Analyse : Strabag nach Deripaska-Kündigung: Chance auf Umwegen
Dienstag, 15.3. 9 Uhr vormittags. Die Strabag SE sendet aus: „Der börsennotierte Baukonzern Strabag SE wurde heute von seiner Kernaktionärin, der Haselsteiner Familien-Privatstiftung, darüber informiert, dass sie den Syndikatsvertrag, der mit der UNIQA- und der Raiffeisen-Gruppe sowie Rasperia Trading Ltd. besteht, gekündigt hat, nachdem alle Bemühungen, den russischen Anteil an sich zu ziehen, gescheitert sind. Der Syndikatsvertrag war seit 2007 in Kraft und sah neben der Nominierung von Aufsichtsratsmitgliedern auch die Koordination von Abstimmungsergebnissen auf der Hauptversammlung vor.“
Und weiter: „Der Vorstand begrüßt den Schritt unserer Kernaktionärin, der Haselsteiner Familien-Privatstiftung, durch die Kündigung des Syndikatsvertrags klare Verhältnisse zu schaffen. Vonseiten des Managements sind wir bereit, alle rechtlich möglichen Maßnahmen zu ergreifen, um Schaden vom Unternehmen abzuwenden. Dies bezieht sich im Blick auf die aktuell von Großbritannien und Kanada erlassenen Sanktionen insbesondere auf die Auszahlung von Dividenden.“
Was man daraus lesen KÖNNTE
Liest man schnell hinein und zählt eins und eins zusammen, kommt man schnell auf folgendes Bild: die Strabag hat den immer wieder als Putin-nah bezeichneten und in Österreich auch durch Geschäftsbeziehungen mit Ex-Magna-Chef und nunmehrigem Steyr-Automotive-Besitzer Siegfried Wolf bekannten russischen Oligarchen Oleg Deripaska (geschätztes Nettovermögen 2022 laut Forbes: 2,3 Milliarden USD, Platz 75 – nach früher bis zu 8 Mrd.) per sofort hinausgeschmissen und damit klar Schiff gemacht.
Damit könnte man sich – jetzt rein wirtschaftlich gesehen – den Rücken frei gemacht und Angriffsflächen (vor allem im wichtigen Entwicklungsmarkt Polen) beseitigt haben.
Was TATSÄCHLICH geschehen ist
Zum einen hat – nüchtern betrachtet – ein Kernaktionär einen privatrechtlichen Vertrag über gemeinsames Vorgehen und vermutlich auch Vorkaufsrechte (der Vertrag ist nicht öffentlich) mit anderen wichtigen Aktionären gekündigt, von denen einer mit der Rasperia Trading ad Personam Oleg Deripaska ist. Die anderen sind die UNIQA und die Raiffeisen NÖ-Wien Gruppe.
Der Vertrag ist 2007 erstmals geschlossen und zwei Mal verlängert worden, wäre also Ende 2022 so und so ausgelaufen. Im ersten Moment war (da der Vertrag nicht öffentlich ist) nicht ganz klar, ob er mit sofortiger Wirkung oder mit einer 6-monatigen Kündigungsfrist zum Geschäftsjahresende (vertragsrechtlich am wahrscheinlichsten) gekündigt worden war oder de facto einfach ausläuft. – Die beiden letzteren Varianten bedeuten beide: der Vertrag endet am 31.12.2022 und das tut er nach nachgereichten Informationen aus der Strabag SE auch nach einer einfachen Aufkündigung im Sinn einer Nicht-Verlängerung. Insofern wurde nur etwas vorgezogen, was ohnedies von selber passiert wäre.
Nebenbemerkung: die UNIQA hatte bereits 2017 recht ernsthaft erwogen, aus dem Syndikat auszusteigen.
Die Dividende für Oleg Deripaska ist ein eigenes Thema, das man auch völlig unabhängig vom Syndikatsvertrag sehen kann. Sie wurde nämlich bereits ein Mal 2018 zunächst eingefroren, da es gegen Deripaska in den USA (einem Land, in dem die Strabag SE Geschäftstätigkeit hat) Sanktionen gab und 2020 nachträglich ausbezahlt, als er von der Liste gestrichen wurde. Der selbe Weg wurde jetzt eingeschlagen (diesmal mit den Anlassfällen UK und Kanada).
Geschehen ist außerdem, dass die Strabag SE ihr mit 0,3 % des Konzernumsatzes klein gewordenes (dazu weiter unten) Russland-Geschäft abzuwickeln beschlossen hat.
