Interview zur Bauordnung Wien : „Wiener Altbauschutz ist verfassungsrechtlich bedenklich“

Dorda-Partner und Rechtsanwalt Philipp Pallitsch: „Eine bundesweite Harmonisierung des Baurechts werde ich in meiner beruflichen Laufbahn nicht mehr erleben.“
- © Philipp HorakSolid: Als Partner und Rechtsanwalt der Kanzlei Dorda Rechtsanwälte sind Sie auf öffentliches Baurecht, Raumplanungsrecht, Baubewilligungsverfahren sowie Bauvertragsrecht und Vergaberecht spezialisiert. Wie ist die Auftragslage in wirtschaftlich schwierigen Zeiten?
Philipp Pallitsch: Trotz Krise am Immobilienmarkt ist mein Team weiterhin gut beschäftigt. Laufende Projekte im Bewilligungsstadium werden zwar umgesetzt, in Sachen Neuvorhaben wurde es allerdings ruhiger. Auf der anderen Seite werden die Bauprozesse im Zusammenhang mit Mehrkostenforderungen, Qualitäts- und Umsetzungsmängeln mehr.
Manche Bauprozesse mögen dabei einen strategischen Hintergrund haben, um aufgrund schwebender Forderungen eine Insolvenz noch hinauszuschieben. Auch bei großen Bauträgern und Immobilienunternehmen nahmen die Insolvenzen zu.
Zukunftsprognose
Wie sieht Ihre Prognose für die nähere Zukunft aus?
Ich sehe trotz allem erste Anzeichen für ein vorsichtiges Anfahren der Baukonjunktur. Die Goldgräberstimmung der vergangenen Jahre mag vorbei sein, der Bedarf nach Wohnraum ist jedoch nach wie vor gegeben.
Nach einer Phase der Marktbereinigung trägt die bereits mehrfache Senkung des Leitzinssatzes dazu bei, dass die Arbeit wieder aufgenommen wird. Dazu kommt der Gewöhnungseffekt. Schließlich waren die Zinsen zuletzt auch in der Hochzinsphase nicht so hoch wie etwa vor 15 Jahren.
Die Bauordnungen der Länder sind so verschieden, dass man meinen könnte, man hätte es mit unterschiedlichen Rechtsmaterien zu tun.Philipp Pallitsch, Partner Dorda Rechtsanwälte GmbH
Fit für die EU-Gebäuderichtlinie
Als Fachautor haben Sie Werke zu den Bauordnungen von Wien, Niederösterreich, Kärnten und dem Burgenland publiziert. An welcher dieser Länderbauordnungen könnte man sich aus Ihrer Sicht im Sinne einer bundesweiten Harmonisierung orientieren?
In der Gesamtschau ist es erstaunlich, dass man ein und dieselbe Rechtsmaterie innerhalb eines kleinen Staates wie Österreich dermaßen unterschiedlich regeln kann. Wenn man in die einzelnen Landesgesetze hineinschaut, könnte man mitunter meinen, man hätte es mit unterschiedlichen Rechtsgebieten zu tun. Dennoch werde ich es während meiner beruflichen Laufbahn bestimmt nicht mehr erleben, dass das Baurecht und/oder das Raumplanungsrecht im Rahmen einer Bundesstaatsreform harmonisiert werden.
Jede Bauordnung hat ihre Vor- und Nachteile. Jene des Burgenlands etwa ist kompakt in 36 Paragraphen geregelt. Das ist charmant, aber leider auch lückenhaft.
Wien hat eine Bauordnung mit langer Historie; Verwaltungspraxis und Rechtsprechung sind sehr gut. Zugleich sind die Regelungen – immerhin mehr als 140 Paragraphen – aber außerordentlich komplex. Bemerkenswert an der niederösterreichischen Bauordnung wiederum ist die starke Einschränkung der Nachbarrechte.
Bauordnung von Wien aktualisiert
Gemeinsam mit Gerhard Cech, dem Leiter der Baupolizei MA 37, haben Sie 2024 den im Manz Verlag erschienenen Kurzkommentar „Bauordnung von Wien“ aktualisiert und in großen Teilen neu verfasst. Was hat sich geändert?
Mit 1. Juli 2024 wurde das Verbot der touristischen Vermietung in Wohnzonen auf alle Wohnungen im Wiener Stadtgebiet ausgeweitet. Damit wird die Vermietung von Wohnungen zu touristischen Zwecken auf 90 Tage im Jahr begrenzt – alles andere bedarf einer Ausnahmebewilligung. Die Regelung adressiert vor allem Vermietungsplattformen wie AirBnB. Ziel ist es, das Wohnungsangebot in Kurzzeitvermietung auf ein für die Stadt und deren Bevölkerung verträgliches Maß zu beschränken.
Ein weiterer aktueller Fokus liegt bei den neuen Regelungen zu Dach- und Fassadenbegrünungen, zu Photovoltaikanlagen und E-Ladestationen sowie zur Erdwärme. Die Wiener Bauordnung macht sich damit fit für die Gebäuderichtlinie der Europäischen Union.

Es gibt bereits Bestrebungen, die Regelungen zum Altbauschutz in Wien verfassungsrechtlich anzufechten.Philipp Pallitsch, Partner Dorda Rechtsanwälte GmbH
Altbauschutz: Wien ist anders
Der besonders strenge Altbauschutz in Wien wird vielfach kritisch gesehen …
Mit der 2023 beschlossenen Novelle der Wiener Bauordnung wurde der Altbauschutz verschärft. Dieser wurde damit über drei Novellen hinweg stetig strenger.
Abbrüche von Bauwerken in Schutzzonen und Gebäude, die vor dem 1.1.1945 errichtet wurden, bedürfen einer Abbruchbewilligung. Diese kann nur erlangt werden, wenn an der Erhaltung des Bauwerkes infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild kein öffentliches Interesse besteht oder der Bauzustand derart schlecht ist, dass die Instandsetzung technisch unmöglich ist oder wirtschaftliche Abbruchreife nachgewiesen werden kann. Aufwendungen, die durch eine verschuldete Vernachlässigung der Erhaltungspflicht – auch eines Voreigentümers – entstehen, dürfen bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Abbruchreife nicht berücksichtigt werden. Die aktuelle Regelung erscheint mir in Teilbereichen überschießend und verfassungsrechtlich bedenklich.
Das heißt, die Wiener Bauordnung könnte rechtlich bekämpft werden?
Neue Entwicklungen sind bei der derzeitigen Regelung des Altbauschutzes nicht ausgeschlossen. Mir sind bereits einzelne Anfechtungsbestrebungen aus verfassungsrechtlichen Gründen bekannt.
Nicht zuletzt steht der Altbauschutz in einem Spannungsverhältnis zu anderen Zielen der Wiener Bauordnung, zum Beispiel zum Ziel der energetischen Sanierung des Gebäudebestands und zur Wirtschaftlichkeit – Stichwort Mieterschutz.
