Nachhaltigkeit : Stahlbau: Hochfest für Europa

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Eine der naheliegendsten Anwendungen für hochfeste Stähle im Stahlbau sind Stützen im Wohnbau und bei hohen Gebäuden. Hier kommt auch das Thema Nachhaltigkeit ins Spiel.

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Hochfester Stahl auch für klassischen Stahlbau

Hochfeste Stähle sind an sich nichts Neues. Es sind legierte Stähle, die bessere mechanische Eigenschaften und eine höhere Korrosionsbeständigkeit aufweist als herkömmlicher Kohlenstoffstahl. Von hochfesten Stählen spricht man ganz allgemein bei Streckgrenzen über 550 MPa. Bis dato wurden und werden sie besonders im Maschinen- und Anlagenbau verwendet, etwa bei Mobilkranen, an deren Auslegern an der äußersten Spitze, die dann noch ausklappbar ist, lokal besonders starke Kräfte auftreten, die direkt auf die Zugfestigkeit des Materials gehen.

Aber dort endet die Anwendbarkeit der hochfesten Stähle nicht und sie können auch für den klassischen Stahlbau von Bedeutung sein. Diesem Thema widmet sich der Froschungsverbund Hochfest in Deutschland, hinter dem federführend Prof. Markus Feldmann von der RWTH Aachen und Dr. Gregor Nüsse von der FOSTA (Forschungsvereinigung Stahlanwendung) stehen.

  • "Wir zielen darauf ab, dass wir einen stärkeren Impuls setzen wollen, um auch europäisch den hochfesten Stahl weiter voranzubekommen und wir haben auch auf europäischer Ebene entsprechende Vorkehrungen betroffen, dass das passieren kann."

    Prof. Markus Feldmann von der RWTH Aachen

Ingenieurwissen für Produktion nötig

Bedeutung hat das Thema aber naturgemäß auch für die Herstellung des Stahls. Hier ist die voestalpine im Grobblech- und im Bereich der geschlossenen Hohlprofile erfolgreich tätig, aber auch andere Stahlhersteller wie Arcelor Mittal haben und entwickeln Produkte. Mit einer Zunahme der Bedeutung von hochfesten Stählen und vor allem der benötigten Mengen würde sich, so die These von Feldmann und Nüsse, auch eine Verbesserung der Marktsituation für die europäische Stahlindustrie ergeben, da zur Produktion hochfester Stähle einiges an Ingenieurwissen notwendig ist.
Und zweite These: je mehr sich das Thema Nachhaltigkeit Bahn bricht und damit Transportwege und Gewichte mehr Bedeutung in Ausschreibungen und Finanzierung gemäß EU-Taxonomien bekommen, desto mehr würde auch hier für hochfeste Stähle als Option sprechen.

Markus Feldmann: „Unabhängig davon, wie viel wir schon an Ergebnissen haben in puncto hochfest, das noch nicht so weit in die technischen Regeln eingeflossen ist, als dass man es sofort jetzt zur Anwendung bringen kann, zielen wir darauf ab, dass wir einen stärkeren Impuls setzen wollen, um auch europäisch den hochfesten Stahl weiter voranzubekommen und wir haben auch auf europäischer Ebene entsprechende Vorkehrungen betroffen, dass das passieren kann“. In einigen (vor allem den skandinavischen) Ländern, so Feldmann, sei man schon weiter.

Hochfest ist nicht hochfest

Hochfester Stahl entsteht dadurch, dass der Werkstoff nachbehandelt wird.

Er wird dazu entweder einer bestimmten Temperatur für einen bestimmten Zeitraum ausgesetzt oder er wird mechanisch nachbehandelt (gewalzt). Die Verfahren können auch kombiniert werden. Letztendlich ist das Ziel, eine gute hohe Streckgrenze und eine gewisse „Gutmütigkeit“ (Nüsse) des Materials zu erreichen. Das bedeutet, dass man das Material gut schweißen kann und dass es vor allen Dingen nicht sprunghaft versagt.

Die Festigkeiten im Stahlbau sind dabei weit nicht so hoch wie etwa im Kranbau. Im Bauwesen ist man mit Streckgrenzen S235 oder S355 unterwegs, zum Teil auch schon S460 (gemessen in jeweils 100 Newton pro Quadratmillimeter). Im Mobilkranbau spricht man bis zu S1300.

