SOLID 06 / 2014 : Auf der Suche nach Wachstum - STRABAG-CEO Thomas Birtel
Aktive Mitgliedschaft erforderlich
Das WEKA PRIME Digital-Jahresabo gewährt Ihnen exklusive Vorteile. Jetzt WEKA PRIME Mitglied werden!
Sie haben bereits eine PRIME Mitgliedschaft?
Bitte melden Sie sich hier an.
In der Vorstandsetage im Strabag- Konzernsitz ganz oben im Turm, mit weitem Blick auf die Donau und die Wiener Innenbezirke, herrscht eindeutiger Verhandlungsalarm. Eine Diskussion mit einer (wie wir später erfahren) kasachischen Delegation verläuft unüberhörbar intensiv. Immer wieder stürzen Besucher vor die gläserne Besprechungsbox, um heftige Telefonate mit der Heimat zu führen. Die Debatten währen meist nur kurz und es geht zurück ins verbale Getümmel. Assoziationen mit gallischen Comicfiguren drängen sich auf. An die zehn Menschen sind in dem kleinen Raum versammelt, um (auch das hören wir später) das Werden einer Autobahn und den Bau einer Klinik in Astana auszuverhandeln. Nicht alle haben am Tisch Platz, manche müssen stehen, frei oder angelehnt.
Strabag-Chef Thomas Birtel gibt den Ruhepol, der sich nur wenig an den Scheingefechten beteiligt. Als er später die Glasbox verlässt und in das kleine Foyer tritt, um die wartende Solid -Abordnung zu begrüßen, ist er so unaufgeregt wie sein Anzug knitterfrei. Auch der anstehende Medientermin scheint Birtel nicht über Gebühr zu nerven. Da war Hans Peter Haselsteiner ganz anders.Der Stil wechselt, die Politik bleibt, die Analysten meckernIm Jahr 1 nach Hans Peter Haselsteiner hat sich Thomas Birtel darauf konzentrieren müssen, die Zügel auf seine Weise in die Hand zu bekommen. Führungskultur und operative Strukturen der Strabag waren ja stark durch den impulsiven Charakter des Unternehmensgründers geprägt und Poltern in Österreichs größtem Baukonzern immer ein adäquates Managementmittel. Birtel tickt anders.Schulterklopfen zählt nicht zum sozialen Repertoire des Wuppertalers. Dazu ist er zu korrekt. Was ihm hilft: Birtel ist kein Neuling in der Wiener Konzernzentrale. Hans Peter Haselsteiner lotste den Betriebswirt und Statthalter in der größten Strabag-Dependance in Köln bereits Mitte 2005 nach Wien, wo er im Vorstand die kaufmännische Verantwortung für den Hoch- und Ingenieurbau übernahm.Der seit 3. Juni 60-jährige Deutsche hatte damit ausreichend Zeit, die Untiefen einer für mehr als 73.000 Mitarbeiter verantwortlichen Konzernzentrale auszutesten.Das erste Jahr unter Birtels Vorstandsvorsitz verlief entsprechend unspektakulär: Der von HPH verordnete Kurs der Risikound Spartendiversifizierung wurde beibehalten und hält den Supertanker Strabag weiterhin fern von tiefgreifenden Markteinbrüchen und Zahlungsausfällen. Auch der Ausblick für 2014 verspricht Umsatz und Ertrag auf gleichem Niveau wie 2013.„Es fehlt der Impuls“
Doch dieses Bild der Beständigkeit und Krisenfestigkeit (selbst 2008 und 2009 waren durchaus solide Strabag-Jahre) wird von Kritikern und Aktienanalysten zunehmend als fehlende Dynamik interpretiert. „Es fehlt der Impuls“, kommentiert Erste Bank-Analyst Daniel Lion kurz und prägnant. Und er glaubt, dass „die Strabag-Perspektive für 2014 viel zu konservativ ist“.Aktienanalysten sind auf der einen Seite nicht unbedingt die erste Zielgruppe, die von einer Person wie Hans Peter Haselsteiner angesprochen wird; dessen Hassliebe zur Börse war immer geprägt von einem breiten Stakeholder-Begriff, der nicht nur auf die Gewinnmaximierung für Aktionäre und Eigentümer abstellt, sondern auch auf Mitarbeiter und Allgemeinwohl Rücksicht nimmt. Für Analysten ist dies eine Sichtweise nicht von dieser Welt. Deshalb wird die Aktie von den Börsenakteuren immer wieder abgestraft.Die Analyse thematisiert andererseits ein Merkmal der Strabag, das nicht immer oder nicht mehr als Vorteil gesehen wird: die risikoscheue Ausrichtung. Fakt ist, dass die Umsätze des Konzerns seit 2009 mit einer Bandbreite von plus oder minus 600 Mio. um die 13-Mrd.