Deutschland : D-Bauindustrie rechnet mit Kurzarbeit und fordert Unabhängigkeit
Die deutsche Bauindustrie stellt sich wegen des anhaltenden Materialmangels und steigender Preise auf Kurzarbeit ein. Die Situation habe sich in den vergangenen zwei Wochen weiter verschärft, sagte der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie, Tim-Oliver Müller, der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Samstag). Mittlerweile sei fast jedes Unternehmen direkt oder indirekt von den Folgen des Krieges in der Ukraine betroffen.
Sollte sich die Lage nicht grundlegend verändern, werde "die Luft dünn, die Ziele der Bundesregierung im Wohnungsbau und Verkehr zu erreichen", ergänzte Müller. Weil Material nicht mehr zu bekommen sei oder weil sie auf fallende Preise hofften, hätten mittlerweile 40 Prozent der Auftraggeber Aufträge zurückgestellt, 30 Prozent sogar storniert.
Der Verbandsvertreter nannte die Situation absurd: Vor Wochen habe die Branche noch händeringend um Arbeitskräfte geworben, "heute müssen wir uns Gedanken machen, wie wir die halten, die wir haben". Es sei ein richtiger Schritt, dass Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bereits angekündigt habe, die laufende Kurzarbeitergeldregelung bis September zu verlängern. Der Bund sollte künftig aber auch die Sozialbeiträge übernehmen, forderte Müller.
Generell stehe die Bauwirtschaft in Deutschland unter massivem Kostendruck. Preissteigerungen auf den Rohstoffmärkten, die nicht zuletzt am Krieg in der Ukraine liegen, zwingen die Branche zu Konsequenzen. Dazu gehören nach Einschätzung des Zentralverbands des Deutschen Baugewerbes (ZDB) die verstärkte Nutzung heimischer Rohstoffe, die häufigere Wiederverwendung von Baumaterialien und eine Diskussion um Freihandelszonen.
"Der russische Angriff auf die Ukraine hat deutlich mehr Auswirkungen auf die deutsche Bauwirtschaft, als man das vermutet hat", sagte ZDB-Hauptgeschäftsführer Felix Pakleppa zur Deutschen Presse-Agentur (dpa).
"Über die Abhängigkeit von den fossilen Rohstoffen wie Kohle und Öl waren wir uns alle ungefähr im Klaren. Aber wir stellen auch fest, dass wir in der Bauwirtschaft erheblich abhängig sind von Materiallieferungen aus Russland, der Ukraine und Belarus", so der Verbandsgeschäftsführer. "Fast 40 Prozent des auf Baustellen in Deutschland verbauten Stahls kommt direkt oder als Grundprodukt aus diesen drei Ländern." Die Preise für Stahl, aber auch für Holz und für das im Straßenbau wichtige Bitumen seien deutlich gestiegen. "Wir stellen fest, ähnlich wie bei der Energieversorgung: Wir müssen unabhängiger werden von den Produkten aus Russland", sagte Pakleppa.
Dazu gehöre zum Beispiel, mehr über die Nutzung deutscher Rohstoffe nachzudenken. "Wir haben vieles bei uns im Land, es wird aber ungern abgebaut", kritisierte der Verbandsgeschäftsführer. "Welcher Landrat hat Lust, eine Gips- oder Sand- und Kiesgrube in seinem Gebiet zu bewilligen? Darüber werden wir mehr sprechen müssen."
Dringend nötig sei auch eine neue Diskussion über Freihandelszonen der demokratischen Länder. "Wir brauchen große Freihandelszonen, damit wir bei Konflikten mit Russland - und China - in Zukunft weniger verletzlich und anfällig sind." Darüber hinaus sei die Wiederverwendung von Baumaterialien nicht nur aus Klimaschutzaspekten, sondern auch zur Kosteneinsparung ein großes Thema, sagte Pakleppa.
Ähnlich sieht das der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie. "Die aktuelle Krise kann auch zu einer Beschleunigung mit Blick auf die Entwicklungen beim nachhaltigen Bauen führen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Verbands, Tim-Oliver Müller. Wichtig sei es, sich Gedanken darüber zu machen, welche Rohstoffstrategie sowohl in Deutschland als auch in Europa verfolgt werden sollte.
"Die Frage ist: Wo können wir Abhängigkeiten reduzieren, die heute bestehen und uns jetzt in diese Lage gebracht haben." Dazu gehöre auch das Thema, wie sich Baustoffkreisläufe anders organisieren ließen. "Zum Beispiel über Recycling", sagte Müller. Die Krise könne aber auch dazu führen, die Baustoffforschung so zu intensivieren, dass vielleicht Alternativen für den ein oder anderen Baustoff gefunden würden. "Das wird momentan zu wenig gefördert, auch von der öffentlichen Hand."
Pakleppa sieht auch beim Thema mineralische Bauabfälle, etwa Beton und Steine, noch Potenzial. Nur der kleinste Teil davon werde wiederverwendet. "Da haben wir richtig Luft nach oben." Allerdings gebe es das Problem, dass Recyclingbaustoffe von Bauherren noch viel zu selten nachgefragt würden - wegen des Vorurteils, sie seien schlechter als neue Baustoffe. "Hier muss die öffentliche Hand viel mehr Vorbildfunktion übernehmen", verlangte Pakleppa. Notwendig sei außerdem eine Kennzeichnung der Recycling-Baustoffe als Bauprodukt. "Dann gibt es diese Vorurteile nicht mehr."