Vergaberecht : Lieferketten-Richtlinie auf der Zielgeraden!

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Wunsch nach schärferen Lieferketten-Verpflichtungen

Das EU-Parlament hat vor Kurzem seinen Standpunkt zum Kommissions-Entwurf der sogenannten Lieferketten-Richtlinie (EU-Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und zur Änderung der Richtlinie 2019/1937) beschlossen.
Die Lieferkettenregelungen sind noch nicht verbindlich, sondern müssen noch im EU-Gesetzgebungsprozess mit den Mitgliedstaaten (Ministerrat) verhandelt werden – aus dem Parlaments-Standpunkt ergibt sich aber ein klarer Wunsch nach schärferen Lieferketten-Verpflichtungen für europäische Unternehmen als von der Kommission vorgeschlagen.

Ziele und Wesentliche Eckpunkte der EU-Lieferketten-Richtlinie

Ziel der Lieferkettenrichtlinie ist es, das nachhaltige und verantwortungsvolle Verhalten von Unternehmen in allen globalen Wertschöpfungsketten zu fördern. Die Lieferkettenrichtlinie ist ein Baustein des EU Green Deals, aber soll neben dem Umweltschutz (einschließlich Biodiversität und Verbesserung der Qualität von Luft und Wasser) auch die Einhaltung von Menschenrechten im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit von EU-Unternehmen und deren Zulieferern sichern (z.B. Verhinderung von Kinderarbeit, der Ausbeutung von Arbeitnehmern, "modern slavery" usw).

Dabei sollen mit der Richtlinie (bestimmte) Unternehmen verpflichtet werden, negative Auswirkungen der eigenen sowie – unter bestimmten Voraussetzungen – fremder Unternehmenstätigkeit auf die Menschenrechte sowie auf die Umwelt zu verhindern.

Wer in die EU-Lieferkettenrichtline fällt

In den Anwendungsbereich der EU-Lieferkettenrichtline fallen im Wesentlichen folgende Unternehmen bzw deren Konzerngesellschaften (auf Basis des Vorschlages des EU-Parlaments):

* Alle in der EU-ansässigen Unternehmen des Privatrechts (GmbH, AktG, OG, KG usw) samt konzernmäßig verbundene (Tochter-)Unternehmen, mit im Durchschnitt mehr als 250 Beschäftigten und mehr als EUR 40 Mio. (Netto-)Umsatz im letzten Geschäftsjahr (oder aber die oberste Muttergesellschaft einer Unternehmensgruppe mit mehr als 500 Beschäftigten und mehr als EUR 150 Mio. Umsatz);

* Unternehmen mit Sitz außerhalb der EU, die im letzten Geschäftsjahr einen weltweiten Nettoumsatz von zumindest EUR 150 Mio. und davon zumindest EUR 40 Mio. in der EU erwirtschaftet haben.

Dabei hat das Parlament den ursprünglichen Vorschlag der Kommission deutlich verschärft: Die Kommission wollte höhere Schwellenwerte bei Beschäftigten und Umsatz und nur auf bestimmte kritische Sektoren (z.B. Bergbau, Textilsektor, Landwirtschaft) abstellen. Zudem wollte die Kommission Sorgfaltspflichten nur in Hinblick auf etablierte Geschäftspartner bzw -beziehungen vorsehen; das Parlament will aber keine Einschränkung auf Sektoren und zudem jedwede Geschäftsbeziehung im Anwendungsbereich der Richtlinie sehen, auch indirekte Geschäftsbeziehungen (so soll der bloße Beitrag eines Unternehmens zu einer negativen Auswirkung relevant sein).

Umfangreiche Pflichten

Unternehmen, die vom Anwendungsbereich der Richtlinie umfasst sind, treffen sodann umfangreiche (Sorgfalts-)Pflichten wie etwa:

* Ermittlung von tatsächlichen oder etwaigen negativen Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf Menschenrechte und Umwelt (die Unternehmen müssen also eine Risikoanalyse durchführen)

* Setzen angemessener Maßnahmen in Hinblick auf die (potenziellen) negativen Auswirkungen

* Sie müssen Beschwerdeverfahren entlang der Lieferkette ermöglichen (ähnlich einem Whistleblower-System)

* Die Angemessenheit und Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen müssen laufend evaluiert werden.

Bei Verstößen drohen den Unternehmen Sanktionen, die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen (bei finanziellen Sanktionen sind diese am Umsatz des Unternehmens zu bemessen); zudem wird eine zivilrechtliche Haftung der Unternehmen festgelegt.