-Euro-Marke schwanken.Die gleiche Stabilität gilt für den Auftragsbestand (der sich in den letztenfünf Jahren stets in der Größenordnung eines Jahresumsatzes befindet) und für die Erträge (EBIT). Das Jahr 2013 lag immer noch unter den Ergebnissen der „echten Krisenjahre“ von 2008 bis 2011 und auch heuer soll es ähnlich aussehen. Mit einem Wort: Die Strabag hat sich seit 2009 nicht verändert – weder in den Zahlen noch in der Strategie.Doch Thomas Birtel wird sich irgendwann die Frage stellen müssen: Wie viel Wachstumsdynamik braucht ein integrierter Baukonzern, um sein Schicksal auch weiterhin selbst in der Hand zu halten?Wie gut ist das Konzept des traditionellen Baukonzerns?Die Strabag vermag vom Kies und Schotter über Asphalt und Zement bis hin zur Planung, Durchführung und Finanzierung von Hoch- und Tiefbauten alles zu leisten. Daran will Thomas Birtel nicht rütteln. Er unterstreicht, dass der Konzern „ein Bauunternehmen sein will und weiterhin in der Bauausführung engagiert bleibt“. Die stockenden Wachstumsperspektiven des europäischen Baugeschäftes tun dem keinen Abbruch.Doch nicht jeder Baukonzern kommt unter den gleichen Rahmenbedingungen zum selben Schluss. In Deutschland (mit 43 Prozent Anteil an der Bauleistung der weitaus wichtigste Markt der Strabag) sind zwei große Mitbewerber gerade dabei, sich aus dem unmittelbaren Baugeschäft zurückzuziehen: Bilfinger verfolgt immer mehr die Strategie der ertragreicheren Branchendienstleistungen und Hochtief ist dabei, unter den spanischen Eigentümern ACS zahlreiche operative Gesellschaften zu veräußern. Die "Wirtschaftswoche" rechnet damit, dass von 10.000 deutschen Hochtief-Mitarbeitern am Ende nur mehr 3.000 auf der Payroll stehen. Die deutschen Konzerne setzen zunehmend auf Sublieferanten, die sich in den margenarmen Bauarbeiten die Hände schmutzig machen. Das lukrative Projektmanagement und die Auftragsakquise werden zur Kernkompetenz der einstigen Baukonzerne. Doch das ist nicht die Sache des neuen Strabag-Lenkers: „Wir sind stolz darauf, im Bereich der Bauausführung Qualität bieten zu können. Und wir bleiben dabei.“ Gerade im Straßenbau mache Europas neuntgrößter Konzern nahezu alles selbst, im Hoch- und Ingenieurbau werde zwar auch mit Subunternehmern gearbeitet, „aber nicht in demselben Ausmaß wie die Mitbewerber“, versichert Birtel.Der gescheiterte „Russland-Feldzug“ und die FolgenDie Herausforderung für Birtel liegt im Finden und Umsetzen einer Vorwärtsstrategie. Das mit einem ausgezeichneten Eigenkapitalpolster von 30,7 Prozent versorgte Unternehmen muss die nächsten Schritte tun, um weiterhin zu den Akteuren und nicht zu den Übernommenen zu zählen. Mehrheitsentscheider Hans Peter Haselsteiner, der 28 Prozent der Anteile kontrolliert, ist 70 und am Rückzug. Die Uniqa (mit 29 Prozent größter Aktionär) will spätestens seit ihrem eigenen Börsengang mehr aus dem eingesetzten Geld gemacht wissen.Und Oleg Deripaska, der (wenn alles in ausgemachten Bahnen verläuft) ab Juli mit 25 Prozent auf Augenhöhe mit den österreichischen Shareholdern steht, kann auch nicht gerade als Bollwerk des eigentümergeführten Unternehmertums gesehen werden. Die Gefahr einer Übernahme – ob freundlich oder nicht – ist also angesichts der Aktionärsstruktur und der vollen Kassen, die sofort angezapft werden können, sowohl mittel- als auch langfristig gegeben. Dazu brauchen nur Börsensituation und Geschäftslage einander in die Hände spielen. Gesucht ist ein Plan B, mit dem die Strabag wieder auf Trab kommt. Plan A nämlich ist geplatzt. Denn die