Vergaberecht : Bundesvergabegesetz: neu, aber gut?

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Berufliche Zuverlässigkeit

Im Bereich der beruflichen Zuverlässigkeit/Selbstreinigung spielen bekanntlich mehrere Rechtsgebiete (Vergaberecht, Kartellrecht, Strafrecht) eine wichtige Rolle. Die daraus resultierende Komplexität wird durch den Umstand erhöht, dass diese Rechtsgebiete unterschiedliche Zwecke verfolgen und daher nicht aufeinander abgestimmt sind.

Liegen der Prüfung der beruflichen Zuverlässigkeit/Selbstreinigung Verstöße gegen das Kartellrecht zugrunde, so ist auch die Aufarbeitung des Kartellschadens ein Thema und damit Fragen des Zivil- und Zivilprozessrechts.

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Spannungsverhältnis verschärft sich weiter

Das Spannungsverhältnis im Bereich der Selbstreinigung verschärft sich weiter durch die entgegengesetzten Interessenslagen von (öffentlicher) Auftraggeber- und Unternehmerseite: Unternehmen wollen an Ausschreibungen teilnehmen und Aufträge gewinnen (und müssen dazu ihre berufliche Zuverlässigkeit nachweisen), Auftraggeber wollen zwar auch Aufträge vergeben, nutzen Ausschreibungen und Selbstreinigungsprüfung aber auch durchaus, um an (kartellrechtlich an sich geschützte) Informationen zu kommen und so die Geltendmachung allfälliger Kartellschäden zu beschleunigen. Das Spannungsverhältnis besteht also nicht nur zwischen den erwähnten Rechtsgebieten, sondern auch zwischen dem Aufklärungsinteresse, der Prüfpflicht und finanziellen Interessen von Auftraggebern und den Geheimhaltungsinteressen und (gegenteiligen) finanziellen Interessen von Bietern bzw Unternehmen.

Klarstellende Regelungen durch den Gesetzgeber wären daher durchaus wünschenswert. In Hinblick auf die bisher bekannten Änderungen des Bundesvergabegesetzes im Bereich der Selbstreinigung soll daher kurz beleuchtet werden, ob hier mehr Klarheit zu erwarten ist und ob das Spannungsverhältnissen hier entschärft oder sogar noch verschärft wird.

Derzeitiger Stand

Derzeit ist im Bundesvergabegesetz festgelegt, dass ein Bieter neben der Setzung von wirksamen (technischen, organisatorischen und personellen) Maßnahmen zur Verhinderung von weiteren Verfehlungen nachweisen muss, dass er

* einen Ausgleich für jeglichen durch eine Straftat oder eine Verfehlung gegebenenfalls verursachten Schaden gezahlt oder sich zur Zahlung eines Ausgleiches verpflichtet hat (Schadensausgleichspflicht), und
* er umfassend durch eine aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden an der Klärung aller Tatsachen und Umstände betreffend die Straftat oder Verfehlung mitgewirkt hat (Kooperationspflicht).

Bei laufenden Untersuchungen und Verfahren – hauptsächlich komplexen Kartellverfahren – hat sich die Schadensausgleichs- und Kooperationsverpflichtung zunehmend als problematisch herausgestellt. Es stellten und stellen sich nach wie vor Fragen der Reichweite der Kooperationsverpflichtung (welche Informationen sind offen zu legen?) und des Umfanges der Schadenausgleichspflicht (wie lange dürfen Zahlungen verweigert werden? wie lange reicht ein Anerkenntnis dem Grunde nach? etc).

Konkretes zur Kooperationspflicht weiter umstritten

In der Praxis hat sich eine Vielzahl von Möglichkeiten etabliert, der Schadensausgleichspflicht ohne tatsächliche Zahlung zu entsprechen (diverse Erklärungen, Anerkenntnisse etc), wobei die "Härte" (Grad der Verbindlichkeit) dieser Erklärungen und Anerkenntnisse abhängig von der "Drucksituation" (Marktmacht des Auftraggebers, Anzahl der Verfehlungen und betroffene Vorhaben, wirtschaftliche Notwendigkeit und Situation des Auftragnehmers) variiert.

Im Hinblick auf die Kooperationspflicht mit dem Auftraggeber ist das konkrete Ausmaß nach wie vor umstritten. Zwar gilt der Grundsatz als anerkannt, dass mit den Behörden kooperiert werden muss und wohl auch gegenüber dem Auftraggeber Aufklärung geleistet und Informationen erteilt werden müssen. Damit endet aber auch schon wieder die Einigkeit. Wieviel Aufklärung und wieviel Information ist in Hinblick auf die Prüfung der Zuverlässigkeit tatsächlich erforderlich? Die Offenlegung welcher Unterlagen ist ausreichend oder schon wieder überschießend? Die Offenlegung welcher Unterlagen ist aufgrund von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen oder anderen gesetzlichen Bestimmungen (KartG) geschützt?

