Meinung | Digitalisierung : BIM ist tot - und was stattdessen kommt
Wo wir den Anschluss verloren haben
BIM ist tot – aber hat es je gelebt?
Mit dieser durchaus provokanten Anmerkung möchte ich starten, nachdem ich in den letzten Wochen viele Gespräche mit Industriepartnern, Bauherren, Planern und Unternehmen und Vordenkern der Industrie hatte. Einige hatten viel investiert, um digital(er) zu werden, andere setzten voll auf die «Karte BIM» und wurden enttäuscht – die Projektabwicklung ist nicht besser geworden, nein, sie hakt sogar noch mehr als sonst. Mehr Papier wurde produziert für Dokumente als früher. Die Kommunikation ist anstrengend geworden, Erfolge erlebt man nur dann, wenn man alleine arbeitet. Woran liegt das? Warum hadern wir so seit den 1960er so sehr mit der digitalen Transformation der Bauindustrie, waren wir doch führend in den 1940er bis in die 1960er hinein. Wo hakte es dann? Wo haben wir den Anschluss verloren? Der Versuch einer Erklärung.
Fehlende gemeinsame Sprache
In der Bauindustrie ist man wie in keiner Industrie auf verlässliche, relevante und dauerhafte Informationen angewiesen. Fehlen diese und/oder wird fehlerhaft oder gar nicht kommuniziert, ist ein Projekterfolg nahezu ausgeschlossen. Das erleben wir in vielen Projekten, die in der Presse waren. Bauen können wir, aber nicht wirklich kommunizieren und zusammenarbeiten.
Fehlende Normen und Standards
Es existieren weitreichende, praxisorientierte Regelwerke, sie kamen aber zu spät. Man hat sich die letzten Jahre kostspielig eigene Firmenstandards aufgebaut, die nur teilweise oder gar nicht damit übereinstimmen. Änderungen sind nun kostenintensiv und nicht einfach umzusetzen. Nun hat man umfangreiche Bibliotheken, die sich aufgrund sich ändernder Standards verschieben oder neu sind. Man versucht dann oftmals, dies zu ignorieren und solange weiterzuarbeiten, bis man nicht mehr kann.
>> Das könnte Sie auch interessieren: 9 Techno-Trends beim Bauen
Fehlende Vorgehensweisen
Man hangelt sich von Projekt zu Projekt, ohne übergreifende Standards etablieren zu können. Jedes Projekt hat eigene Projektzusammensetzungen, oftmals sieht man sich nur einmal im Projekt. Echte Partnerschaften haben noch Seltenheitswert, ja, man muss sie sich leisten können.
Fehlende Outcomeorientierung
Man orientiert sich am Output, ohne zu sehen, ob das wirklich das ist, was benötigt wird. Meist wird nur verglichen, ob das geplante auch dem gebauten entspricht («as planned» versus «as built») – vergleichen wir aber auch mal, was bestellt wurde? («as ordered»?)
Fehlende Datengrundlagen
Wir orientieren uns am Phasenmodell des analogen Bauens, ohne auf die Besonderheiten einer nötigen frühen Abstimmung Bezug zu nehmen. Es genügt jedoch nicht, ein neues Phasenmodell oder gar einen neuen Vertragstypus zu kreieren und im Projekt einzuführen. Bestehende Prozesse zu digitalisieren oder einen neuen Prozess auf etwas nicht wirklich Funktionierendes zu stülpen ist wenig hilfreich. Cui bono? Hilft es wirklich dem Projekt? Wir kennen es alle: Zu oft sind «Kadi und Kittchen» zu sehr grosser Bestandteil in Projekten.
Fehlende digitale Handlungskompetenz
Wir haben bisher nicht die notwendige digitale Bestell- und Handlungskompetenz aufgebaut, dies entlang allen Rollen. Es genügt nicht, ein Bauwerk nun «digital» zu bestellen, was das auch immer heissen mag. Wir müssen viel früher als bisher genau angeben, welche Informationen wann wir wie in welcher Form für was benötigen. Dies ist nicht auf den Bauherren beschränkt, jeder ist Informationsbesteller im Projekt. Dies wird unterschätzt.
Fehlende Kontiniuität
Unsere Industrie leidet darunter, dass wir alle zwei bis drei Jahre einen neuen Begriff definieren, mit dessen Hilfe es augenscheinlich «viel besser» wird. Dies hilft uns nicht und ist hinderlich. Vor allem aus dem amerikanischen Sprachraum stammende Themen werden auf das europäische Bausystem übergestülpt und versucht passend zu machen. Das es kein «one size fits all» sein kann, leuchtet ein. Rosinenpickerei in diesen Themen hilft nicht, es braucht grundlegende Veränderungen unserer digital lethargen Branche.
Was wir jetzt daher benötigen
Was wir benötigen, ist übergreifendes, lebenszyklusbasiertes Informationsmanagement. Informationsmanagement geht dabei viel weiter als wir denken. Es beinhaltet nicht nur die reine Modellierung, wie üblicherweise im Zusammenhang mit BIM propagiert, sondern ebenfalls die Weiterverarbeitung sowie die notwendige Kommunikation und Dokumentation. Diese Kommunikation wird gemäss Prof. Dr. Lackes im Zusammenhang mit Organisationen als «Prozess, bei dem Informationen mit dem Ziel, sich über Aufgaben zu verständigen, ausgetauscht werden» definiert. Jeder Prozess benötigt Aufgaben, Verantwortungen, Kompetenzen sowie deren konkrete zeitliche Verortung (vgl. IDM gemäss SN EN ISO 29481-1) Es kann daher keine Informationsmodellierung ohne Kommunikation, Kooperation, Kollaboration, Ko-Kreation und Koordination stattfinden.
Was tun? Wir müssen lernen, zu kommunizieren, zusammenzuarbeiten und zu kooperieren. Das wird nicht von heute auf morgen funktionieren, es wird einige Jahre oder Jahrzehnte dauern. Sind wir ehrlich, wir alle kennen mindestens einen Häuschenbauern in unserer näheren Umgebung, von dem wir hören: Wir bauen nie wieder, viel zu viel Stress, Unzuverlässigkeit und Schwierigkeiten. Wollen wir so ein Bild in der Öffentlichkeit hinterlassen? Möchten wir so als Branche in Erinnerung bleiben? Tun wir es, sind wir weder attraktiv für unsere Mitarbeitenden, noch für die Mitarbeitenden der Zukunft. Lassen Sie uns an einem wirklichen Informationsmanagement gemeinsam arbeiten, das den Namen wirklich verdient und das der Branche hilft. Marketinghülsen helfen nicht.
BIM ist tot, es lebe das Informationsmanagement.