Baurecht : Die 4 größten Mythen der Baubranche

Baurecht SOLID Wolf Theiss
© WEKA Industrie Medien / Johanna Kellermayr

Mythen entstanden in einer Zeit, in der Menschen und Völker noch keine Schrift hatten und sich Geschichten mündlich weitererzählten. Zwar kann man heutzutage davon ausgehen, dass in der Baubranche (trotz der altbewährten "Handschlagqualität") vieles verschriftlicht wird, jedoch werden die sich hartnäckig haltenden Mythen wohl so oder so ähnlich zustande gekommen sein. In diesem Beitrag gehen wir auf einzelne dieser "Praktiken" ein und beleuchten deren rechtliche Relevanz.

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Schlussrechnung – "Aussetzen der Prüffrist"

Starten wir mit einem beliebten und häufig zitierten Mythos im Zusammenhang mit der Schlussrechnung. Der Auftragnehmer (AN) hat seine Leistungen (vertragsgemäß) erfüllt und legt folgend – im besten Fall innerhalb der vereinbarten Frist – die Schlussrechnung an den Auftraggeber (AG).

Nun liegt der Ball beim AG: in den meisten Verträgen folgt auf die Übermittlung der Schlussrechnung eine Frist, innerhalb welcher der AG die Schlussrechnung zu prüfen und – sofern erforderlich – den AN zur Abgabe weiterer für die Prüfung notwendiger Unterlagen aufzufordern hat. Gibt es so eine Frist nicht, beginnt mit der Übermittlung der Schlussrechnung an den AG unmittelbar die vereinbarte Zahlungsfrist zu laufen. Innerhalb dieser Frist hat der AG also die Schlussrechnung – geprüft oder ungeprüft – zu begleichen.

Da mit Ablauf der Zahlungsfrist bekanntermaßen Verzugszinsen – derzeit 12,58 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz – anfallen, wurde es zu einer beliebten Praxis auf Auftraggeberseite, eine vereinbarte "Prüffrist auszusetzen". Dies in dem Glauben, mit einer solchen Mitteilung – oftmals ohne Angabe von Gründen – die Fälligkeit der Forderung verhindern zu können.

Wenngleich dieses Vorgehen durchaus verbreitet ist, ein Anfallen von Verzugszinsen verhindert es keinesfalls. Ein "Aussetzen der Prüffrist" und folglich ein einseitiges "Aussetzen der Fälligkeit" gibt es schlicht und ergreifend nicht und es lässt sich auch weder aus dem Gesetz noch aus Normen oder Gebräuchen ableiten.

Wird also die Forderung vom AG nicht innerhalb der Zahlungsfrist geprüft und beglichen, hat der AN einen Anspruch auf die gesetzlichen oder vertraglich vereinbarten Verzugszinsen.

Schlussrechnung – "Zurückweisung der Schlussrechnung"

Das selbe Konzept lässt sich auf eine zweite Eigenart mancher AG nach Erhalt der Schlussrechnung übertragen: das "Zurückweisen der Schlussrechnung". Auch mit diesem formlosen Akt versuchen AG, die Fälligkeit der Schlussrechnung und im Ergebnis ein Anfallen von Verzugszinsen zu verhindern.

Offensichtlich ist, dass auch ein bloßes Zurückweisen der Schlussrechnung – oftmals in Form eines Zurückschickens der Schlussrechnung mit einem mehr oder weniger begründeten Vermerk an den AN – nicht die Fälligkeit der Forderung verhindern kann. Wenngleich (auch weiterhin) unter Punkt 8.3.7.1 der ÖNORM B2110:2023 festgehalten wird, dass der AG, sofern er die Schlussrechnung weder prüfen noch berichtigen kann, diese dem AN binnen 30 Tagen zur Verbesserung zurückstellen und von diesem binnen 30 Tagen neu vorzulegen ist, kann hieraus keinesfalls ein solches Vorgehen begründet werden. Hiermit kann der AG lediglich die Frist zur Prüfung / Zahlung der Forderung verlängern und dies auch nur dann, wenn die Schlussrechnung derart mangelhaft ist, dass diese weder geprüft noch berichtigt werden kann.

Liegt dies jedoch nicht vor und wird die Forderung vom AG nicht innerhalb der vereinbarten Zahlungsfrist beglichen, hat der AN – unabhängig von einer Zurückweisung der Schlussrechnung in welcher Form auch immer – einen Anspruch auf Verzugszinsen.

"Verdeckter" oder "versteckter" Mangel

Lange nach etwaigen Disputen rund um die Schlussrechnung und meist auch nach Ablauf der Gewährleistungsfrist tritt oft ein weiterer beliebter Mythos zutage: der "verdeckte Mangel". Wie ein Damoklesschwert schwebt der "verdeckte Mangel" über jedem AN, heißt es ja, dass man diese Mängel auch drei Jahre nach der Übergabe – somit nach Ablauf der gesetzlichen Gewährleistungsfrist für unbewegliche Sachen – noch im Rahmen der Gewährleistung beheben muss.

Auch wenn sich dies viele AG wünschen, ist nicht jeder Mangel, der verspätet hervorkommt, zugleich ein "verdeckter Mangel", für den die Gewährleistungsfrist noch nicht zu laufen begonnen hat. So beginnt die Frist auch bei einem "verdeckten Mangel" grundsätzlich mit der Übergabe zu laufen.

