Rückzüge von Konzepten wie Gerry Weber, Hallhuber oder Salamander hinterließen Lücken und Leerstand, berichtet Michael Oberweger, geschäftsführender Gesellschafter der Comfort Austria GmbH.
SOLID: Welche Rolle spielt aktuell „Lage, Lage, Lage“ bei Einzelhandelsimmobilien in Österreich?
MICHAEL OBERWEGER: Das Credo „Lage, Lage, Lage“ ist in der Standortstrategie der Einzelhändler bedeutender denn je. Gleichzeitig wird es allerdings immer herausfordernder, die Kriterien zu erfüllen. Die Passantenfrequenzen veränderten sich in den letzten Jahren deutlich und auch gut etablierte Lagen verloren an Attraktivität. Um die Marken ins beste Licht zu rücken, ist nicht die Anzahl der Standorte entscheidend, sondern das Erlebnis. Qualität vor Quantität – daher die hohe Bedeutung der Lage und daher auch der steigende Nachfragedruck bei den besten Lagen, während die Nachfragesituation selbst in ehemals guten Lagen signifikant nachlässt. Um in einem sich derart schnell verändernden Marktumfeld als Mieter oder Vermieter die richtigen Entscheidungen zu treffen, ist fachlicher Input von außen unerlässlich. Sei es durch einen regelmäßigen Austausch über aktuelle Trends und Entwicklungen am Retailmarkt, durch eine objektive Einwertung von Geschäftsflächen oder durch maßgeschneiderte Vermarktungskonzepte.
Welche Maßnahmen gilt es im stationären Handel umzusetzen, um der Konkurrenz in Form von Online-Shopping die Stirn zu bieten?
Die maßgeblichen Argumente für Online-Shopping sind mehrheitlich rein rationaler Natur: Online-Handel punktet mit einer übergroßen Auswahl an Produkten jeglicher Branchen, mit einfacher und schneller Bestellung, oftmals mit Bestpreisen gegenüber dem stationären Einzelhandel, mit einer zeitsparenden Zustellung und mit einer klugen Nutzung von Informationen der Konsumenten. Will ein stationärer Einzelhändler hier die Stirn bieten, darf er in keinem dieser Kriterien wesentlich abfallen – was kaum möglich erscheint. Einzig Markenartikelhersteller im Luxusbereich können aktuell noch das stationäre Geschäft vom Online-Shopping „schützen“ und die Bedeutung ihrer Läden sogar erhöhen.
Andererseits gibt es Schwächen des Online-Shoppings gegenüber dem stationären Einzelhandel, die dieser aktiv nutzen muss, um für die Konsumenten nicht substituierbar zu sein. Insbesondere muss der stationäre Einzelhandel Erlebnisse bieten, die es Online nicht gibt, und das Geschäftslokal als Bühne für den Verkauf und nicht bloß als Lagerfläche für Waren nutzen. Emotionen, gemeinsame Events, persönliche Beratung und echter sozialer Kontakt sind Stärken, die der Online-Handel noch nicht in gleicher Qualität bieten kann. Der verstärkte Einsatz von KI im Online-Shopping wird aber zur nächsten großen Herausforderung für stationäre Einzelhändler.
Herrscht eine Balance zwischen Retailern, die den Markteintritt in Österreich planen, und solchen, die das Land verlassen?
Leider herrscht keine Balance im Verhältnis jener Verkaufsflächen, die neu gesucht werden, gegenüber jenen, die wir aktuell durch Insolvenzen oder Konsolidierungen verlieren oder in den letzten Jahren verloren haben. Traditionelle Konzepte wie Gerry Weber, Hallhuber, Salamander, Reno oder Delka, die ein wichtiger Bestandteil vieler Handelszonen waren, konnten sich an das veränderte Konsumverhalten nicht rasch genug adaptieren und schieden aus dem Markt aus. Sie hinterließen insbesondere in stadtteilversorgenden bzw. regionalen Lagen spürbare Lücken und brachten den Leerstand zum Steigen.
Welche Trends orten Sie darüber hinaus auf dem rot-weiß-roten Einzelhandelsimmobilienmarkt?
Eine Entwicklung, die auf kurze Sicht für manche positive, aber auf lange Sicht für alle am stationären Einzelhandel Beteiligte negative Konsequenzen zur Folge hat, ist die hohe Inflation. Durch Indexierungen von Mieten, Teuerungen bei Lieferanten und Logistik, hohe Lohnabschlüsse sowie hohe Zinsen stiegen die Kosten der Einzelhändler überproportional, ohne diese Kosten im gleichen Ausmaß an die Konsumenten und Konsumentinnen weitergeben zu können. Manche Händler schieden wie erwähnt aus dem Markt aus, sodass der Leerstand steigt, was wiederum in manchen Lagen die Mieten sinken lässt – auf ein Niveau, das signifikant geringer ist als jenes vor den Indexierungen…