Unternehmenskultur I Personal I Fachkräfte : Wertschätzende Kommunikation: Die Quadratur der Krise
Warum extreme Wertehaltungen die Lösungsfindung erschweren?
Bei Gesprächen, bei denen typischerweise Unstimmigkeiten auftreten, schwierige Diskussionen zu erwarten sind oder erhebliche Widerstände beim Gegenüber auftreten, lohnt sich der Blick auf die dahinter liegenden Werte. Als Werkzeug dafür hat sich das so genannte „Werte-Quadrat“ etabliert, dessen Hintergründe und Anwendung in diesem Artikel dargestellt werden sollen.
Die Wurzeln des Werte-Quadrats gehen zurück auf die antike Dialektik von Aristoteles. Bereits dort ist die Rede von einer Tugend und deren Schwestertugend. Im Idealfall befinden sich diese beiden sich ergänzenden oder komplementären Werte in Balance. Solange dies der Fall ist, ist der Wert hilfreich in der Kommunikation. Befindet man sich also irgendwo in der Bandbreite zwischen den Werten „Offenheit“ und „Vorsicht“, so wird man mit jemandem, der ebenfalls zwischen diesen beiden Werten eine Balance findet, produktiv kommunizieren können.
Übertreibt man jedoch seine Meinung in Richtung zu viel Offenheit, dann wird diese Ansicht zur Naivität verkommen. Und wer den Wert Vorsicht übertreibt, wird irgendwann misstrauisch. Je weiter ein Wert in Richtung eines Extrems kippt, desto schwieriger wird die Kommunikation und damit auch die Findung eines Konsenses.
Wie hilft uns dieses Wissen in der Kommunikation?
Das bedeutet jedoch auch, dass hinter jeder extremen Meinung ein positiver Wert steckt. Dieser ist lediglich aktuell in seiner Ausprägung übertrieben worden. Es ist also notwendig, diesen wieder in Richtung der Schwestertugend zu verschieben und damit in eine Balance zwischen den beiden Werten zu kommen.
Nehmen wir an, ein Bauherr ist einer neuen Bauunternehmung gegenüber grundsätzlich misstrauisch. Die gesunde Vorsicht ist hier in die Übertreibung gekippt. Damit kann die Kommunikation zwischen dem Projektleiter des Auftraggebers und dem Bauleiter des Auftragnehmers erheblich erschwert werden. Jetzt kann sich der Bauleiter maßlos darüber ärgern - oder das Wissen über das Zusammenspiel der Werte anwenden und zwar folgendermaßen: Zunächst einmal liegt hinter dem Misstrauen eine positive Tugend, nämlich die Vorsicht. Die gilt es zu würdigen und als positive Eigenschaft wahrzunehmen.
Dem Bauherrn täte nun die Entwicklung in Richtung der komplementären Schwestertugend „Offenheit“ gut. Dass dies begründet und behutsam erfolgen muss, ohne in die Naivität abzugleiten, erscheint logisch und nachvollziehbar. Mit diesen Gedanken könnte der Bauleiter seine eigenen Emotionen in den Griff bekommen und eine zielgerichtete Kommunikationsstrategie entwerfen, um Stück für Stück Vertrauen aufzubauen.
Wie funktioniert das Werte-Quadrat?
Das Werte-Quadrat nennt sich vollständig eigentlich Werte- und Entwicklungsquadrat. Seine Wurzeln reichen auf Aristoteles und Immanuel Kants Erkenntnistheorie zurück. Populär machte es 1989 der Hamburger Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun. Auf Basis der Vorarbeiten des Philosophen Nicolai Hartmann und dessen Schülers Paul Herwig machte es Thun zu einem „Werkzeug des Geistes“. Damit lassen sich allerlei Gegensätze, Widersprüche, Polarisierungen und Dilemmata lösen.
Das Werte-Quadrat stellt die Tugend sowie die komplementäre Schwestertugend oben links und rechts dar. Darunter werden die negativen Übertreibungen der jeweiligen Tugend dargestellt. In folgender Darstellung wird dies anhand des bereits erläuterten Beispiels „Offenheit“ und „Vorsicht“ illustriert. Die Entwicklungsrichtung stellt sich immer diagonal nach oben dar. Wer also die Offenheit übertreibt und in die Naivität abkippt, täte gut daran, sich durch mehr Vorsicht zu korrigieren. Dies gilt sinngemäß für das Misstrauen.
Wie hilft das Werte-Quadrat konkret in der Anwendung?
Zum einen hilft das Werte-Quadrat, scheinbar extreme Positionen nachvollziehen zu können. Niemand ist immer nur offen oder nur vorsichtig. Das kann sehr kontextabhängig und auch je nach Gesprächssituation, Stimmung und Energielevel unterschiedlich sein. Das bedeutet jedoch auch, dass jeder eine gewisse Vorsicht verstehen kann. Wenn man die positive Tugend hinter der Übertreibung erkennen kann, ist es einfacher, die Haltung des anderen nachzuvollziehen. Damit kann ein Gespräch rationaler und emotionsloser geführt werden.
Zudem hilft das Modell in einer Vielzahl verschiedener Gesprächssituationen, eine konstruktive Vorgehensweise zu entwickeln. Es kann beispielsweise wunderbar als Feedback-Quadrat genutzt werden. Aber auch in Diskussionen und schwierigen Gesprächen kann es einen Anhaltspunkt liefern, um seine eigene Argumentationskette zu entwerfen.
Letztlich dient es noch als Entwicklungs-Quadrat für die jeweils eigene Entwicklung. Stellt man fest, dass man in einer Sache eine außergewöhnlich deutliche, ja vielleicht sogar extreme Meinung vertritt, lohnt es sich, das Werte-Quadrat darüber „aufzuziehen“. Welche Tugend steckt hinter meiner extremen Ansicht? Welche komplementäre Schwestertugend passt dazu? Und damit ist auch schon die Entwicklungsrichtung gefunden.
Das Werte-Quadrat liefert demnach eine Vielzahl an Anwendungsmöglichkeiten. Es lohnt sich damit zu experimentieren.