECHNUNGSvorbehalt“) oder der Auftraggeber nimmt (aus Sicht des Auftragnehmers unberechtigte) Abzüge vom Schlussrechnungsbetrag vor und bezahlt dementsprechend nicht die gesamte offene Schlussrechnungsforderung ("Rechnungskorrekturen = SchlussZAHLUNGSvorbehalt").
Sofern der Auftragnehmer nicht alle Forderungen in die Schlussrechnung aufgenommen hat, muss bereits in der Schlussrechnung ein entsprechender Vorbehalt enthalten sein. Anhand dieses Vorbehalts muss erkennbar sein, dass in der Schlussrechnung nicht alle Forderungen enthalten sind und diese allenfalls nachgefordert werden. Bei Teil- oder Abschlagsrechnungen sowie Regierechnungen ist ein solcher Vorbehalt jedoch noch nicht notwendig.
Im Falle von Rechnungskorrekturen, sohin immer dann, wenn der Auftraggeber Abzüge vom Schlussrechnungsbetrag vornimmt, muss der Auftragnehmer einen Vorbehalt binnen drei Monaten nach Annahme der Zahlung erheben, um den auf die vom Auftraggeber vorgenommenen Abzüge entfallenden Beträge weiterhin fordern zu können. Im Sinne der ÖNORM B 2110 hat dieser Vorbehalt schriftlich unter Angabe jener Gründe zu erfolgen, aufgrund derer der Auftragnehmer die Abzüge von der Schlussrechnungssumme für nicht gerechtfertigt hält.
Nach der Rechtsprechung des OGH muss der Schlussrechnungsvorbehalt die vorbehaltenen Ansprüche in erkennbarer Weise individualisieren und den Standpunkt des Werkunternehmers erkennen lassen. Dem Erfordernis eines begründeten Vorbehalts wird beispielsweise schon dadurch entsprochen, dass die Positionen, in welchen es zu keiner Einigung zwischen den Parteien gekommen ist, detailliert ausgewiesen sind. Zusammengefasst steht der OGH auf dem Standpunkt, dass bei der Verpflichtung, den Vorbehalt zu begründen, keine unnötigen, vom Normzweck nicht verlangten Hürden aufgebaut und die Anforderungen an den Auftragnehmer nicht überspannt werden dürfen.
Die dreimonatige Frist für die Erhebung des Schlusszahlungsvorbehalts beginnt erst und nur dann zu laufen, wenn der Auftraggeber 1) tatsächlich eine Schlusszahlung, sohin eine Zahlung auf die Schlussrechnung leistet und 2) schriftlich die nachvollziehbare Herleitung des Differenzbetrages bekannt gibt. Dies geschieht in der Praxis meist durch Übermittlung der korrigierten Schlussrechnung. Übermittelt der Auftraggeber zuerst die korrigierte Schlussrechnung und leistet er erst danach die Schlusszahlung, beginnt die dreimonatige Frist erst mit Eingang der Schlusszahlung zu laufen.
Leistet der Auftraggeber allerdings ohne Begründung überhaupt keine Schlusszahlung, weil er die verrechnete Mehrleistung für unberechtigt hält oder weil er glaubt, Gegenforderungen gegen eine allenfalls zu Recht bestehende Werklohnforderung aufrechnen zu können, ist ein Vorbehalt nicht erforderlich.
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Verjährung von Forderungen und Schlussrechnungsvorbehalt
Nach dem allgemeinen Zivilrecht verjähren Forderungen, so auch Werklohnforderungen, gemäß § 1486 ABGB binnen drei Jahren ab Fälligkeit. Die Verjährungsfrist beginnt jedoch mit dem Zeitpunkt zu laufen, mit dem die Rechnungslegung objektiv möglich ist. Der Auftragnehmer soll durch absichtliche oder unabsichtliche Verzögerung der Rechnungslegung die Fälligkeit und damit den Beginn des Verjährungsablaufes nicht nach seinem Belieben hinausschieben.
Diese allgemeine Verjährungsfrist für Werklohnforderungen gemäß § 1486 ABGB wird durch die oben erläuterte Bestimmung der ÖNORM B 2110 dahingehend ergänzt, dass drei Monate nach Erhalt der Schlusszahlung und der schriftlichen Bekanntgabe der nachvollziehbaren Herleitung des Differenzbetrages (der Rechnungskorrekturen) eine zusätzliche (Verfristungs-)Frist eingeführt wird. Dies führt faktisch dazu, dass der Auftragnehmer unter der Prämisse, dass er zur Erhebung eines Vorbehaltes verpflichtet war und keinen ordnungsgemäßen Vorbehalt erhebt, seine Forderungen binnen drei Monaten geltend machen muss. Wird jedoch ein ordnungsgemäßer Vorbehalt vom Auftragnehmer erhoben, tritt die Verjährung seiner Forderungen – der generellen Regelung des § 1486 ABGB folgend – erst nach drei Jahren ab Fälligkeit der Schlussrechnung ein.
Immer wieder neue Vorbehalte?
Ob der Auftragnehmer verpflichtet ist, immer dann, wenn der Auftraggeber eine weitere Teilzahlung auf die Schlussrechnung leistet, die vom Rechnungsbetrag abweicht, einen neuen Vorbehalt zu erheben, ist in der ÖNORM B 2110 jedoch nicht geregelt. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist der Auftragnehmer nicht dazu verpflichtet, immer wieder einen Vorbehalt zu setzen. Dies vor dem Hintergrund, dass der Schlusszahlungsvorbehalt dem Zweck dient, gegenüber dem Auftraggeber eindeutig und unmissverständlich klarzustellen, in welcher Höhe Werklohn endgültig gefordert wird. Die gesamte Rechnungsforderung wird sohin durch den ersten Vorbehalt aufrechterhalten und ist es folglich nicht notwendig, nur aufgrund von neuerlichen (unvollständigen) Schlusszahlungen des Auftraggebers, weitere Vorbehalte zu erheben.
Praxistipps
- Bei Legung der Schlussrechnung sollte immer geprüft werden, ob alle Leistungen abgerechnet werden können / sollen und insbesondere alle Mehrkostenforderungen bereits der Höhe nach feststehen. Erkennt der Auftragnehmer bei Legung der Schlussrechnung, dass dem nicht so ist, muss unbedingt ein konkreter Vorbehalt in der Schlussrechnung erhoben werden.
- Leistet der Auftraggeber eine von der Schlussrechnung abweichende Zahlung, muss der Auftragnehmer binnen drei Monaten ab Eingang der Schlusszahlung und/oder Erhalt der korrigierten Schlussrechnung einen schriftlichen Vorbehalt erheben.
- Der Vorbehalt muss ausreichend begründet sein. Dabei muss der Auftragnehmer seine Ansprüche ausreichend individualisieren und sein Standpunkt erkennbar sein.
- Eine Verpflichtung des Auftragnehmers, andauernd neue Vorbehalte bei mehreren Teilzahlungen, die vom Rechnungsbetrag abweichen, auf die Schlussrechnung zu erheben, besteht nicht.