SOLID 02/2021 : Allianzvertrag: Aufbruch zu neuen Ufern oder more of the same?
Im angloamerikanischen Raum, vor allem in Neuseeland und Australien, aber auch in Großbritannien und den USA kann der "Alliance Contract" – zu Deutsch: Allianzvertrag – bereits zu den Standardabwicklungsmodellen in der Vergabe und Durchführung von Bauprojekten, insbesondere im Infrastrukturbereich, gezählt werden. Demgegenüber ist die Anzahl an Allianzvertrags-Projekten im deutschsprachigen Raum noch durchaus überschaubar. Dennoch ist der Allianzvertrag auch hierzulande seit einiger Zeit in vieler Munde und soll mit dem folgenden Beitrag (und Folgeartikeln) aus bauvertraglicher Sicht beleuchtet werden.
DEN Allianzvertrag gibt es nicht
Ein einfacher Vergleich zum angloamerikanischen Raum scheitert einerseits an den unterschiedlichen Rechtssystemen, andererseits vor allem an der Tatsache, dass "der Allianzvertrag" schlichtweg nicht existiert. Versuche, einen "Standard-Allianzvertrag" zu entwickeln und zu etablieren, wurden beispielsweise schon von der "Transnational Alliance Group", einer Expertengruppe bestehend aus dem "King's College London Centre of Construction Law" und der "Association of Consultant Architects", unternommen. Diese mündeten in einem sogenannten "Framework Alliance Contract" (FAC-1), sohin einer (bloßen) Partnering-Vereinbarung, welche dem eigentlichen Bauvertrag als Anhang angeschlossen wird und somit – ähnlich wie Allgemeine Vertragsbedingungen – neben dem eigentlichen (Bau-)Werkvertrag existiert und keinen eigenen "Allianzvertrag" darstellt.
Diese Vorgehensweise, das "project alliancing" (nur) in Form von Zusatzvereinbarungen zu standardisieren, zeigt bereits, dass "der Allianzvertrag" (bisher) stets projektbezogen und von den Anwendern individuell gestaltet wurde. Der Allianzvertrag stellt in aller Regel weiterhin einen (Bau-)Werkvertrag dar, der vom Grundsatz "best for the project" getragen werden soll, weshalb sich auch die konkrete Ausgestaltung eines Allianzvertrags zumindest im deutschsprachigen Raum bisher vor allem an den projektspezifischen Gegebenheiten orientiert hat.
Dennoch zeichnen sich aus der Literatur und bisherigen im deutschsprachigen Raum abgeschlossener Allianzverträge einige Grundprinzipien und Regelungen ab, welche diesen Allianzverträgen gemein sind, diese von "normalen" Bauverträgen unterscheiden und sich in ihren Grundzügen auch in den angloamerikanischen Modellen finden. Diese sollen in der Folge im Überblick dargestellt und in weiteren Artikeln im Detail beschrieben werden.
Organisationsstruktur im Dienst des Projekterfolgs
Grundidee des Allianzvertrags ist es, anstelle einer klassischen Rollenverteilung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer eine Allianz aus diesen – nach österreichischem Recht unter Umständen in Form einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GesbR) – zu bilden, die das Bauvorhaben gemeinsam abwickelt. Diese Allianz soll unabhängig von den traditionellen Rollen der Beteiligten und der Firmenzugehörigkeit aus dem Bauherrn, Planern, und Ausführenden gebildet werden, um das Projekt gemeinsam zu planen, zu kalkulieren und schließlich abzuwickeln.
In der bisher gelebten Praxis wird mit einer tatsächlichen "Vergesellschaftung", also Bildung einer GesbR, noch äußerst vorsichtig umgegangen. Der Zusammenschluss zur Allianz erfolgt bisher vielmehr über Verhaltensregeln, gemeinsame Zielsetzungen sowie über spezielle Vergütungsmodelle (siehe dazu sogleich im Detail), die alle Allianzpartner am Projekterfolg oder -misserfolg partizipieren lassen sollen.
Innerhalb der Allianz soll auf verschiedenen Ebenen, angefangen von der Führungsebene (dem "Allianzvorstand" oder "Alliance Leadership Team") über die operative Ebene (das Managementteam oder "Alliance Management Team") bis hin zur projektbearbeitenden Ebene (dem Projektteam oder "Wider Projekt Team"), gemeinsam auf einen möglichst großen Projekterfolg hingearbeitet werden. Das Prinzip "best for the project" soll dabei durch das Prinzip "best person for the job" ergänzt werden; es sollen demnach die geeignetsten Experten der Allianzpartner über die Grenzen der Firmenzugehörigkeit hinweg gemeinsam den Projekterfolg maximieren – soweit die Theorie.
Meistdiskutiert: das Vergütungsmodell
Ein wesentliches Unterscheidungskriterium zum "klassischen Bauvertrag" stellt beim Allianzvertrag das Vergütungsmodell dar, das darauf ausgelegt ist, den Gewinn oder Verlust beim Projekt zwischen den Allianzpartnern möglichst partnerschaftlich aufzuteilen.
Bei diesem 3-stufigen Vergütungsmodell sollen vorab von den Allianzpartnern gemeinsam Zielkosten definiert und vereinbart werden. Zusätzlich können auch nicht monetäre Kriterien, wie eine gewisse Ausführungsqualität, Termine oder Arbeitssicherheit, aber auch die Einhaltung der Zielkosten als Vergütungskriterien vereinbart werden. Diese Kriterien werden in der internationalen Praxis als "Key Result Areas" (KRA) bezeichnet und lassen sich nach einem zuvor gemeinsam festgelegten Bewertungsschlüssel ("Key Performance Indicators" – KPI) beurteilen.
