Austrian Standards lud zur Jahrestagung Bau : Wanted: Lösungen für nachhaltiges Bauen

Diskussionsrunde „Zukunft im Bausektor: Wer macht‘s, wer bremst, wem nützt‘s?“ V.li.n.re. Martin Aichholzer I Architekt I MAGK; Gerald Beck | Geschäftsführer | Bundesimmobiliengesellschaft BIG | Austrian Real Estate ARE; Markus Engerth | Unternehmensbereichsleitung & Vorstandsmitglied | Strabag AG
- © Austrian Standards/APA-Fotoservi270 Interessierte aus dem Umfeld der heimischen Bauindustrie wohnten der Jahrestagung Bau vor Ort im House of Standards and Innovations oder virtuell über die Bildschirme bei. Diese stand heuer unter dem Motto „Wanted! Nachhaltige Lösungen für mehr Zukunft im Bausektor“.
Den thematischen Rahmen skizzierte Gastgeber Karl Grün in seiner Begrüßung. „Angesichts der Klimaziele und drohender Strafzahlungen ist insbesondere die Bau- und Immobilienbranche gefordert“, so der Deputy Managing Director von Austrian Standards International. Zugleich sei der Spagat zwischen Klimaschutz, Wirtschaftlichkeit und den Erfordernissen der digitalen Transformation zu vollziehen.
„Die Hütte brennt“
Selbstkritisch startete die Keynote der beiden Architekt:innen Katharina Kothmiller und Markus Zilker. Zu Beginn präsentierten die Mitbegründer des Zukunftsnetzwerks Habitat2030 zwei ihrer Vorzeigeprojekte: „Wohnen ohne Alterslimit“ (WOAL) in Oberlaa im Fall Kothmillers, das Projekt beinhaltet unter anderem die erste gewidmete Klimafassade Wiens. Zilker verwies auf das „Grätzl mit Charakter“ Gleis 21 im Sonnwendviertel, das unter anderem mit dem New European Bauhaus Prize prämiert wurde. Fazit der beiden: „Heute würden wir das so nicht mehr planen.“
Der Grund: „Die Hütte brennt.“ Die Zahlen zu den Treibhausgas-Emissionen und zu den bereits erfolgt und noch zu erwartenden Temperaturanstiegen sind bekannt. Die Vortragenden untermauerten die Folgen auch anhand eigenen Erlebens. Zilker: „1993 habe ich maturiert. Seitdem wurde mehr CO2 in die Atmosphäre entlassen als in der gesamten Menschheitsgeschichte davor.“ Kothmiller berichtete von ihrem Elternhaus in Gerasdorf, das beim heurigen Hochwasser zeitweise bis zur Decke des Erdgeschoßes unter Wasser stand.
Ökobilanzierung: Gebäude unter der Lupe
Das Netzwerk Habitat2030 lud 60 Personen zu zwei Zukunftswerkstätten, die Klausur dauerte jeweils drei Tage. Ergebnis des gemeinsamen Brainstormings ist eine Methodik zur Ökobilanzierung von Gebäude gemäß Global Warming Potential (GWP).
Unter Zuhilfenahme der Datensätze der Ökobaudat 2023 wird das Gesamtgebäude von der Herstellung der Materialien und der Planung bis hin zur Entsorgung und Wiederverwertung betrachtet. CO2-Emissionen (durch Stahlprofile, Kunststofffenster, Beton etc.) werden dabei mit Elementen der CO2-Speicherung (Holzbau) gegengerechnet. Für Vergleichbarkeit wird der Ergebniswert nach Kilogramm CO2-Äquivalente je Quadratmeter bestimmt.
Exemplarische Berechnungen wurden vorerst anhand von vier Projekten vorgenommen. Am Beispiel eines Massivbaus in der Wiener Berresgasse mit drei Baukörpern mit maximal elf Geschoßen und 17.000 Quadratmetern Fläche inklusive Tiefgarage kommt man so auf 350 Kilo CO2 je Quadratmeter Bruttogeschoßfläche. Wesentlich niedriger, aber aus Sicht des Architekten immer noch zu hoch sind die Werte beim erwähnten Projekt Gleis 21.
Seitens der Plattform Habitat2030 haben wir eine Methode zur Ökobilanzierung von Gebäuden entwickelt.Architekt Markus Zilker
Klimaneutrales Bauen
Das es anders geht, belegt das Siegerprojekt „Wiener Luft“ eines Bauträger-Wettbewerbs zum Nordwestbahnhof Wien. Dank innovativer Planung und nachhaltiger Materialien sollte der siebengeschoßige Bau unterm Strich Null-Emissionen schaffen. „Das Gebäude ist noch nicht gebaut“, so Zilker. „Das Beispiel zeigt aber, dass schon heute Bauten mit einer Netto-Null möglich sind und nicht erst 2030 oder gar 2040.“
Wie geht es nun weiter? Die Ergebnisse der Habitat2030-Berechnungen werden zurzeit von der Technischen Universität Graz validiert. 2025 sollen dann 100 Neubauten unterschiedlicher Typologie und Größe näher unter die Lupe genommen werden, um Vergleichswerte zu erhalten. „Dann gehen wir den Bestand und die Sanierungen an. Mit der Stadt Wien tauschen wir uns zudem darüber aus, wie sich valide Zahlen zu Quartieren über den gesamten Lebenszyklus erheben lassen.“
Leistbares Wohnen und klimafreundliches Bauen
Was es laut Kothmiller und Zilker braucht, damit aus Rechenübungen letztlich Maßnahmen werden, sind verpflichtende Ziele und Grenzwerte. Diese kommen heute in vieler Hinsicht von der Europäischen Union. Die europäische Sicht brachte daher Tim Joris Kaiser ein. Der stellvertretende Leiter für Wirtschaft und Soziales der Europäischen Kommission in Wien wies daraufhin, dass es nun erstmalig einen EU-Kommissar für Energie und Wohnungswesen gibt.
