Vergaberecht : Ende der Festpreise in Vergabeverfahren?
Festpreise und veränderliche Preise
Die aktuelle wirtschaftliche Situation ist – nicht zuletzt aufgrund des Krieges in der Ukraine – geprägt von massiven Preissteigerungen bzw. äußerst volatilen Preisen für viele Roh- und Baustoffe. Dazu kommen Produktionsengpässe, Störungen in der Lieferkette, Lieferverzögerungen und mitunter sogar ganze Lieferausfälle. Bei öffentlichen Ausschreibungen stellt sich daher vielfach die Frage: Muss der Bieter all diese Preis-Risiken "schlucken" und Festpreise anbieten?
Das Bundesvergabegesetz sieht hinsichtlich allfälliger späterer Preisanpassungen im Wesentlichen zwei "Systeme" vor:
- Veränderliche Preise: Der Vertrag wird auf Basis eines Preises geschlossen (der Preis zum Ende der Angebotsfrist), der bei Kostenveränderungen anhand eines vertraglich vereinbarten Systems bzw. Indices (gegebenenfalls nach Ablauf eines gewissen Zeitraumes) angepasst wird.
- Festpreise: Der Vertrag wird zu einem "fix" vereinbarten Preis geschlossen und über die Vertragslaufzeit nicht angepasst (der Bieter rechnet allfällige Kostenerhöhungen für den jeweiligen Zeitraum bereits in den Festpreis ein).
Bei der Festlegung auf eines dieser beiden "Systeme" sind Auftraggeber jedoch nicht frei. So wissen zwar viele Bieter (und Auftraggeber), dass die Dauer einer Festpreisbindung laut Gesetz grundsätzlich die Dauer von einem Jahr nicht übersteigen darf (eine längere Festlegung ist nur in sachlich gerechtfertigten Ausnahmefällen zulässig). Vielen Bietern (und Auftraggebern) ist jedoch nicht bewusst, dass das Gesetz schon "vorher" strenge Voraussetzungen an die Wahl des jeweiligen "Preissystems" stellt. So regelt § 29 Bundesvergabegesetz BVergG ausdrücklich, dass nur dann zu Festpreisen ausgeschrieben werden darf, "wenn den Vertragspartnern nicht durch langfristige Verträge oder durch preisbestimmende Kostenanteile, die einer starken Preisschwankung unterworfen sind, unzumutbare Unsicherheiten entstehen". Sollten durch die Festpreis-Festlegung derartige unzumutbare Unsicherheiten entstehen, dann muss (zwingend) zu veränderlichen Preisen ausgeschrieben werden.
Ein vergleichbares Korrektiv für unzumutbare Risikoüberwälzungen auf Bieter sieht das BVergG auch an anderer Stelle vor: Das Gebot an Auftraggeber, die Ausschreibungsunterlagen so auszuarbeiten, "dass die Preise ohne Übernahme nicht kalkulierbarer Risiken […] von den Bietern ermittelt werden können" (vgl. § 88 Abs. 2 BVergG). Auch mit dieser Bestimmung will das BVergG ungerechtfertigte Risikoüberwälzungen auf Bieter verhindern.
Die Wägung des Gesetzes ist dabei klar: Auftraggeber dürfen grundsätzlich Festpreise (für gewisse Zeiträume) verlangen, weil diese naturgemäß ein Interesse an planbaren und stabilen Kosten und Budgets haben; gleichzeitig kennen Bieter ihre eigene Preisgestaltung und ihre eigenen Kostenstrukturen naturgemäß viel besser als der Auftraggeber, sodass die Bieter das Risiko einer (zeitlich begrenzten) Festpreisbindung einschätzen und mittels eines entsprechenden Festpreiszuschlages in ihrer Kalkulation abbilden können (sollten den Auftragnehmer in der Folge höhere Kosten treffen, so liegt dies in seinem Risiko und er kann keine Mehrkosten fordern). Wie im Geschäftsleben üblich, bezahlt der Auftraggeber dann eben ein höheres Entgelt im Gegenzug für höhere (Preis-)Sicherheit bzw. ein geringeres Risiko. Bei hoher Preisvolatilität kann dieses System aber "kippen" und selbst für die Bieter nicht mehr vorsehbar bzw. vorhersagbar sein, wie sich ihre Kosten in absehbarer Zeit entwickeln. In einem solchen Fall wäre es unbillig, wenn der Auftraggeber den Bietern dieses erhebliche Marktrisiko (dennoch) überbürdet. Wenn der Markt schlicht keine entsprechende Vorhersehbarkeit bietet, dann ist die faire Lösung nach BVergG, den Zuschlag zu den aktuellen Marktpreisen im Sinn einer "Momentaufnahme" zu erteilen und sodann mit veränderlichen Preisen diese Preisgrundlagen entsprechend der Marktentwicklung fortzuschreiben.
Kurz zusammengefasst: Auftraggeber dürfen Festpreise grundsätzlich für beschränkte Zeiträume fordern. Wenn es für Bieter aber nicht möglich ist, den vom Auftraggeber geforderten Festpreis (für die geforderte Dauer der Festpreisbindung) ohne Übernahme unzumutbarer oder unkalkulierbarer Risiken anzubieten, dann ist die Forderung eines Festpreises rechtswidrig.
