Meinung : Fachkräftemangel am Bau – Ein ungelöstes Problem verschärft die Situation zunehmend

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Die Vereinbarkeit mit Familie und Partnerschaft ist gerade im Großprojektgeschäft ein immer schwierigeres Thema.

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Unzufriedenheit auf Großbaustellen nimmt zu

Ich hatte das große Glück meinen beruflichen Weg gehen zu können, ohne viel Zeit auf Baustellen auswärts arbeiten zu müssen. Ich konnte trotzdem großartige Baustellen betreuen und mein soziales Umfeld und meine Hobbys zu Hause pflegen. Aber bereits vor vielen Jahren machte ich mir Gedanken über das Nomadenleben, das viele am Bau führen.

Heute, wo ich mit vielen Projektverantwortlichen auf Großbaustellen spreche, stelle ich eine zunehmende Unzufriedenheit mit diesem Leben fest. Es wird immer schwerer, Menschen dafür zu begeistern.

Der Wertewandel und seine Folgen

Warum ist das so? In Zeiten von New Work und Work-Life-Balance haben sich die Werte gewandelt. Wo vor einigen Dekaden noch im Vordergrund stand, sich durch harte Arbeit etwas aufzubauen, gilt es jetzt, eine Balance im Leben zu erreichen. Sich als Vater mehr in der Familie einzubringen. Die tradierten Aufgabenverteilungen aufzubrechen, mehr für seine Gesundheit zu tun und sich vielleicht auch etwas gesünder zu ernähren und nicht nur von Leberkäsesemmel und Bier zu leben.

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Der Begriff der Work-Life-Balance gerät zunehmend in die Kritik. Nicht ganz zu Unrecht, wie ich finde. Eine Balance zwischen Arbeit und Leben herzustellen impliziert, dass die Arbeit nicht zum Leben gehöre, als ob es nur zwei Lebensbereiche gäbe (Arbeit und Leben). Das verfälscht die Situation erheblich. Das Leben besteht aus mehreren Lebensbereichen, wie Gesundheit, Emotion, Beziehungen, um nur einige zu nennen. Und ein weiterer ist eben die Arbeit. Alle diese Lebensbereiche sollten im Ausgleich sein. Und genau diese Balance wird immer mehr eingefordert.

Damit einher geht die immer häufigere Anfrage von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nach einer 4-Tage-Woche, oder 30-Stunden-Woche. Eine Dekade mit 12-Stunden-Arbeitstagen steht meist nicht mehr so hoch im Kurs. Es liegt mir fern, diese Entwicklungen zu werten, aber dass sie stattfinden, steht außer Frage.

In dieser Folge von Solid BAU TV geht es zentral um das Thema eines menschengemäßen Arbeitsumfeldes

Die Auswirkungen auf die Baubranche

Die Situation am Arbeitsmarkt ist prekär! Sowohl die Bauindustrie wie auch die beratende Zunft, aber auch die Bauherren klagen seit Jahren über Nachwuchsprobleme. Dies wird sich in den nächsten Jahren noch verschärfen. Nun hat die Baubranche zwei Gesichter. Einerseits die so genannte Fläche, wo kleinere Bauvorhaben regional abgewickelt werden. Herausfordernd und wichtig. Andererseits ist jedoch das zweite Gesicht genau das, warum die meisten Bauingenieure sich für den Beruf entscheiden: Leuchtturmprojekte entstehen zu lassen! Große Infrastrukturprojekte, Stadien, Einkaufszentren und dergleichen.

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Genau hier entsteht das Problem. Hier braucht es Spezialisten, die sich ihr Berufsleben lang mit dieser Art Projekt beschäftigen. Die Projekte sind jedoch leider in ganz Österreich oder im benachbarten Ausland verstreut. Das Herz schlägt für diese Art von Projekten, die beschriebenen Entwicklungen sprechen jedoch dagegen.

„Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust.“ Dieses geflügelte Wort aus Goethes Faust trifft das Dilemma sehr gut. Das Arbeitsleben isoliert betrachtet ist erfüllend. Leider ist es unmöglich auch die Anforderungen zu Hause vollinhaltlich zu erfüllen. Wie lange das die Ehefrau oder der Ehemann noch mitmachen wird, stellt ein ständiges Risiko dar. Ein schwelender Konfliktherd in der Beziehung. Eine zusätzliche Verschärfung des Stresslevels im bereits herausfordernden Großprojektgeschäft.

Lösen wir als Branche dieses Problem nicht, wird sich das Problem auf dem Mitarbeitersektor, vor allem bei den Großprojekten massiv verschärfen!

Ein übergreifender Dialog muss her!

Was braucht es aus meiner Sicht? Zunächst braucht es Verständnis bei allen Beteiligten für die Situation der Kolleginnen und Kollegen. Im nächsten Schritt ist die Offenheit zur Veränderung wichtig. Erst dann können in einem ergebnisoffenen Dialog Lösungswege gefunden werden.

Mit einer Haltung: „Das geht halt bei Großprojekten nicht anders“ werden wir mit unseren Großprojekten sehr bald noch öfter Schiffbruch erleiden, als wir es bereits tun! Bei diesem Dialog sollten sich alle auf der Baustelle Beteiligten (Auftraggeber, Auftragnehmer und Bauaufsicht) einbringen und umsetzbare, praktikable Ansätze diskutieren.

Dann bin ich sicher, dass Lösungen gefunden werden, die dazu führen, dass wir auch in Zukunft junge Menschen für unsere Großbaustellen begeistern können.