„Die Bündelung ist wegweisend. Sie kombiniert die Bemühungen um leistbaren Wohnraum mit jenen für einen reduzierten CO2-Fußabdruck.“ Strategien zur Hebung des Wohnungsangebots und zur Senkung der Baukosten stehen ebenso auf der Agenda wie Aktivitäten zur Qualifizierung der Arbeitskräfte, für mehr Produktivität und natürlich zur Verringerung der Umweltbelastung des Bauens. Mit dem Dänen Dan Jørgensen wurde ein Staatsbürger jenes Landes zum Kommissar bestimmt, das gegenwärtig die Benchmarks für klimafreundliches Bauen setzt.
Gewissermaßen zum Tagesgeschäft Kaisers gehört der NextGenerationEU-Aufbauplan. Mitfinanziert wurden bislang Projekte wie die energetische Sanierung der Praterateliers und des Volkskundemuseums. „Auch das Baukultur-Programm ist hier eingemeldet.“
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„Für Nachhaltigkeitsberichterstattung gilt derselbe Sorgfaltsmaßstab wie für finanzielle Berichterstattung.“
Stefan Rufera (KPMG)
Sustainable Finance: Auswirkungen auf den Bau
Beim lieben Geld setzt die EU mit dem Aktionsplan Sustainable Finance an. Wie, das erläuterte KPMG-Partner Stefan Rufera in einem „Fakten-Check“. „Durch die Klassifizierung wirtschaftlich nachhaltiger Aktivitäten sollen Kapitalströme in diese Richtung gelenkt werden.“ Nachhaltigkeitsrisiken müssen darüber hinaus bereits bei der Kreditvergabe berücksichtigt werden. Hinzukommen Offenlegungsverpflichtungen für Unternehmen, etwa in Gestalt der Corporate Sustainability Reporting Directive.
„Was vielen nicht bewusst ist: Für die Nachhaltigkeitsberichterstattung gilt derselbe Sorgfaltsmaßstab wie für die finanzielle Berichterstattung“, betont Rufera. Ökologische und soziale Faktoren werden künftig auch in die externe Bonitätsbewertung durch Rating-Agenturen sowie in die Bewertung von Immobilien-Sicherheiten einfließen. Laut KPMG-Studie berücksichtigen zurzeit nur rund 15 Prozent der Banken die ESG-Kriterien bei der Kreditbepreisung. Das jedoch dürfte sich rasch ändern.
Aus der EU-Bauprodukteverordnung
277 Seiten, 116 Erwägungsgründe, 96 verbindliche Artikel und 15 Anhänge – all dies umfasst der aktuelle Textentwurf der EU-Bauprodukteverordnung. Noch 2024 soll diese im EU-Amtsblatt veröffentlicht werden und somit in Kraft treten. Bis 2026 ist sie dann umzusetzen. „Die Mitgliedsstaaten legen die Anforderungen an Bauwerke fest, auf CEN-Ebene werden die Methoden harmonisiert“, ergänzt Peter Maydl.
Der ehemalige Universitätsprofessor und Zivilingenieur für Bauwesen kennt die Inhalte im Detail. Neu im Anhang I sind Punkt 7 „Emissionen von Bauwerken in die Außenumgebung“ und Punkt 8 „nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen von Bauwerken“.
In Anhang II sind wesentliche Umweltmerkmale gemäß EN 15804 festgelegt. Bereits ab Ende 2025 sind die Auswirkungen auf den Klimawandel anzugeben. Ab Ende 2029 sind Kernindikatoren wie das Ozon-Abbaupotenzial verpflichtend, ab Ende 2031 weitere Wirkungsindikatoren wie Feinstaub oder die Ökotoxizität, die sich von der Auswirkung von Stoffen auf die belebte Umwelt befasst. Maydl: „Die Frage wird sein, ob es bis dahin belastbare Daten zu diesen Aspekten gibt.“
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„Die EU-Bauprodukteverordnung soll noch 2024 in Kraft treten und ist dann bis 2026 umzusetzen.“
Zivilingenieur Peter Maydl
Digitaler Produktpass kommt
Anhang III wiederum behandelt die Produktanforderungen. „Neu ist der Digitale Produktpass, der Leistungs- und Konformitätserklärungen beinhaltet.“ Eingefordert werden auch Gebrauchsanweisungen und technische Dokumentationen sowie unter Umständen die verbraucherfreundliche Kennzeichnung im Hinblick auf Umweltmerkmale. Im Detail befasste sich Otto Handle in einem weiteren „Fakten-Check“ im Rahmen der Veranstaltung mit dem Produktpass. „Solid“-Leser sind durch die Gastbeiträge des Inndata-Geschäftsführers im Printmagazin im Bilde.
Der Konjunkturmotor Bau steht so wie andere Sektoren vor einem Umbruch, zieht Valerie Höllinger ein Fazit. Höllinger, CEO und Managing Director bei Austrian Standards, verweist auf Extremwetter-Ereignisse wie die jüngsten Hochwasser in Österreich: „Wir sind an einem Punkt, an dem man Dinge nicht nur anpacken, sondern bei Bedarf auch umdrehen und entsorgen muss. Hier muss jede und jeder von uns die nötigen Hausaufgaben machen, das gilt auch für die Normung.“