Architektur und Bau : Lernen von der Richter Schule - der schwierige Umgang mit einem modernen Baudenkmal

Helmut Richter: Schule Kinkplatz, Wien, AT, 1991

Helmut Richters Schule am Kinkplatz sticht mit ihrer Stahl-Glas-Architektur aus den üblichen Schulbauten heraus. Durch Einsparungen bei der Ausführung des Konzeptes und Wartungsfehler entstand großer Sanierungsbedarf – die Lösung ist offen. (historische Aufnahme)

- © Architekturzentrum Wien, Sammlung, Foto: Friedrich Achleitner Architekturzentrum Wien, Collection, photo: Friedrich Achleitner

Kampf um Licht und Zugang zum Gebäude

Soll man das seit 2017 leer stehende Landmark-Bauwerk Informatikschule am Kinkplatz in Wien sanieren oder abreißen? Oder was soll sonst damit geschehen? Rund um diese Frage gibt es seit einigen Jahren eine veritable Diskussion zwischen Architektur und Politik, die zum Teil skurrile Blüten treibt. Von einer der Skurrileren dieser Blüten erzählt Hemma Fasch, Schülerin des 2014 verstorbenen Helmut Richter und selber als Architektin mit Fasch & Fuchs erfolgreich und etwa mit der Schiffsstation am Wiener Donaukanal bekannt: „Man kann ja über alles reden, aber was ich nicht verstehe ist, dass wir in das Gebäude nicht einmal hinein dürfen um zu sehen, ob und zu welchen Bedingungen man es sanieren kann.“

Faschs Lehrer Helmut Richter hatte dieses Gebäude mit zwei keilförmigen Glaskörpern für Eingangs- und Turnhalle zusammen mit seinem Leib- und Magen-Tragwerksplaner Lothar Heinrich (Vasko & Partner) in den frühen 1990er Jahren hingestellt. Die Stahlkonstruktion der Hallen hatte 18 Meter Spannweite und sollte durch das bläulich schimmernde Glas an Libellenflügel erinnern. Von der Glaskonstruktion weg stehen drei als Betonskelett mit Fertigteildecken konstruierte Trakte, in denen die Klassenzimmer sowie diverse Sonderbereiche untergebracht waren. Auch die Fassade dieser Trakte besteht aus Stahlbauelementen (mit Aluminium-Schiebefenstern) und auch die Fluchtstiegen am Ende der Trakte sind glasverkleidet. Das Glas sollte größtmögliche Helligkeit und Transparenz gewährleisten, laut Richter als Kontrast zur Schwere, die man sonst damals im allgemeinen mit Schule verband.

Dieses Thema, sagt Hemma Fasch, hat sich bis heute nicht geändert: „Ich muss doch alles tun, damit der Mensch zu Licht kommt, wenn er sich in unseren Breiten in Innenräumen aufhalten muss. Und wenn ich Licht hineinbringen möchte, muss ich ja Konstruktionen verwenden, die mir nicht nur die kleinen Fenster ermöglicht, sondern großflächige Lichtdurchlässigkeiten anbietet.“

Hemma Fasch
Richter-Schülerin Hemma Fasch: „Ich muss doch alles tun, damit der Mensch zu Licht kommt, wenn er sich in unseren Breiten in Innenräumen aufhalten muss. Und wenn ich Licht hineinbringen möchte, muss ich ja Konstruktionen verwenden, die mir nicht nur die kleinen Fenster ermöglicht, sondern großflächige Lichtdurchlässigkeiten anbietet.“ - © Fasch Fuchs
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Keine Sanierung - und kein Abriss?

„Jeder Mensch hat das Recht auf Licht.“ An dieses Diktum Richters erinnert sich auch Lothar Heinrich gut und gerät in Gedanken an die Idee des Gebäudes heute noch ins Schwärmen: „Die Tragwerke in Stahl hatten Helmut Richter und ich gemeinsam entworfen. Einfache, aber raffinierte Systeme. Den unterspannten und auskragenden Träger des Daches des Turnsaals nannte wir Regenschirm, weil dieser sich wie ein Regenschirm aufspannte. Die drei Träger der Aula sind 20 Meter auskragende Fachwerke, wobei sich die Geometrie des räumlichen mittleren an die der seitlichen ebenen anpasst, so dass eine einheitliches Bild entsteht. Die Verbindungsgänge werden von unterspannten Bindern getragen und sind wie Wellen in ihrer Durchgängigkeit. Die senkrechten Steher der Glasfassaden wurden in den Stegen ausgenommen, um mehr Durchlässigkeit erscheinen zu lassen. Die Anschlussdetails sind ausgeklügelt und doch unkompliziert. Die Stiegenhäuser sind zarte Spindeln, die Trakte Stahlbeton mit Aussteifungen aus kreuzenden Stahlstangen, in der Fassade versetzt angeordnet. Die Umsetzung sollte nicht High Tech-Architektur sein, sondern einfach elegant.“ Doch dann wäre etwas passiert. „Die Entwürfe verschiedener Elemente eines Sonnenschutzes wurden aus Kostengründen abgelehnt, sodass die fertige Schule letztlich nackt und ohne Schutz dastand.“ Richter hatte damals – wir reden von einem Zeitpunkt vor 30 Jahren und mehr! - sogar eine Photovoltaikanlage im Zusammenhang mit der Beschattung vorgesehen gehabt, doch das alles ist aus Kostengründen nicht realisiert worden. Dadurch wären Probleme mit der Hitze und deren Folgen entstanden, dazu Wartungsfehler gekommen und es hätten sich Undichtheiten, Rost und Schimmel gebildet.