Lediglich bei ausdrücklich zugesicherten Eigenschaften kann die Gewährleistungsfrist erst mit Erkennbarkeit des Mangels zu laufen beginnen, da in der Zusicherung einer Eigenschaft typischerweise eine stillschweigende Verlängerung der gesetzlichen Gewährleistungsfrist enthalten ist. Wurden jedoch vertraglich bestimmte Gewährleistungsfristen vereinbart – wie dies in den meisten Bauverträgen üblich ist – kommt eine solche stillschweigende Verlängerung nicht mehr in Betracht.

Die Erkennbarkeit des Mangels ist somit keine Voraussetzung für den Beginn des Fristenlaufs. Sofern also keine besonderen Sacheigenschaften zugesichert wurden, verjähren Gewährleistungsansprüche auch bei "verdeckten Mängeln" innerhalb der gesetzlichen Frist (bei unbeweglichen Sachen nach drei Jahren) oder einer allenfalls vertraglich davon abgehenden längeren oder kürzeren Frist. Dies gilt auch für sich typischerweise erst nach mehreren Jahren zeigende Materialfehler.

Erstaunlich ist, dass selbst die hierzu seit Jahren gefestigte Rechtsprechung nichts daran geändert hat, dass auch weiterhin ein Großteil der Baubranche davon ausgeht, dass jeder Mangel, der erst später zum Vorschein kommt, als "verdeckter Mangel" auch nach Ablauf der Gewährleistungsfrist behoben werden muss.

(Abweichen vom) Schriftformgebot oder: Nur Schriftliches gilt!

In zahlreichen Bauwerkverträgen finden sich Bestimmungen, wonach "sämtliche Änderungen und Ergänzungen dieses Vertrages der Schriftform bedürfen" und auch "ein Abgehen von diesem Schriftformgebot nur schriftlich erfolgen kann". Im Fall von Streitigkeiten lehnen sich die Vertragspartner im Vertrauen auf die "Haltbarkeit" einer solchen Bestimmung oft zurück und bestreiten Nachträge, geändert auszuführende Leistungen oder Terminverschiebungen mit dem bloßen Verweis darauf, dass diese nicht (unter-)schriftlich vereinbart worden seien.

Dabei ist es Vertragsparteien immer möglich, (konkludent) vom Schriftformgebot abzuweichen. Kommen also entscheidungsbefugte Vertreter der Parteien mündlich überein, den abgeschlossenen Vertrag zu verändern (sei es hinsichtlich Termin, Kosten oder Leistungsumfang), geht eine solche Vereinbarung – vorausgesetzt, es besteht beiderseits ein entsprechender Wille, eine Vertragsänderung herbeizuführen – stets dem vertraglich vereinbarten Schriftformgebot vor.

In eine ähnliche Kerbe schlägt der für uns immer wieder überraschende Mythos – oder besser Irrglaube –, wonach vor Gericht lediglich schriftlichen Beweisen auch tatsächlich Beweiskraft zukommt. Dass auch der Zeugenbeweis eine (wenn nicht die) maßgebliche Erkenntnisquelle der mit einer Streitigkeit befassten Gerichte darstellt und sohin nicht alles, was nicht schriftlich vereinbart wurde, null und nichtig ist, wird oftmals verkannt.

Mythen als gefährliches Halbwissen

Nicht selten ist das Versteifen auf derartige "Mythen" der Stein, der eine handfeste Streitigkeit zwischen Vertragspartnern ins Rollen bringt. Die Liste der oben genannten Mythen als Resultate gefährlichen Halbwissens lässt sich wohl noch lange fortsetzen; in einer künftigen Ausgabe des SOLID werden wir bestimmt darauf zurückkommen.

Praxistipps

* Eine Verlängerung der Frist für die Zahlung der Schlussrechnung kommt nur dann und nur in jenem Umfang in Betracht, wenn und insoweit der AN für die Prüfung der Schlussrechnung relevante Unterlagen nicht übermittelt hat oder sonstige Gründe vorliegen, warum die Schlussrechnung nicht prüfbar/nachvollziehbar ist. Ein bloßes "Aussetzen der Prüffrist" oder eine "Zurückweisung" / ein "Zurückschicken" der Schlussrechnung hindert die Fälligkeit der Schlussrechnungsforderungen nicht. Wird die Schlussrechnung nicht innerhalb der (allenfalls verlängerten) Zahlungsfrist bezahlt, fallen zwischen Unternehmern Verzugszinsen in Höhe von derzeit 12,58 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz an, sofern keine niedrigen Zinsen vertraglich vereinbart wurden.

* Tritt ein Mangel nach Ende der gesetzlichen bzw vertraglich allenfalls verlängerten Gewährleistungsfrist auf, sollte im ersten Schritt geprüft werden, ob der Mangel im Abweichen von einer ausdrücklich zugesicherten Eigenschaft begründet liegt. Ist dies nicht der Fall, bestehen in der Regel keine Gewährleistungsansprüche des Übernehmers mehr; allenfalls kommen Ansprüche aus Schadenersatz statt Gewährleistung in Betracht, die allerdings ein Verschulden des Übergebers voraussetzen.

* Von einem vertraglich vereinbarten Schriftformgebot können die Parteien bzw deren entscheidungsbefugte Vertreter jederzeit einvernehmlich – sowohl ausdrücklich als auch konkludent – abgehen und mündliche Vertragsänderungen vornehmen.