In der ersten Stufe werden nach einem "open book"-System ausschließlich die direkten (tatsächlichen) Projektkosten und Gemeinkosten des Projekts (Lohn, Material, Subunternehmer etc.) verrechnet, wodurch zumindest die tatsächlich angefallenen Projektkosten jedenfalls abgedeckt werden.
In der zweiten Stufe sollen die Geschäftsgemeinkosten sowie der Gewinn des ausführenden Unternehmens über Zuschlagssätze abgegolten werden.
Die dritte Stufe sieht sodann üblicherweise ein "Bonus/Malus"-System vor, über das die Allianzpartner an der Gesamtprojektperformance partizipieren sollen.
Die genaue Ausgestaltung des Vergütungsmodells ist - zumindest auf Basis der Erkenntnisse aus der bisherigen Literatur und Praxis – bisher am meisten diskutiert und am unterschiedlichsten gehandhabt worden. Diesem Thema, insbesondere den unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten, soll daher ein eigener Beitrag in einem der folgenden Ausgaben von SOLID gewidmet werden.
Risikozuordnung und -teilung: Absicherung oder neues Gefahrenpotenzial?
Eng mit dem jeweiligen Vergütungsmodell verbunden und doch ein wesentlicher eigener Regelungspunkt innerhalb der Allianzverträge ist die Risikozuordnung / Risikoteilung. Ob es nämlich bei der Vergütung zu einer "win-win" oder "lose-lose"-Situation kommt, hängt maßgeblich von der vertraglich festgelegten Risikoverteilung ab. Entscheidend ist diese zumeist für die Frage, ob es zu einer Fortschreibung der Zielkosten und damit zu einer Anpassung des Entgelts kommt.
Die werkvertraglichen Risikosphären (sowohl ABGB als auch ÖNORM B 2110 bzw. B 2118) werden in der Regel dahingehend abgeändert, dass drei verschiedene Risikosphären geschaffen werden: Die gemeinsame Risikosphäre, die Risikosphäre des Bauherrn und die Risikosphäre des Auftragnehmers / Allianzpartners (AN). Grundsätzlich ist auch die Auswirkung eines Risikos auf die Zielkosten und damit die Vergütung individuell zu vereinbaren.
Bisher scheint jedoch die Grundidee zu sein, dass nur ein Risiko aus der Sphäre des Bauherrn zu einer Fortschreibung der Zielkosten und damit zu monetären Auswirkungen in der zweiten Stufe des Vergütungsmodells (Geschäftsgemeinkosten und Gewinn) führt. Risiken aus der gemeinsamen Sphäre sollen hingegen zu keiner Fortschreibung der Zielkosten führen, sondern nach einem diesbezüglich festgelegten Schlüssel unter den Allianzpartnern aufgeteilt werden. Für verwirklichte Risiken aus der Sphäre des Allianzpartners soll gelten, dass daraus entstehende Kosten nicht vom Bauherrn zu vergüten sind, sondern der entsprechende Allianzpartner diese selbst zu tragen hat.
Welche Risiken in welcher Sphäre liegend vereinbart werden, hängt von der konkreten Ausgestaltung des Allianzvertrags ab. Ob die diesbezüglich getroffenen respektive in der Literatur behandelten Vereinbarungen tatsächlich partnerschaftlich sind, oder ob gerade diese betont "partnerschaftliche" Risikozuordnung besonderes Risikopotenzial birgt, soll ebenso in einem gesonderten Beitrag beleuchtet werden.
Konfliktlösung und Streitbeilegung: Ebenen mit Eskalation
Die in Allianzverträgen häufig vorgesehenen Streitbeilegungsmechanismen wirken (zumindest in der Theorie) auffallend einfach. Der wesentliche Grundsatz ist, dass Streitigkeiten in erster Linie auf jener Ebene gelöst werden sollen, auf welcher sie entstanden sind. Ist eine Einigung auf dieser Ebene nicht möglich, erfolgt eine Befassung der nächsthöheren Ebene in der Allianzorganisationsstruktur bis hin zum Allianzvorstand. Wird auch auf höchster allianzinterner Ebene keine Einigung über eine Streitigkeit gefunden, so kann (fakultativ) eine externe Mediation vorgesehen werden, bevor unter Ausschluss des ordentlichen Rechtswegs zu den staatlichen Gerichten über eine Schiedsklausel im Vertrag ein Schiedsgericht mit der endgültigen Entscheidung befasst wird.
Fazit
"Den Allianzvertrag" gibt es (bisher) nicht. Die von den Autoren und in der Literatur bisher analysierten Verträge sind zumeist (Bau-)Werkverträge, die insbesondere durch eine "vergesellschaftete" Organisationsstruktur, partnerschaftliche Vergütungsmodelle, eine (von ABGB und ÖNORM) abweichende Risikoverteilung und eine gestaffelte Streitbeilegung verschieden stark als Allianzverträge ausgestaltet werden.
Die Vergütungsmodelle sind von der Grundidee geprägt, dass das ausführende Unternehmen zumindest seine projektbezogenen Kosten ersetzt bekommen soll. Der von mehreren Faktoren unterschiedlicher Risikosphären abhängige Projekterfolg oder -misserfolg soll unter den Allianzpartnern möglichst partnerschaftlich aufgeteilt werden.
Die Streitbeilegung soll in erster Linie auf den verschiedenen Ebenen der Allianzstruktur erfolgen; nur im "worst case" soll ein externer Mediator oder ein Schiedsgericht angerufen werden.