Vergaberecht : Vergaberecht: Sippenhaftung bei schlecht leistenden ARGEs?

Das Bundesvergabegesetz (BVergG) ordnet für bestimmte Schlechtleistungen bei früheren Aufträgen den Ausschluss des betreffenden Unternehmens aus (späteren) Vergabeverfahren an. Konkret kommt der Ausschlussgrund der "mangelhaften früheren Auftragserbringung" immer dann zur Anwendung, wenn ein Unternehmer bei der Erfüllung einer wesentlichen Anforderung im Rahmen eines früheren Auftrages oder Konzessionsvertrages erhebliche oder dauerhafte Mängel erkennen lassen hat, die die vorzeitige Beendigung dieses früheren Auftrages, Schadenersatz oder andere vergleichbare Sanktionen nach sich gezogen haben (§§ 78 Abs 1 Z 9 und 249 Abs 2 Z 8 BVergG 2018). Gravierende Schlechtleistungen bei öffentlichen Aufträgen mit entsprechenden rechtlichen Konsequenzen können daher auch zukünftige Aufträge gefährden – und zwar unabhängig davon, ob die Schlechtleistung bei einem Auftrag des Auftraggebers des neuen Vergabeverfahrens oder bei einem ganz anderen Auftraggeber erfolgte.

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Fraglich war jedoch, ob und wie dieser Ausschlussgrund auch auf eine Leistungserbringung in einer Bieter- bzw. Arbeitsgemeinschaft (BIEGE/ARGE) anzuwenden ist. Mit dieser Frage hat sich der EuGH nun in einer rezenten Entscheidung beschäftigt.

RA Mag. Wolfgang Lauchner, LL.M. ist Partner bei Wolf Theiss im Bereich Vergaberecht und auf Infrastruktur- und IT-Vergaben spezialisiert. - © www.amriphoto.com

EuGH zur Schlechtleistung und Zurechnung zu ARGE-Mitgliedern

Im Ausgangssachverhalt hat eine ARGE einen Auftrag mangelhaft ausgeführt und der Vertrag wurde daher vom Auftraggeber beendet. Konkret war die Schlechtleistung bzw. Vertragsbeendigung im Wesentlichen auf die Insolvenz des federführenden Mitglieds der ARGE zurückzuführen (wobei bereits vor dessen Insolvenz erheblicher Verzug bestanden hat und auch bestimmte Sicherheiten von der ARGE nicht beigebracht wurden). Infolge dieser Schlechtleistung und Vertragsbeendigung wurden alle Unternehmen der ARGE in eine "Sperr-Liste" eingetragen. Dies hätte für die betroffenen ARGE-Mitglieder eine automatische "Vergabesperre" für drei Jahre bewirkt (die Entscheidung betrifft einen Fall aus Litauen, das – anders als Österreich – eine derartige "Black List" für Auftragsvergaben führt).

Die Anordnung einer solchen Vergabesperre bzw. die Führung einer Sperr-Liste ist grundsätzlich auch zulässig (die Vergabe-Richtlinie stellt es den Mitgliedstaaten frei, ob sie eine solche Liste bzw. ein solches Register führen oder nicht; Österreich hat von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht). Sind aber nun alle ARGE-Mitglieder (automatisch?) von dieser Vergabesperre betroffen? Laut EuGH: Nein!.

Wenig überraschend ist dem EuGH zufolge eine mangelhafte Leistungserbringung bei einem früheren Auftrag durch eine ARGE den einzelnen ARGE-Mitgliedern grundsätzlich zurechenbar (eine andere Ansicht würde zu dem merkwürdigen Ergebnis führen, dass die Schlechtleistung nur der ARGE, nicht aber deren Mitgliedern zurechenbar ist). Diese grundsätzliche Zurechnung stellt jedoch nach Ansicht des EuGH lediglich eine widerlegbare Vermutung dar und darf nicht "automatisch" zum Ausschluss jedes ARGE-Mitglieds aus zukünftigen Vergabeverfahren führen. Vielmehr muss jedem ARGE-Mitglied die Möglichkeit zukommen, sich von seiner "Schuld" an der Schlechtleistung frei zu beweisen. Dabei muss das einzelne ARGE-Mitglied jeden Umstand geltend machen können, der belegt, dass das Unternehmen den Ausschlussgrund nicht verursacht hat und dass von ihm vernünftigerweise nicht verlangt werden konnte, mehr zu tun, als es getan hat. Laut EuGH muss der Ausschlussgrund "nämlich darauf gestützt werden, dass dieses individuelle Verhalten fehlerhaft oder fahrlässig ist" .

Diese Ansicht des EuGH erscheint sachgerecht und verhältnismäßig, zumal die Aufgaben und Leistungsbereiche innerhalb von ARGEn ja – trotz Solidarschuld und -haftung – oftmals klar differenziert und abgegrenzt sind (so ist es z.B. . leicht möglich, dass ein ARGE-Mitglied mangels Eingriffs- oder Steuerungsmöglichkeit kein "Verschulden" an technischen Mängeln in der Ausführung trifft, wenn es selbst die konkrete Leistung nicht erbracht und auch nicht die technische Oberleitung innehatte).

Wolf Theiss Ingrid Makarius Vergaberecht
Mag. Ingrid Makarius ist Rechtsanwältin und Consultant im Vergaberechtsteam von Wolf Theiss und hat weitreichende Erfahrung in den Bereichen Vergaberecht, Compliance und interne Untersuchungen. - © Wolf Theiss

Wie erfolgt der "Freibeweis"?

