Energiegewinnung : Anergienetze nutzen Erdreich als thermischen Speicher

Erdsonden Verteiler Energienetz

Matthias Kendlbacher (IPJ) und David Bauerfeind (BCE) vor einem Sondenverteiler am Baufeld H6 in Aspern.

- © IPJ

Es braucht oft keine weiten Wege, um Energie zu bekommen. Bei Anergienetzen liegt sie quasi vor der Haustüre, manchmal sogar unter dem Gebäude selbst.

Eines der ersten Anergienetze im urbanen Raum entstand 2015 beim Viertel Zwei Plus in Wien. Maßgeblich an der Umsetzung beteiligt waren Matthias Kendlbacher vom IPJ Ingenieurbüro P. Jung GmbH, Konrad Wolf von BCE Beyond Carbon Energy Holding GmbH (enstanden aus der Bauconsult Group heraus) und Gebäudetechnik Kainer GmbH. Bis Herbst 2022 realisieren sie ein weiteres gemeinsames Projekt in Aspern am Bauplatz H6.

Ursprünglich war hier ein Fernwärmenetz geplant, dann entschied man sich kurzfristig jedoch anders. Und das ist auch der Grund, weshalb Kendlbacher in Aspern vom „wohl größten Anergienetz Österreichs mit den kleinsten Haustechnikzentralen“ spricht. Auf engstem Raum stehen hier mehrere Wärmepumpen beisammen, welche die aus dem Erdreich gewonnene Wärme für die 71 Wohnungen, den Supermarkt und die Gastronomie zum Heizen und Kühlen aufbereiten. 90 Erdsonden wurden in eine Tiefe von 150 Metern eingebracht und miteinander verbunden. Diese Tiefe (bei Gebäude ist es jene Höhe ab der sie als Hochhäuser gelten) ist die derzeit wirtschaftlichste Erdsondentiefe. Sollte es aufgrund behördlicher Auflagen zum Beispiel wegen Grundwassers nicht möglich sein, so tief zu graben, dann benötigt es in einer Tiefe von 100 Metern mehr Erdsonden. Planer Matthias Kendlbacher informiert: „Jeder Meter Rohr, der in die Erde verlegt wird, ist eine zusätzliche Energiequelle und damit ein Gewinn. Die Erde dient als thermischer Speicher.“ Das bedeutet, dass man nur soviel Energie entziehen soll, wie man auch wieder zuführen kann: „Damit die Erdsondenfelder langfristig funktionieren, müssen diese immer ausgeglichen betrieben werden“, so der Experte.

Heiztechnikzentrale
In der Technikzentrale kommt die Energie aus dem Anergienetz an, wird aufbereitet und zu den Empfängern geschickt. - © BCE

Alles rund ums Anergienetz

Energie = Anergie + Exergie

Exergie bezeichnet die direkt nutzbare Energie
wie elektrischen Strom oder Heizungswasser aus Verbrennung
Anergie ist die nicht direkt nutzbare Energie
, das heißt, es wird zusätzlich Energie für die Nutzbarkeit benötigt. Im konkreten Fall kommt die Anergie aus der Umgebung (Erde, Wasser, Luft, Abwärme) und wird mittels Wärmepumpe für den Gebäudebetrieb (Heizung, Warmwasser und Kühlung) aufbereitet.

Für ein Anergienetz werden bewährte und einfach Systeme wie Erdwärmesonden, Flachkollektoren, Grundwasserbrunnen, Abwassernutzung etc. verwendet und in einem Verbund mit Wärmepumpen bzw. Kältemaschinen kombiniert. Die Abwärme aus Kühlungsprozessen wird zur Quelle für die Heizung im Winter bzw. zur Warmwasserbereitung. Somit wird keine Abwärme an die ohnehin heiße Außenluft abgegeben. „Dadurch gibt es keinen Thermal-Waste (thermaler Müll) mehr“, so Matthias Kendlbacher.

Bei einem Anergienetz ist es ideal, wenn verschiedene Nutzungsarten wie Wohnen und Gewerbe vorhanden sind. Zwingend erforderlich ist dies jedoch nicht.

Das System ist sowohl beim Niedertemperatursystemen (z.B. Flächenheizung) als auch bei Hochtemperaturheizungen (z.B. Radiatoren) gut einsetzbar. Es eignet sich somit sowohl für Alt- und Neubauten sehr gut.