2019 entschied die Stadt Wien dann, die Informatikmittelschule am Kinkplatz nicht als Schule weiterzubetreiben – vor allem, weil damals veranschlagte 55 Millionen Euro als Sanierungskosten zu hoch schienen. Doch auch für einen Abriss möchte sich „aus baukultureller Verantwortung“ (Wiens Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky) niemand entscheiden. Ein wahrlich unrühmliches Patt bei einem paradigmatischen Bauwerk.

Stararchitekt Helmut Richter und sein Tragwerksplaner Lothar Heinrich
Helmut Richter (re.) mit seinem Tragwerksplaner Lothar Heinrich in den 1990er Jahren - © Privat

Die Zukunft liegt abseits des ursprünglichen Zwecks

„Die Schule wurde dem Verfall preisgegeben, aber sie verfiel nicht“, sagt Lothar Heinrich. „Eine Sanierung ist durch den langen Stillstand aufwändig geworden und wird immer aufwändiger. Verschiedene Maßnahmen zur Sicherung und Untersuchung des Stahls wurden in brutaler und stümperhafter Weise mit bemerkenswerter Ahnungslosigkeit für das Statische System und zerstörungsfreier Materialprüfung gemacht.Dies darf bei einer Sanierung nicht passieren.“

Die Struktur selber aber, da ist Heinrich sicher, würde auch die Anforderungen neuer Regelwerke erfüllen und weiß sich dabei auf einer Linie mit anderen Experten wie Hemma Fasch oder auch Architekturprofessor und Ziviltechniker (Werkraum ZT) Peter Bauer. Letzterer betont vor allem auch, dass bereits so viel Energie auch physischer Art in dieses Gebäude hineingegangen sei, dass ein Abbruch gerade in Zeiten wie heute ökologisch ein völlig falsches Signal wäre. Für ihn ist die Perspektive größer und hat mit Erhaltung von architektonisch wertvoellen Bauten zu tun. „Bei Steingebäuden wissen wir, wie sie zu erhalten sind und haben auch die Bereitschaft zu investieren. Aber hier haben wir noch keinen guten Zugang und müssen vielleicht nachdenken, wie genau moderne Architektur zu Denkmälern werden soll. Ich bin sicher nicht dafür, dass jedes Gebäude ein architektonisches Denkmal ist, aber diese Schule steht schon für ihre Epoche, ist herausragend und hat ja auch mehrere Preise gewonnen. Aber sie ist zweifellos in die Jahre gekommen und Wien hat rundherum genug Schulen umgebaut, so dass wir das Gebäude als Schulstandort nicht mehr brauchen.“

Helmut Richter, meint Heinrich, wäre es ja damals auch nicht um eine Schulgebäude als Schule gegangen, sondern eben um ein paradigmatisches, von weitem (etwa von der Schönbrunner Gloriette) sichtbares Beispiel für Glasarchitektur mit viel Licht. Da könnte man sich doch heute sehr leicht vom damaligen Zweck lösen, meint der Tragwerksplaner und zieht einen kategorischen Schluss: „Nur wenn die Schule als Immobilie auf den freien Markt kommt und einer freien Nutzung im Rahmen der gebotenen Möglichkeiten zugeführt wird, kann eine Sanierung unter vollständigem Erhalt der Architektur den Abbruch verhindern. Als Schule hat das Gebäude ausgedient.“

Peter Bauer
Architekturprofessor und Ziviltechniker Peter Bauer: „Bei Steingebäuden wissen wir, wie sie zu erhalten sind und haben auch die Bereitschaft zu investieren. Aber hier haben wir noch keinen guten Zugang und müssen vielleicht nachdenken, wie genau moderne Architektur zu Denkmälern werden soll." - © Werkraum ZT GmbH

Stärke der Österreicher gefragt

Aber was heißt das alles für Stahl-Glas-Architektur, die in die Jahre kommt, fragen wir uns?

TU-Professor und Ziviltechniker Peter Bauer verweist in diesem Zusammenhang auf eine Studie der Architektin Silja Tillner, die zu dem Schluss gekommen wäre, dass man hier gar keine besonders großen Interventionen bräuchte, um zu guten Resultaten zu kommen, sagt aber selber, dass es im geltenden rechtlichen Rahmen ab dem Moment kompliziert würde, ab dem man ein Gebäude für einen anderen als den ursprünglichen Zweck umwidmen würde – denn dann müsste man sämtliche aktuelle Normenvorgaben erfüllen. „Aber das wäre eigentlich die Stärke der Österreicher, hier intelligente, sozusagen gleitende Lösungen zu finden.“