Wichtig ist dabei nach Ansicht der Autoren aber die Verknüpfung, die der EuGH vornimmt, dass (i) das betreffende ARGE-Mitglied den Ausschlussgrund nicht verursacht hat und (ii) dass von ihm vernünftigerweise nicht verlangt werden konnte, mehr zu tun, als es getan hat, um diesen Mängeln abzuhelfen.

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Der bloße "Fingerzeig" auf ein anderes ARGE-Mitglied reicht daher für den Freibeweis vom Ausschlussgrund allein nicht aus; vielmehr muss das betreffende Unternehmen auch nachweisen, dass es im Rahmen seiner Möglichkeiten alles Zumutbare getan hat, um die Schlechtleistung zu verhindern bzw. zu beheben. Dazu wird das Unternehmen wohl nachweisen müssen, dass es sowohl im Rahmen seiner "gesellschaftsrechtlichen" Möglichkeiten nach dem ARGE-Vertrag als auch mit "weichen" Mitteln auf seine ARGE-Partner eingewirkt hat, um auf eine ordnungsgemäße Leistungserbringung bzw. allenfalls Mängelbehebung hinzuwirken (im vernünftigerweise zumutbaren Umfang wie etwa in Projektbesprechungen, E-Mails mit Hinweisen etc). Wenn sich ein ARGE-Mitglied aber unter Beachtung dieser Vorgaben freibeweist, so hat dieses ARGE-Mitglied eine "weiße Weste". Dieses ARGE-Mitglied muss daher keine Selbstreinigung oÄ vornehmen, weil – aufgrund des Freibeweises – gar kein Ausschlussgrund gegen das Unternehmen vorliegt. Nur wenn sich das ARGE-Mitglied nicht freibeweisen kann, dann wären "konkrete technische, organisatorische, personelle oder sonstige Maßnahmen" zu treffen, "die geeignet sind, das nochmalige Begehen der betreffenden strafbaren Handlungen bzw. Verfehlungen zu verhindern" (sog. "Selbstreinigung" iSd § 83 Abs 2 BVergG).

Keine automatische Sperre

In der genannten Entscheidung hat sich der EuGH weiters auch mit dem Automatismus der Vergabesperre auseinandergesetzt. In Litauen führt die Meldung einer Schlechtleistung durch einen Auftraggeber (soweit dem Sachverhalt entnehmbar) unmittelbar zu einer Eintragung in das "Sperr-Register" und somit zur Unzuverlässigkeit in weiteren Vergabeverfahren. Wenig überraschend hat der EuGH dabei (erneut) ausgesprochen, dass ein derartiger Automatismus unzulässig ist. So hat der EuGH bereits in der Rechtssache Delta festgehalten, dass ein öffentlicher Auftraggeber einen Bieter nicht automatisch wegen früherer Schlechtleistungen ausschließen darf und auch nicht an die Beurteilung eines anderen öffentlichen Auftraggebers gebunden ist. Zusätzlich hat der EuGH in der Rechtssache HSC Baltic nun auch klargestellt, dass die Eintragung eines Unternehmens in ein solches "Sperr-Register" als Entscheidung eines Auftraggebers zu verstehen ist und daher dem betroffenen Unternehmen jedenfalls die Möglichkeit offenstehen muss, diese Entscheidung zu bekämpfen (bzw. einer Nachprüfung zuzuführen).

    Zusammenfassend – soweit für die österreichische Rechtslage relevant

    • Schlechtleistungen einer ARGE sind deren Mitgliedern grundsätzlich zurechenbar und können daher zu deren Ausschluss aus späteren Vergabeverfahren führen.
    • Ein Unternehmen, das Mitglied einer "schlechtleistenden" ARGE war, muss aber die Möglichkeit haben, sich frei zu beweisen (jeden Umstand geltend zu machen, der belegen kann, dass es die Mängel, die zur vorzeitigen Beendigung dieses Auftrags geführt haben, nicht verursacht hat und dass von ihm vernünftigerweise nicht verlangt werden konnte, mehr zu tun, als es getan hat).
    • Ein automatischer Ausschluss von Unternehmen aufgrund von Schlechtleistungen ist jedenfalls unzulässig. Es bedarf vielmehr einer individuellen Einzelfall-Betrachtung und dem betroffenen Unternehmen muss auch ein wirksamer Rechtsbehelf gegen den Ausschluss oder eine "Vergabe-Sperre" zukommen.

    Praxistipps

    • Die Schlechtleistung einer ARGE ist grundsätzlich jedem ARGE-Mitglied zurechenbar und kann zu dessen Ausschluss aus späteren Vergabeverfahren führen; jedem ARGE-Mitglied muss jedoch die Möglichkeit zukommen, sich von einer Verantwortung für die Schlechtleistung der ARGE frei zu beweisen.
    • Wenn es in der ARGE "knirscht", sollte eine genaue Dokumentation von Leistungsteilen, konkret ausführenden Unternehmen und allfälligen Mängeln erfolgen (gegebenenfalls samt Beweissicherung), um – unabhängig von einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung mit dem ARGE-Partner – in zukünftigen Vergabeverfahren die eigene "Unschuld" an der Schlechtleistung darlegen zu können.
    • Wenn Schlechtleistungen der ARGE (auch) vom eigenen Unternehmen zu verantworten sind, müssen Maßnahmen getroffen werden, um zukünftige Verstöße zu verhindern und die eigene berufliche Zuverlässigkeit wiederherzustellen (sog. "Selbstreinigung").