SOLID 07+08/2019 : Bau-Gerichtsverfahren: der Weg ins Verderben
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Die Inanspruchnahme der österreichischen Zivilgerichte zur Erledigung von Meinungsverschiedenheiten aus Bauvorhaben hält beständig an. Aus Meinungsverschiedenheiten werden so Streitigkeiten. Im Wesentlichen dreht es sich dabei stets um dieselben Problemkreise: Entweder ist die Qualität der Bauleistung betroffen (Mängel, Schäden) oder es geht bei den Differenzen um Kosten und Terminprobleme (Mehrkostenforderungen im weitesten Sinn). Gerade bei komplexeren Bauvorhaben kommen gelegentlich auch alternative Modelle der Streitbeilegung wie Schlichtung, Mediation oder Schiedstätigkeit zum Einsatz.
Dass Gerichte zur Klärung von Baustreitigkeiten mitunter sehr lange benötigen, ist hinlänglich bekannt. Die Vermeidung von Prozessen sollte daher als oberstes Ziel der anwaltlichen Beratung und Vertretung gelten. Um vertret- und tragbare außergerichtliche Lösungen zu entwickeln, ist es auch erforderlich, die Gründe für das Scheitern der außergerichtlichen Gespräche zu kennen. Die Beobachtungen des Autors fördern im Wesentlichen nachstehende Ursachen für Eskalationen am Bau zu Tage (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
Das "Einzeltäter-Bauvorhaben": Dahinter verbirgt sich die Erkenntnis, dass Bauherren, die selten oder nur einmal im Leben bauen, eine niedrigere Schwelle aufweisen, eine Kontroverse mit dem Ausführenden vor Gericht auszutragen. Häufig sind die Akteure hier der "häuslbauende" Verbraucher gegen den Baumeister; inhaltlich geht es dabei sowohl um Kostenüberschreitungen als auch um Mängelthemen. Aber auch das Unternehmen, das seine Firmenzentrale nach Jahrzehnten neu errichtet, will sich – wenn schon einmal gebaut wird – vom Generalunternehmer nicht alles gefallen lassen. Der Zugang "jetzt wollen wir es aber wissen" zieht sich hier besonders markant quer durch die Projekte. Kennzeichnend für die vielen derartigen Gerichtsfälle ist, dass die Klagen der Ausführenden nur rudimentär und weniger detailliert ausformuliert sind, was die Auseinandersetzung auch nicht verkürzt.
Auch der (Irr-)Glaube des Bauherrn an seinen "perfekten Bauvertrag" kann die Parteien vor Gericht bringen: Immer wieder sind Bauherren am Werk, die sich durch kein noch so gründlich recherchiertes rechtliches Argument von ihrem Weg abbringen lassen. Als Klassiker dieser Kategorie wäre beispielsweise der Fall zu nennen, in welchem sich der Bauherr eines unechten "Pauschalfixpreisvertrages" bedient, der zusätzlich mit Vollständigkeitsklauseln und Prüfpflichten zu Lasten des Bauunternehmers gespickt wurde. In aller Regel werden durch solche Vertragswerke in der Praxis jedoch keine dem Bauherrn durch Gesetz zugeordneten Risiken abgenommen. Zusätzlich finden sich eine Vielzahl von Abweichungen zur Gesetzeslage und zu den (an sich ausgewogenen) Bestimmungen der ÖNORM Werkvertragsnormen (B 2110 und B 2118) im Bauvertrag. Der Glaube an die vermeintliche "Vollkaskoversicherung" Pauschalpreisvertrag samt einer Reihe von gröblich benachteiligenden sonstigen Klauseln zu Lasten des Unternehmers kann mitunter den Mut des Bauherrn derart beflügeln, dass sich dieser jedes Gerichtsverfahren zutraut. Am Ende bleibt die vom Gericht zu klärende Frage: Welche Leistung ist von der Pauschale tatsächlich umfasst und welche (zusätzliche oder behinderte) Leistung nicht? In vielen derartigen Fällen stellt sich nachher heraus, dass der Architekt oder eine ÖBA (auch den) rechtlichen Teil der Vertragsbedingungen errichtet hat. Aber auch Anwälte neigen gelegentlich dazu, Vertragsbedingungen "zu hart" zum Nachteil des anderen Vertragspartners zu formulieren. Derartige Vertragsbedingungen laufen Gefahr, von Gerichten wegen gröblicher Benachteiligung oder Sittenwidrigkeit für nichtig erklärt zu werden. Zumindest aber führen solche Verträge dazu, dass sie von den Anwendern auf der Baustelle nicht "gelebt" werden können – und das ist womöglich der faktische Hauptkritikpunkt in derartigen Konstellationen.
Die "Lange-Bank-Problematik": Bekanntlich bedeutet aufgeschoben nicht aufgehoben. Auch komplexe und seitenstarke Mehrkostenforderungen lösen sich nicht von alleine; und schon gar nicht, wenn sie in einer Ecke verstauben. Natürlich gibt es während aufrechter Bautätigkeit für alle Beteiligten genug anderes und dringenderes zu tun. Das Studium von ellenlangen Behinderungsnachträgen ist in dieser Bauphase sicherlich bei den Operativen wenig populär. Tatsache ist, dass mit jeder Woche, die ein Nachtrag liegen bleibt, nicht nur das beidseitige Erinnerungswissen darum geringer wird, sondern mit zunehmenden Baufortschritt dem Projekt auch jene Menschen "abhanden" kommen, die einen inhaltlich wertvollen Beitrag zur Klärung leisten können - etwa weil diese bereits auf der nächsten Baustelle in 700 km Entfernung im Einsatz sind und dort – ganz sicher – wichtigeres zu tun haben, als sich um die Zetteln des abgeschlossenen Projektes zu kümmern.