Zusammengefasst

Zusammengefasst sieht die Richtlinie also im Wesentlichen einen (individuellen) risikobasierten Ansatz für Sorgfaltspflichten von Unternehmen vor. Die Richtlinie erwähnt zwar bestimmte Maßnahmen; es obliegt aber den Unternehmen, die konkret angemessenen Maßnahmen, auch unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse (z.B. bei Geschäftsverbindungen in Risiko- oder Konfliktzonen, bei "risikoreichen" Branchen usw), festzulegen. Explizit angesprochen wird auch die allfällige Einbindung von "Interessenträgern" vor Ort, wie z.B. "zivilgesellschaftliche" Organisationen (NGOs, aber auch Gewerkschaften etc), um ein möglichst objektives und glaubwürdiges Bild der Situation und Wirksamkeit von Maßnahmen zu erhalten.

Auf nationale Gesetze im Drittstaat kann sich ein Unternehmen übrigens nicht verlassen bzw berufen: sofern diese Gesetze negative Auswirkungen auf die genannten Ziele haben, müssen dennoch entsprechende Maßnahmen vom Unternehmen getroffen werden (man denke z.B. an staatlich genehmigte Abholzung von Urwäldern).

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Auch für KMU möglich

Die genannten Verpflichtungen treffen zwar primär große Unternehmen (entsprechend den vorstehenden Definitionen); aber auch kleine und mittlere Unternehmen sind keineswegs "aus dem Schneider": Da die "großen" Unternehmen die Einhaltung ihrer Sorgfaltspflichten sicherstellen und dokumentieren müssen, wird es nicht lange dauern, bis die "großen" Unternehmen entsprechende Maßnahmen und Nachweise dazu von ihren (kleineren) Geschäftspartnern, Subunternehmern, Zulieferern usw fordern. Es ist folglich wohl auch für eine Vielzahl von "kleineren" Unternehmen im höchsten Interesse, sich frühzeitig mit möglichen Maßnahmen und Nachweismöglichkeiten zur Einhaltung der (eigenen) Sorgfaltspflichten zu Umweltschutz und Menschenrechten auseinanderzusetzen (wobei derartige Verstöße keinesfalls nur außerhalb der EU passieren).

Derzeit enthält die Lieferketten-Richtlinie keine expliziten Regelungen für die öffentliche Auftragsvergabe. Das Bundesvergabegesetz sieht aber jetzt schon den Ausschluss von Unternehmen vor, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit eine schwere Verfehlung, insbesondere gegen Bestimmungen des Arbeits-, Sozial- oder Umweltrechtes, begangen haben. Es wird also nicht lange dauern, bis öffentliche Auftraggeber konkrete Nachweise oder zumindest Erklärungen zur Einhaltung von Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette einfordern.

Jetzt gilt es abzuwarten, ob der Parlamentsvorschlag zur Lieferkettenrichtlinie tatsächlich in dieser Schärfe endgültig beschlossen wird; sobald die Richtlinie final verabschiedet wurde, ist diese jedenfalls binnen zwei Jahren in nationales Recht umzusetzen!

Das deutsche Lieferkettengesetz

Deutschland hat bereits seit 1.1.2023 ein Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten ("Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz" – "dLkSG"). Bis 1.1.2024 findet es "nur" auf alle in Deutschland ansässigen Unternehmen mit mindestens 3000 Arbeitnehmern im Konzern Anwendung (ab 1.1.2024 soll das Gesetz dann schon für Unternehmen mit mindestens 1000 Arbeitnehmer gelten).

Gegen drei weltweit bekannte Unternehmen (Amazon, Ikea und Tom Tailor) wurden in Deutschland bereits erste Verfahren aufgrund Sorgfaltspflichtverletzungen nach dLkSG bzw Missachtung der Menschenrechte innerhalb der Lieferkette eingeleitet. Sollte die zuständige Behörde den Beschwerden stattgeben, könnten von der Behörde Geldbußen von bis zu 2% des weltweit erzielten Jahresumsatzes über die betreffenden Unternehmen verhängt werden. Die Lieferketten-Sorgfaltspflichten sind bei unserem Nachbarn Deutschland also bereits sehr "real".

Tipps für die Vergabepraxis

* Das EU-Parlament hat mit Anfang Juni seinen Standpunkt für eine Lieferketten-Richtline verabschiedet, der noch einmal deutlich strenger als der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission ist. Auch wenn der Vorschlag noch verhandelt wird, ist die Richtung hin zu strengen Sorgfaltspflichten für "große" Unternehmen klar.

* Bei Verstößen gegen (Sorgfalts-)Pflichten drohen Verwaltungsstrafen, die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend seinmüssen und deren Höhe sich am Umsatz des Unternehmens bemisst (nach dem deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz etwa aktuell bis zu 2% des weltweit erzielten Jahresumsatzes).

* Die Einhaltung entsprechender Sorgfaltspflichten entlang der gesamten Liefer- bzw Produktionskette – samt deren Dokumentation – wird für die Baubranche nicht nur "untereinander" (als Zulieferer, Subunternehmer etc), sondern auch gegenüber Auftraggebern (und zwar öffentlichen und privaten) wesentlich sein. Entsprechende Maßnahmen und Vorkehrungen sollten daher frühzeitig vorbereitet werden.