aktuelle Situation der gleichmäßigen Entwicklung (Bösmeinende greifen zum Begriff der Stagnation) ist das Ergebnis des Fehlschlags in der Russland-Strategie.Hans Peter Haselsteiner hatte ja den Ausweg aus den dichtbesetzten EU-Staaten im russischen Markt geortet. Das würde die Strabag zur Nummer 1 in Europa machen, formulierte er anlässlich einer Pressekonferenz 2007 vollmundig. Mittlerweile bereut er diese Worte wohl. Aber der Plan entsprach den Dimensionen, mit denen er die Ilbau zur Bauholding und diese wiederum zur Strabag gemacht hatte.Olympia 2014 in Sotschi sollte dafür den Startimpuls liefern. Doch mit Aufträgen von 500 Mio. Euro und einem Russland-Anteil an der Gesamtbauleistung des Vorjahres von 4 Prozent waren die Olympischen Spiele zwar kein Fehlschlag, aber bei weitem nicht das, was angesichts einer Investitionssumme von 40 Mrd. Euro erhofft wurde.Russland ist schlicht weniger Markt, als Haselsteiner gedacht hatte. In einer der Strabag-Unterlagen wird von einer „Re-Nationalisierung der russischen Bauwirtschaft“ gesprochen. Tatsächlich erhielt der österreichische Konzern bisher keinen einzigen öffentlichen Auftrag. Das Olympische Dorf und die Flughafensanierung waren Baulose aus dem Umfeld Oleg Deripaskas. Und die Abschottung der russischen Wirtschaft wird immer dichter.Zu Beginn 2014 hatte die Strabag noch Russland-Aufträge in Höhe von 300 Mio. Euro budgetiert. Diese Erwartungen sind inzwischen auf Null gesetzt. Wäre alles nach den Prognosen der Konzernstrategen gelaufen, hätte der russische Markt heuer mit einer Bauleistung von über 2 Mrd. Euro Österreich als Nummer 2 der Strabag-Märkte abgelöst. Damit wäre jene Wachstumsdynamik gesichert gewesen, die der Konzern derzeit vermissen lässt.Statt Deripaska-Mehrheit in die Mongolei Thomas Birtel hat das Thema Russland fürs Erste abgehakt. Der Einstieg in den Deripaska-Baukonzern Transstroy, der ein wesentliches Vehikel für die Eroberung des russischen Marktes darstellen sollte, ist auf Eis gelegt. Erst soll einmal der neue österreichische Transstroy-CEO Stephan Zöchling Transparenz in den Büchern schaffen, bevor die Due Diligence überhaupt wieder aufgenommen wird. Ein mit der Sache vertrauter Strabag-Mitarbeiter meinte knapp: „Die wissen selbst nicht, was ihnen gehört und was nicht.“Interessant ist jedoch ein Gedankenspiel, das zum Tragen kommen könnte, falls es doch noch zur Übernahme der Basic-Elements-Tochter kommt. Wenn nämlich der Preis oder ein Teil davon mit den zehn Prozent Strabag-Aktien bezahlt wird, die in den letzten 18 Monaten durch die Strabag rückgekauft und für Akquisitionen reserviert wurden, wäre Deripaska mit Abstand Mehrheitsaktionär in dem Konzern – ein Szenario, das für etliche Aufregung sorgen würde. Derzeit verhindert der niedrige Aktienkurs aber in der Praxis derartige Spekulationen.Die Entwicklung von Plan B führt Thomas Birtel derweil aktuell in weite Ferne: Die rohstoffreichen und damit potenziell liquiden Länder Zentralasiens und der Mongolei verfügen über einen enormen Baubedarf, der mit Hilfe der Weltbank und der Rohstoffinvestoren auch gedeckt werden soll. Im Körbchen der Strabag-Akquisiteure sind dabei stets Private-Public-Partnership- Finanzierungen, die als Spezialität der Strabag gelten und vom Konzern in Schwellenländern oft und gerne eingesetzt werden.Der Besuch der kasachischen Delegation in Wien ist Resultat der Reiseoffensive, die Birtel gemeinsam mit dem Generalbevollmächtigten Haselsteiner im letzten Jahr in diesem Raum gestartet hat. Haselsteiner ist für die Strabag nur mehr in Sachen Internationalisierung unterwegs – längstens bis nächstes Jahr, so der Plan. Er verfügt im Unternehmen nicht einmal mehr über Prokura und hat keinen Sitz im Aufsichtsrat. Haselsteiner meint es mit seinem Rückzug wirklich ernst. Aber zuerst soll die Russland- Scharte ausgemerzt werden.Birtels Internationalisierungsavancen haben noch keine eindeutige Stoßrichtung. Neben Kasachstan steht etwa auch Aserbaidschan auf der Liste der möglichen Zielländer in Zentralasien. Große Hoffnungen setzt er auch auf Folgeaufträge im Zuge eines Tunnelprojektes in Chile, wo seit zwei Jahren beim Bau des Wasserkraftwerkskomplexes Alto Maipo ein 490-Mio.