Diesen Unklarheiten soll nun nach dem derzeitigen Informationsstand mit einer Änderung der gesetzlichen Regelungen zur Selbstreinigung begegnet werden.

In der geplanten Neuregelung soll nunmehr ausdrücklich festgelegt werden, dass ein Bieter durch (aktive) Zusammenarbeit auch mit dem Auftraggeber (nicht nur mit einer Ermittlungsbehörde) an der Klärung aller Tatsachen und Umstände der Verfehlung und dem verursachten Schaden mitzuwirken hat. Neu ist hier im Bundesvergabegesetz die explizite Erwähnung des Auftraggebers sowie die Einbeziehung des "verursachten Schadens".

Seit der Leitentscheidung Vossloh Laeis (EuGH Rs C-124/17, Vossloh Laeis) war aber grundsätzlich ohnehin davon auszugehen, dass die Kooperationspflicht in Hinblick auf die Prüfung der Zuverlässigkeit auch im Verhältnis zum Auftraggeber gilt. Insofern wäre diese Neuerung nur eine Normierung der ohnedies bereits existierenden Rechtsprechung des EuGH.

Erweiterung der Selbstreinigungspflichten

Wie verhält es sich nun mit der geplanten Regelung, dass Bieter auch in Hinblick auf die Aufklärung aller Tatsachen und Umstände betreffend den verursachten Schaden kooperieren müssen? Grundsätzlich überrascht auch diese Neuerung nicht völlig (angesichts bisheriger Literatur und Judikatur), stellt aber dennoch eine klare Erweiterung der Selbstreinigungsverpflichtungen von Unternehmern dar.

So war bisher im Gesetzestext keine Rede von der Klärung der verursachten Schäden als Teil der aktiven Zusammenarbeit (die genaue Ermittlung einer schlüssigen und klagbar substantiierten Schadenshöhe fällt auch nicht ins Aufgabengebiet der Ermittlungsbehörden, auf welche sich die Kooperationsverpflichtung im Gesetzestext bisher beschränkte). Weiters waren bisher in den Gesetzesmaterialien noch Hinweise enthalten, dass von einem Unternehmer "nicht verlangt werden [kann], dass er Schadenersatzforderungen anerkennt oder ausgleicht, die nicht substantiiert und möglicherweise unbegründet sind".

Ebenso ist nach den Gesetzesmaterialien zur noch gültigen Regelung "ein Unternehmer auch nicht zu Handlungen verpflichtet, die seine diesbezügliche prozessuale Situation verschlechtern".

Pendel Richtung Auftraggeber

Daher ist festzustellen, dass das Pendel mit der geplanten Neuregelung doch recht klar in Richtung der Auftraggeber-Seite ausschlägt. Von kartellrechtswidrigem Verhalten betroffene Auftraggeber haben ein großes Interesse möglichst umfassende Informationen in Bezug auf konkrete Schäden zu erhalten, um diese außergerichtlich oder gegebenenfalls in einem nachfolgenden Zivilprozess (betreffend den Kartellschaden) verwerten zu können. Die geplante Neuerung erleichtert es der Auftraggeber-Seite also, im Vergabeverfahren Druck aufzubauen, um die gewünschten Informationen zu erhalten.

Auch berücksichtigt die Neuregelung nicht, dass in vielen Fällen die gewünschten Informationen (Tatsachen und Umstände betreffend den verursachten Schaden) selbst bei allerbester Intention und Kooperation schlicht nicht zur Verfügung stehen werden (etwa weil die einzelnen Sachverhalte zu lange zurückliegen, die betroffenen Mitarbeiter nicht mehr im Unternehmen sind etc). Zusätzlich ignoriert die geplante vergaberechtliche Neuregelung auch widerstreitende Bestimmungen des Kartellgesetzes; so steht eine solche vergaberechtliche Aufklärungspflicht tendenziell im Widerspruch zu den kartellrechtlichen (absoluten) Offenlegungs- und Verwertungsverboten (etwa bei Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen).

Es bleibt abzuwarten, ob die gesetzlichen Neuregelungen tatsächlich in der angekündigten Ausgestaltung erlassen werden (ob der Gesetzesentwurf in der angekündigten Fassung veröffentlicht wird und ob im Zuge der Begutachtung allfällige Änderungen vorgenommen werden). Wird der Gesetzestext so wie derzeit angekündigt vom Gesetzgeber in Kraft gesetzt, so bleibt das Spannungsverhältnis im Bereich der Selbstreinigung weiter bestehen. Ebenso wird der Unternehmer-Seite der Nachweis der Selbstreinigung und Wiedererlangung der beruflichen Zuverlässigkeit erschwert.