Vergaberecht : Zweite Chance für nachgereihte Bieter?
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Darf ein Auftraggeber – zur Sicherung des Wettbewerbs – einem zweitgereihten Bieter die Möglichkeit geben, den Preis des Bestbieters "einzustellen" und derart doch noch den Zuschlag erhalten? Diese interessante Frage wurde kürzlich an den EuGH herangetragen. Was zuerst kurios klingt, ist bei näherer Betrachtung des Sachverhalts gar nicht so abwegig.
Allgemein bietet die sog. "Losvergabe" Auftraggebern die Möglichkeit, ihre Beschaffungen in kleinere Abschnitte zu strukturieren. Dies kann sowohl nach Gewerken erfolgen als auch zeitlich oder räumlich nach Abschnitten/Phasen. Das BVergG lässt dem Auftraggeber dabei sehr viel Gestaltungsspielraum: grundsätzlich liegt es im Ermessen des Auftraggebers, ob er eine Gesamt- oder Losvergabe durchführen will. Die Aufteilung in Lose kann nach örtlichen oder zeitlichen Aspekten, anhand der Menge und Art der Leistung oder der Gewerbe oder Fachrichtung der Leistungen erfolgen. Zwar sieht das BVergG vor, dass der Auftraggeber seiner Entscheidung wirtschaftliche und technische Aspekte zu Grunde zu legen hat (sein Ermessen ist daher sachlich gerechtfertigt auszuüben); dem Auftraggeber verbleiben aber dennoch umfassende Gestaltungsmöglichkeiten (bei Unterbleiben einer Losvergabe hat der Auftraggeber dies bloß im Vergabevermerk zu begründen). Umgekehrt ist es für Bieter sehr schwer, gegen die Wahl der Gesamt- oder Losvergabe rechtlich vorzugehen, sofern mit der Wahl der Los- oder Gesamtvergabe nicht eine erhebliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs einhergeht (etwa wenn Leistungen eines Loses so definiert werden, dass kein Wettbewerb mehr in diesem Los verbleibt).
Vor- und Nachteile der Losvergabe
Tatsächlich hat eine Losvergabe für Auftraggeber (und auch Bieter) viele Vorteile: (kleinere) Lose eröffnen Geschäftschancen auch für KMUs und fördern so Wettbewerb und unter Umständen auch Innovation. Gleichzeitig wird das Risiko für Auftraggeber gesenkt, weil verhindert wird, dass die gesamte Baustelle von einem einzigen Unternehmen abhängig ist (so laufen andere Bauabschnitte weiter, auch wenn es Meinungsverschiedenheiten, Leistungsverweigerungen oder gar eine Insolvenz eines Auftragnehmers gibt). Dem stehen natürlich auch gewisse Nachteile gegenüber, wie Koordinationsmehraufwände und das (teilweise) Wegfallen von Synergien. Dem kann etwa durch sogenannte "Koppelungsangebote" begegnet werden, die Bietern die Möglichkeit einräumen, einen Nachlass für den Fall zu geben, dass sie mit mehr als einem Los beauftragt werden. In einem solchen Fall muss der Auftraggeber konkret regeln, wie der Vergleich der Einzellos- und Koppelungsangebote erfolgt und unter welchen Umständen der Zuschlag auf das Koppelungsangebot erteilt wird.
Ausdrücklich erlaubt bei der Losvergabe ist auch eine Beschränkung der Anzahl der Lose, für die Unternehmer Angebote legen bzw. den Zuschlag erhalten können. Dadurch kann eine gewisse Aufteilung und eine langfristige Sicherung des Wettbewerbs bewirkt werden; der Auftraggeber muss in den Ausschreibungsunterlagen aber klar regeln, wie dann der Zuschlag zu erteilen ist bzw. wie die Lose ermittelt werden (z.B. durch eine Präferenzreihung seitens der Bieter). Genau mit einer solchen Regelung – an wen der Zuschlag geht, wenn nicht der Erstgereihte den Auftrag erhält – hat sich kürzlich der EuGH beschäftigt:
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Komplexer Fall mit überraschender Entscheidung
Der Entscheidung EuGH 13.6.2024, C-737/22, BibMedia, liegt ein offenes Verfahren über einen Lieferauftrag in mehreren Losen zu Grunde. Der Zuschlag in den jeweiligen Losen sollte, entsprechend dem Billigstbieterprinzip, ausschließlich anhand des wirtschaftlich günstigsten Angebotspreises erteilt werden. Zwei der gegenständlichen Lose waren durch die Festlegung verknüpft, dass mit Abgabe eines Angebotes für eines der beiden Lose automatisch auch ein Angebot für das andere Los abgegeben wurde; ein Zuschlag in beiden Losen an ein Unternehmen wurde jedoch explizit ausgeschlossen. Es kam, wie es kommen musste, und ein und dasselbe Unternehmen hat in beiden Losen das billigste Angebot gelegt.