-Euro-Auftrag abgearbeitet wird. Eine Kooperation mit dem australischen Minenkonzern Rio Tinto macht die Strabag auf fünf Jahre zum alleinigen Partner bei der Erprobung und Abwicklung spezieller Tunnelbohrungen, die weltweit mit einem neuen System durchgeführt werden. Dazu kommen immer wieder Straßenbauprojekte im Oman, in Ruanda und anderen exotischen Märkten. Beispiele für die weltweiten Aktivitäten gibt es viele. Birtel will den Anteil der außereuropäischen Zielländer von derzeit sechs bis 2016 auf mindestens zehn Prozent Umsatzanteil an der Strabag puschen. Doch dies alles macht das Kraut nicht fett.Oder doch wieder Russland?Der Haselsteiner-Nachfolger ist gefordert, die Internationalisierung der Strabag ein deutliches Stück weiterzudrehen. Denn das Unternehmen erbringt 58 Prozent seiner Bauleistung auf dem Heimmarkt Deutschland- Österreich und weitere 25 Prozent in den CEE-Ländern – das sind im Konzert der globalisierten Konzerne quasi Haustürgeschäfte. Wachstums- und Ertragschancen sind hier kurz- und mittelfristig limitiert. Thomas Birtel weiß das. Und der leichteste Ausweg aus der Strategielücke führt immer noch über Russland. Mit Oleg Deripaska kontrolliert ein einflussreicher Russe ab Juli 25 Prozent der Aktien. Sigfried Wolf ist Aufsichtsratsvorsitzender des Deripaska-Konzerns Russian Machines und der Glovstroy Corporation, Chef von Basic Elements, sitzt im Aufsichtsrat. Auch wenn die Übernahme der russischen Transstroy momentan ruht und die Politik verrückt spielt: In zwei Jahren sehen Dinge oft ganz anders aus. Und sollten die zehn Prozent eigenen Aktien, die derzeit im Anlagevermögen ruhen, im Zuge einer Transstroy-Übernahme tatsächlich einmal den Weg zu Deripaska finden, erledigten sich die mit dem Argument „eines ausländischen Konzerns auf russischem Boden“ verbundenen Probleme ohnehin von selbst.Lieber niedrige Lifecycle-KostenDie Gespräche mit den kasachischen Vertretern kreisten im Übrigen um den Ausbau eines 12 km langen Autobahnstücks im Süden der zentralasiatischen Republik zur Beschleunigung des holprigen Verkehrs zwischen Usbekistan und China. Gesamtlänge der südlichen Ost- West-Route A2: 1.200 km. Kein Kilometer davon ist bisher mehrspurig ausgebaut.Dabei kämpfen Bauherren und Bauunternehmen mit dem kontinentalen Klima: Herkömmliche Asphaltstraßen zerfließen angesichts der hohen Temperaturen von bis zu 40 Grad im Sommer, um im Winter bei minus 40 Grad zu bersten. Die Strabag- Ingenieure schlagen eine Lösung aus Beton vor, die dem Anspruch einer dreißigjährigen Nutzung standhalten sollte.Eine Betondecke hält zwar das Klima aus, ist aber im Vergleich zu einer Asphaltstrecke auch teurer. In den Verhandlungen musste eine Preisdifferenz bei den Anschaffungskosten von bis zu 30 Prozent durch niedrigere Lifecycle-Kosten über 30 Jahre wegdiskutiert werden – was offensichtlich bei manchen kasachischen Vertretern zu Schnappatmung führte. Bei Redaktionsschluss war die Betonautobahn noch nicht in trockenen Tüchern. Konkreter wurden die Gespräche am gleichen Tag in Bezug auf den Bau der Uniklinik in Astana: Hier wurde die Strabag zur „strategischen Partnerin“ der ausschreibenden Universität nominiert. Das Unternehmen ist in den engsten Kreis der in Frage kommenden Bauunternehmen vorgedrungen. Das ist das tägliche Brot.