Was andererseits NICHT geschehen ist
Von „gestrichener Dividende“ für Deripaska kann daher zumindest im Moment keine Rede sein, eventuell fällt die Dividende nach einer Verjährungsfrist dem Firmenvermögen zu, das ist aber noch unklar.
Was zumindest bis dato auch nicht geschehen ist: dass Deripaska seine Aktien verloren oder verkauft hat. Er besitzt weiter 27,8 % - sein Einfluss ist aber natürlich nach Ablauf des Syndikatsvertrages wesentlich geringer, da er in keine Entscheidungen bzw. Vorschläge mehr eingebunden ist.
Was der Strabag ERSPART geblieben ist
Abgesehen von der gezogenen Reißleine, was die permanente Assoziation mit einem russischen Oligarchen in einem Kernaktionärssyndikat betrifft, hatte die Strabag SE unter ihrem Gründer Hans-Peter Haselsteiner ganz andere Pläne gehabt, in denen Deripaska keine kleine Rolle spielte. Man hatte im Vergleich zum gedrängten Markt Europa beim Börsengang 2007 angekündigt, Russland als Schlüssel-Entwicklungsgebiet zu definieren, neben Österreich und Deutschland zum Kernmarkt zu machen, dort die Nummer Eins zu werden und entsprechend bis zu einem Drittel des Konzernumsatzes zu erwirtschaften.
2014 verabschiedete die Strabag SE sich offiziell von diesen Plänen, weil sie einfach nicht aufgingen – die letzte Gewissheit hatten die vergleichsweise äußerst kleinen Aufträge rund um die Olympischen Winterspiele in Sotschi gebracht.
Hans-Peter Haselsteiner leitete noch die seit damals gültige und von seinem Nachfolger als CEO Thomas Birtel bis heute perfekt orchestrierte Diversifizierungs- und Risikoverteilungsstrategie ein und räumte dann den Vorstandsvorsitz, um sich ohne Umwege über den Aufsichtsrat auf das Dasein als Eigentümer zu beschränken.
Man möchte sich eher nicht vorstellen, was jetzt los wäre, hätte die damalige Strategie eingeschlagen.
Hans-Peter Haselsteiners Sohn Klemens (seit 1.1.2020 im Strabag SE-Vorstand und dort für Digitalisierung und Unternehmensentwicklung verantwortlich) hat sich seine operativen Spuren im übrigen in Russland erarbeitet und im SOLID-Exklusivinterview im Februar 2020 noch durchblicken lassen, er hätte nichts gegen mehr Russland-Geschäft. Auch die dortigen Techniker wurden in Diskussionen rund um Building Information Modeling immer wieder – nicht nur von Klemens Haselsteiner - gelobt. Seit Mai 2021 ist bzw. war (oder am besten: wird gewesen sein) Klemens Haselsteiner durch Übertragung einer Namensaktie im übrigen auch im Kernsydikat der Strabag SE-Eigentümer.
Was jetzt geschehen könnte und mit welchen FOLGEN
Auf die Schnelle wird jetzt einmal überhaupt nichts geschehen. Im Juni hält die Strabag SE ihre Hauptversammlung. Unter Umständen verkauft Deripaska bis dahin seine Aktien – falls er das überhaupt noch dürfen wird, wenn ihn nicht vorher EU-Sanktionen ereilen – und die Stimmverhältnisse ändern sich ein bisschen. Derzeit steht für die Hauptversammlung keine Wahl bezüglich des Aufsichtsrates an damit auch keine Änderung bezüglich der Wahl des Vorstandes durch den Aufsichtsrat an. Thomas Birtel (mit seiner Leadership, Beständigkeit und Kommunikationsbereitschaft ein bisschen – man möge mir die persönliche Bezeichnung erlauben – die Angela Merkel der Strabag SE) ist 67 und wird daher seinen CEO-Vertrag nicht mehr verlängern bzw. verlängert bekommen. Der neue CEO wird nach Strabag-Gepflogenheiten aus dem Unternehmen kommen und langjährige und breite Strabag-Erfahrung aufweisen müssen, was den Kreis einigermaßen einengt, aber für Kontinuität sorgen sollte.
Was aber natürlich auf längere Sicht geschehen kann, ist ein größerer Streubesitz (derzeit 14,4 %), der der Aktie des eher chronisch unterbewerteten größten Baukonzern Österreichs und sechtsgrößten Baukonzern Europas guttun und der Firma auch auf dem Kapitalmarkt jenes Standing geben könnte, das ihr aufgrund der wirtschaftlichen Stärke eigentlich schon lange zukommt.