Soweit die Theorie, jedoch gibt es in Österreich – soweit überschaubar – bisher keine Rechtsprechung zu der Frage, wann die Forderung eines Festpreises nicht (mehr) zulässig ist. In Deutschland ist zu dieser Thematik jetzt aber kürzlich eine sehr klare Entscheidung ergangen.
Paradigmatische Deutsche Entscheidung
Gegenstand des Verfahrens vor der (deutschen) Vergabekammer Thüringen war ein Bauauftrag zur Herstellung einer elektrotechnischen Anlage als Teil des Neubauprojekts der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Ein Bieter wurde im Wesentlichen aufgrund technischer Angebotsmängel ausgeschieden und bekämpfte diese Entscheidung vor der Vergabekammer. Erst im weiteren Verlauf des Verfahrens vor der Vergabekammer hat der Bieter auch das Fehlen einer "Stoffpreisgleitklausel" bemängelt.
Unter Verweis auf die (durchaus vergleichbare) deutsche Rechtslage hat die Vergabekammer sehr klar ausgesprochen, dass die dynamische Preisentwicklung durch den Ukraine-Krieg den Bietern eine Preiskalkulation (derzeit) unzumutbar erschwert bzw. unmöglich macht. Dabei nahm die Vergabekammer auch Bezug auf ein Rundschreiben zweier Bundesministerien für die Bundesbauverwaltung und den Verkehrswegebau, wonach für gewisse Bereiche selbst bei Festpreisvereinbarungen nachträgliche Preisanpassungen zugelassen werden sollen. Für die Vergabekammer bestanden demnach keine Zweifel daran, dass den Bietern im entscheidungsgegenständlichen Fall mit der Forderung nach Festpreisen ein ungewöhnliches (und somit unzulässiges) Wagnis aufgebürdet werde.
Rein prozessrechtlich interessant ist an der Entscheidung, dass die Kammer sogar die "Zurücksetzung des Verfahrens" in den Stand vor Angebotsöffnung beschlossen hat – die Angebote waren daher unter Berücksichtigung einer Stoffpreisgleitklausel neu zu legen (eine solche "Zurücksetzung" oder spätere Berücksichtigung nach Angebotsöffnung wäre nach österreichischem Prozessrecht nicht möglich).
Ausschreibungen aktuell nur zu veränderlichen Preisen
Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges und der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie muss vergaberechtlich aktuell zumindest für bestimmte Leistungen bzw. Leistungsteile (oder Preisanteile) eine Ausschreibung zu veränderlichen Preisen erfolgen. Jedenfalls dann, wenn ansonsten unzumutbare Unsicherheiten für die Bieter entstehen würden, sind veränderliche Preise vorzusehen. Erfolgt in solchen Fällen keine Ausschreibung zu veränderlichen Preisen, ist dies rechtswidrig und damit anfechtbar. Aber Achtung: Anders als in dem geschilderten deutschen Fall müssten in Österreich bereits die Ausschreibungsunterlagen (mit der rechtswidrigen Festpreisregelung) mittels Nachprüfungsantrages bekämpft werden; andernfalls würde die Festpreis-Forderung "bestandfest" werden und es müssten – trotz Rechtswidrigkeit – Festpreise angeboten werden (sofern ein Unternehmen dann noch ein Angebot legen möchte).
Vor Einbringung eines Nachprüfungsantrages sollte aber jedenfalls versucht werden, den Auftraggeber im Wege von Bieterfragen zu einer Änderung der Festlegung (hin zu veränderlichen Preisen) zu bewegen. Schließlich sollten Auftraggeber ihrerseits die Forderung von Festpreisen gründlich überlegen, weil damit unter Umständen (aufgrund der hohen Volatilität der Preise) überhöhte Risiko- bzw. "Angstzuschläge" der Bieter in die Preise einfließen und der Auftraggeber damit die Beschaffung (zusätzlich zu den allgemeinen Preissteigerungen) noch zusätzlich verteuern würde.
Tipps für die Vergabepraxis:
- Die Forderung von Festpreisen in Vergabeverfahren ist dann unzulässig, wenn es für die Bieter nicht möglich ist, den vom Auftraggeber geforderten Festpreis (für die geforderte Dauer der Festpreisbindung) ohne Übernahme unzumutbarer oder unkalkulierbarer Risiken anzubieten.
- Wird dennoch ein Festpreis gefordert, so ist dies rechtswidrig und anfechtbar. Vor Einbringung eines Nachprüfungsantrages sollte aber jedenfalls versucht werden, den Auftraggeber im Wege von Bieterfragen zu einer Änderung der Festlegung (hin zu veränderlichen Preisen) zu überzeugen.
- Auch Auftraggeber sollten die Forderung von Festpreisen gründlich überlegen, weil damit unter Umständen (aufgrund der hohen Volatilität der Preise) überhöhte Risiko- bzw. "Angstzuschläge" in die Preise einfließen und damit die Beschaffung (zusätzlich zu den allgemeinen Preissteigerungen) verteuert werden könnte.