Der Auftraggeber hat für einen solchen Fall in den Ausschreibungsunterlagen Vorsorge getroffen: Allerdings hat er nicht einfach festgelegt, dass dann der Zuschlag eben auf den Zweitgereihten des kleineren Loses ergeht; vielmehr sollte in diesem Fall dem Zweitgereihten angeboten werden, den Preis des erstgereihten (Billigst-)Bieters "einzustellen". Wenn der zweitgereihte Bieter also erklärt, den Auftrag in diesem Los zum Preis des Erstgereihten (Billigstbieters) zu erbringen, dann sollte der Zweitgereihte den Zuschlag erhalten. Wenn der Zweitgereihte den niedrigsten Preis hingegen nicht einstellen will oder kann, dann sollte dem nächstgereihten Bieter diese Möglichkeit eröffnet werden usw. Das Ganze so lange, bis ein Bieter sich bereit erklärt, den Auftrag zum angebotenen Billigstpreis auszuführen. Erst, wenn auch der in diesem Los letztgereihte Bieter das Angebot zur "Einstellung" des Billigstpreises ablehnt, sollte dem erstgereihten Bieter der Zuschlag auch für dieses Los erteilt werden.
Die Frage, ob diese doch etwas kuriose Regelung rechtlich zulässig ist, wurde in der Folge bis zum EuGH getragen und siehe da: Der EuGH beurteilt eine solche Regelung als rechtskonform!
Laut EuGH war das Vorgehen durch den Auftraggeber transparent festgelegt und führe auch nicht zu einer unzulässigen nachträglichen Angebotsänderung oder nachträglichen Angebotsverhandlung (mit der nicht ganz schlüssigen Begründung, dass ja keine Verhandlung stattfände, sondern nur ein "Angebot" seitens des Auftraggebers an die nachgereihten Bieter unterbreitet werde, den Auftrag zu einem bestimmten Preis anzunehmen). Weiters begünstige ein derartiges Vorgehen die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs in der betreffenden Branche, sodass auch insofern kein Rechtsverstoß zu orten sei. Die Reihung und damit die Rangfolge, in der den Bietern der Zuschlag anzubieten sei, ergebe sich zudem aus deren Angeboten und würde nachträglich nicht verändert. Auch ein Abgehen vom (festgelegten) Billigstbieterprinzip sei darin nicht zu erblicken gewesen.
Es bleiben offene Fragen
Zwar kann man der Sicht des EuGH einiges abgewinnen bzw. eröffnet sie wieder neue Gestaltungsmöglichkeiten für Auftraggeber. Ganz unproblematisch erscheint ein solches Vorgehen aber nicht, birgt es doch das Risiko, dass Bieter angesichts des "winkenden" Auftrags dazu verleitet werden, einen für sie letztlich doch unwirtschaftlichen Angebotspreis zu akzeptieren. Fraglich ist weiters, wie hier mit der Detailkalkulation umzugehen ist: Übernimmt der nachgereihte Bieter dann jeden Positionspreis oder werden seine Positionspreise anteilig gekürzt im Verhältnis von seinem Preis zum niedrigsten Preis? Da der Entscheidung des EuGH "nur" ein Lieferauftrag zugrunde gelegen ist, ergeben sich dort diesbezüglich naturgemäß weniger Problematiken als bei einem Bauauftrag/Einheitspreisvertag, die Fragen bleiben aber dennoch offen. Wenn der nachgereihte Bieter tatsächlich die gesamte Kalkulation des Billigstbieters übernehmen soll (also nicht nur den Gesamtpreis), dann scheint dies im Übrigen aus Wettbewerbssicht problematisch, weil dann detailliert die Kalkulation eines Konkurrenten offengelegt würde (abgesehen davon, dass die Ansätze für Gemeinkosten, Zuschläge etc betriebswirtschaftlich ja nie "1:1" von einem auf einen anderen Bieter umgelegt werden können). Wie so oft steckt auch hier der Teufel im Detail.
Offen bleibt weiters, ob und wie eine solche Regelung auch bei Bestbietervergaben angewendet werden darf. Müsste der nachgereihte Bieter dann dennoch den niedrigsten Preis einstellen oder seinen Preis nur soweit senken, dass er unter Berücksichtigung der Qualitätspunkte insgesamt Bestbieter wäre? Die vom EuGH geforderte Transparenz wäre diesfalls wohl schon sehr stark verdünnt. Die rechtlichen Fragestellungen für den EuGH gehen jedenfalls nicht so schnell aus.
Praxistipps
* Auftraggeber haben bei der Wahl zwischen Gesamt- oder Losvergabe großen Ermessensspielraum (sie haben diesen nur sachlich unter wirtschaftlichen und technischen Gesichtspunkten zu nutzen).
* Auftraggebern steht es bei Losvergabe auch frei, Einschränkungen zur Zahl der Lose zu treffen, für die Unternehmen Angebote legen bzw. den Zuschlag erhalten können.
* In einer neuen Entscheidung hat der EuGH ein "Aufgriffsrecht" für nachgereihte Bieter für zulässig erachtet, das ihnen – nach Ende der Angebotsfrist – ermöglicht, den Preis des Billigstbieters "einzustellen" (wenn der Billigstbieter aufgrund des Losbeschränkung für das betreffende Los "gesperrt" ist).