Die retrospektive Aufarbeitung birgt stets die Gefahr mit sich, dass projektfremde Personen die Einzelthemen (ausschließlich) nach der Aktenlage beurteilen müssen, selbst die Baustelle während der Ausführung niemals betreten haben und überhaupt eher der Gattung Schreibtischtäter zuzuordnen sind. Es ist verständlich, dass solche Sachbearbeiter sich dann eher insistierend mit endlosen Kausalitäts-Einzelnachweis-Ketten beschäftigen wollen und unüberlegter zur Auffassung gelangen, dass eine Forderung mangels Nachvollziehbarkeit zuerst plausibilisiert werden müsse und bis dahin ex auctoritate vorerst die Prüffrist ausgesetzt werde (alles vertragswidrig!).
Es soll an der Stelle aber auch nicht verleugnet werden, dass es da und dort Nachträge gibt, für deren grundlegendes Verständnis man zumindest Absolvent (besser noch ehemaliger Assistent) der Technischen Universität, Fachrichtung Baubetrieb und Bauwirtschaft, sein sollte. Ein Hang zur Akribie (oder aber Oberflächlichkeit, falls man der Globalbetrachtung anhängt) schadet auch nicht. Spaß beiseite: Der Grad an Verwissenschaftlichung von Mehrkostenforderungen hat sich in den letzten 15 Jahren rapide erhöht und (insbesondere bei Großprojekten) ein Ausmaß erreicht, welches neue Anforderungen an die Darlegung und Darstellung von zB komplexen Bauablaufstörungen stellt.
Die "ÖBA-Konsequenz": Bei zahlreichen Bauvorhaben wird die Örtliche Bauaufsicht auch für die Abwehr von Mehrkostenforderungen eingesetzt. Obgleich diese Dienstleistung – soweit sie sich rechtlich mit dem Anspruch dem Grunde nach beschäftigt - umfangreiche juristische Fähigkeiten erfordert, ist bemerkbar, dass in der Praxis teilweise stark "verbogene Rechtsansichten" ausgetauscht werden, welche grundlegende Missverständnisse des österreichischen Werkvertragsrechtes und der dazu ergangenen Rechtsprechung erkennen lassen. Selbst für den Fall, dass diese Standpunkte nur als taktische Verhandlungsstandpunkte aufrechterhalten werden sollten, so bringen diese – werden die Themen nicht rasch aufgearbeitet und einer einvernehmlichen Vertragsfortschreibung zugeführt – am Ende mehr Verdruss als Ruhe. Solche Berater tun sich in Vergleichsverhandlungen oft schwerer, ihre Positionen zugunsten eines gemeinsamen Lösungsweges zu verlassen und verteidigen stur ihre Standpunkte.
Das "Zuhör-Problem": Bemerkbar ist auch, dass es vielen Projektbeteiligten schwer fällt, der anderen Seite sinnerfassend zuzuhören. Diese Feststellung mag eigenartig anmuten, aber probieren sie doch einmal bei der nächsten sich bietenden Baubesprechung anhand eines kontroversen Themas aus, ob die andere Seite ihre wesentlichen Argumente am Ende des Meetings in wenigen Sätzen sinnrichtig wiedergeben kann. Ist sie dazu nämlich nicht in der Lage, dann wird es dem Verantwortlichen auf der anderen Seite vermutlich auch nicht gelingen, seine internen Vorgesetzten oder Ergebnisverantwortlichen von einem bestimmten Lösungsweg oder einer Schwäche des eigenen Standpunktes zu überzeugen. Auch eine gut vorbereitete Verhandlungsstrategie sollte stets berücksichtigen, dass (unpräjudizielle) Außerstreitstellungen wichtige Schritte hin zu einer Lösung sind. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass man sich darüber klar wird, worüber man eigentlich uneins ist.
Allen Auslösern gemeinsam ist wohl, dass zu irgendeinem Zeitpunkt während der Bauausführung die Kommunikation zwischen den Vertragsparteien zum Stillstand gekommen ist. Und damit ist nicht die Vertragskorrespondenz gemeint, sondern das - in jeder Hinsicht gut vorbereitete aber dennoch - offene Gespräch.
Es sollte nicht vergessen werden, dass man bei Gericht – sollte es soweit kommen – selten da weiter streitet, wo man außergerichtlich aufgehört hat zu diskutieren. Man beginnt in der Regel von vorne. All die Mühen waren vielleicht umsonst, wenn der gegnerische Rechtsvertreter zu Beginn des Prozesses erst einmal bestreitet, dass der auslösende Zusatzauftrag mangels Vertretungsbefugnis seiner eigenen ÖBA überhaupt wirksam zustande gekommen sei. Oder der Bauherr realisiert, dass das Verfahren wohl Jahre dauern wird und ihm die bis dahin anreifenden Verzugs- und Zinseszinsen alsbald die Lust an grundsätzlichen Rechtsstandpunkten nehmen werden.
TIPPS:
Immer wieder: Emotionen raus!
Reden ist Silber, zuhören ist Gold.
Die Spezies "Vollkaskopauschalfixpreisnulltoleranzbauwerkvertrag" ist sehr, sehr selten.
eigene Rechts- und Sachpositionen gründlich hinterfragen, evaluieren und darauf aufbauend eine Einigungsstrategie entwickeln.
Betrachtung des "Worst-Case-Szenarios" umfasst neben Rechtsrisiken auch Zinsenrechnung (Bau-, Verzugs- und Zinseszinsen).
Konsulenten aus Bauphase sind uU suboptimal für Vergleichsverhandlungen.
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