Diese Grafik zeigt, wie ein Anergienetz zum Heizen und Kühlen funktioniert.

- © BCE

Ein grafischer Blick in eine der vier Heizzentralen in Apsern, hier ist die räumliche Unterbringung gut zu erkennen.

- © TB Kainer

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Energie wird gespeichert und geht nicht verloren

Wie gut so ein Anergienetz funktionieren kann, zeigte eine erste Zwischenbilanz beim Kraftwerk Krieau nach einem Jahr: Kostengleichheit mit herkömmlichen Energielieferanten (bei Projekten wie diesem und auch in der ersten Phase des Viertel Zwei Plus üblicherweise Fernwärme) war ohnehin die Voraussetzung, aber auch das Nachhaltigkeitsziel der Emmissioneinsparungen konnte erreicht werden – gegenüber herkömmlichen Heizsystemen maß man eine CO2-Reduktion von bis zu 60 Prozent.

Durch die Nutzung der vor Ort vorhandenen erneuerbaren Energiequellen, den Energieverbund von mehreren Gebäuden im Quartier, ist jedes Gebäude plötzlich nicht nur ein Energieverbraucher sondern auch eine Energiequelle. Bei der Wärme- und Kälteversorgung von Wohn- und Gewerbeimmobilien wird durch das Zusammenspiel von Geothermie, Grundwasser- und Abwärmenutzung sowie Photovoltaik eine Ersparnis von 800-1000 Tonnen CO2 pro Jahr erreicht.

Worauf man anhand der heutigen Erkenntnisse verzichten würde, ist der miteingebaute Gaskessel beim Viertel Zwei Plus. Dieser war 2015 dafür gedacht, um vor Ausfällen des Netzes zu schützen bzw. Spitzenlasten abzufangen wie Konrad Wolf, Head of Operations & Marketing beim Energieversorger BCE, erklärt.

Als großen Pluspunkt der Anergienetze sieht er vor allem die geringen Wärmeverluste im System: „Bei einem Hochtemperatur-Fernwärmenetz geht oft mehr Energie am Weg zum Verbraucher verloren, als dieser an seinem Zähler entnimmt.“ Doch auch die Nachhaltigkeit der Energie („Wärmepumpen werden mit Ökostrom betrieben.“) und die Einsparung im CO2-Verbrauch führt er ins Rennen.

Konrad Wolf
Konrad Wolf, BCE, weiß um das große Interesse an der Verwirklichung von Anergienetzen in naher Zukunft. - © BCE

Nachfrage nach Anergienetzen steigt

Die Nachfrage nach Anergienetzen ist groß, wenn man sich die Auftragslage von BCE ansieht: „Neben dem Viertel Zwei Plus haben wir knapp zehn Projekte in Wien und Niederösterreich in Betrieb, zwei weitere – eines davon Aspern – kommen heuer dazu. Insgesamt haben wir rund 70 Projekte in der Pipeline“, so Wolf. Eine große Erkenntnis gewann er im Laufe der Jahre: „Mit alten Denkweisen wie zum Beispiel einer Überdimensionierung des Systems darf man ans Anergienetz nicht herangehen.“ Dem stimmt auch Matthias Kendlbacher von IPJ Ingenieurbüro P. Jung zu und er ergänzt, dass das „Interesse der Auftraggeber vorhanden sei, viele davon aber nur Wohnungen errichten, vermieten bzw. verkaufen wollen und keine Energiedienstleister werden wollen.“ Und genau hier kommt ein Energieversorgungsunternehmen wie BCE ins Spiel. Wichtig ist eine enge Abstimmung aller Beteiligten, dann steht der Energiegewinnung aus dem nächsten Umfeld nichts im Wege.

Kendlbacher sieht auch Möglichkeiten für Gemeinden, die oft nicht wissen würden, auf welchen Energiequellen sie sitzen. Beispiele sind das Abwasser, Gewerbegebiete, Industrieanlagen oder aber auch Freiflächen. Hier sind große Potenziale vorhanden, allerdings bedarf es noch einer Bewusstmachung dieser.

Erdsonden Einbringung
Die derzeit wirtschaftlichste Tiefe bei der Einbringung von Erdsonden liegt bei 150 Metern. - © BCE

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