Gregor Nüsse: „Letztendlich ist es so, dass gerade der schwere Stahlbau auch eine Schnittmenge in den Anlagenbau hat. Wir werden ja als Organisation, als Forschungsvereinigung hauptsächlich finanziert von der stahlproduzierenden Industrie, beschäftigen uns aber nicht mit Themen der Produktion, sondern mit der Anwendung des Werkstoffs in unseren Projekten.“
In diesem Zusammenhang gab es Mitte Mai eine gut besuchte Tagung in Essen, die den Stahl- und den Anlagenbau zusammen gebracht hat.

Hohes Interesse bei Tagung in Essen

Am 16. und 17. Mai 2023 veranstaltete die FOSTA (Forschungsvereinigung Stahlanwendung e. V.) die Tagung „Hochfester Stahl im Stahl- und Anlagenbau“ im Haus der Technik in Essen. Die mit rund 150 Teilnehmenden sehr gut besuchte Veranstaltung belegt das hohe Interesse im Markt an hoch und höchstfesten Stählen und ihrem enormen Potenzial für neue Formen des Leichtbaus, für Effizienzsteigerungen im Materialeinsatz sowie für neue Konstruktionsarten mit dem Werkstoff Stahl.

Die Veranstaltung berichtete über die Arbeit des FOSTA Forschungsverbund HOCHFEST, der sich in mehreren Teilprojekten dieser Aufgabenstellung widmet. Der Forschungsverbund wurde vor ca. drei Jahren ins Leben gerufen und beschäftigt sich mit technisch-wissenschaftlichen Fragestellungen, die zur Verbesserung von Bemessungs- und Konstruktionsregeln, zur Weiterentwicklung von Entwurfs- und Anwendungstechniken sowie zur Erweiterung von Einsatzgebieten hoch- und höchstfester Stähle im Stahl und Anlagenbau beitragen können.

Knackpunkt Normen und Richtlinien

Dass im Bauwesen bis dato höherfeste Stähle nicht häufiger angewendet werden, liegt an unterschiedlichen Dingen. Nüsse: „Vor allem ist der Baubereich ein absolut geregelter Bereich mit viel Normung, Standardisierung und Richtlinien, die bauaufsichtlich eingeführt sein müssen.“ Und die aktuelle Eurocode-Generation sei dabei im Bezug auf hochfeste Stähle aus den 1960er Jahren. „Deswegen gibt es gerade auch die Evaluierung und eine neue Generation der Eurocodes. Und unser Ziel ist es jetzt, in die neue Generation der Eurocodes so viel wie möglich an Anwendungshilfen einzubringen, die für höher feste Stähle da sind.“

Die hochfesten Stähle würden schon sehr viel können und seien mittlerweile sehr gut verarbeitbar. „Deswegen muss man das auch in die Regelwerke überführen und das geht nur mit Anwendungsforschung.“

  • "Unser Ziel ist es jetzt, in die neue Generation der Eurocodes so viel wie möglich an Anwendungshilfen einzubringen, die für höher feste Stähle da sind.“

    Dr. Gregor Nüsse (FOSTA)

Hochleistungsverbund als Top-Anwendungsgebiet

Beim Brückenbau ist man durchaus auch im Bereich S460. Fürs Bauwesen besonders interessant sind aber Stützen, vor allem Hochleistungsverbundstützen, die zum Beispiel in Hochhäusern oder in großen Gebäuden auch eingesetzt werden.

Bei Stahl-Beton-Verbund wird ein Einstellprofil aus Stahl erzeugt und mit dem ummantelnden Beton ist auch das Thema Brandschutz erledigt, da der Beton das innere hochfeste Stahlteil abschirmt, welches auf Druck sehr gut tragen kann.

Nüsse: „Wir sprechen mittlerweile übrigens auch über Stahl-Holzkonstruktionen, sind also auf jeden Fall für hybride Bauweisen immer offen.“

Marktduchsetzung via Industrie, Planer

Die Marktdurchsetzung, so Feldmann und Nüsse praktisch gleichlautend, ist derzeit noch „so lala“. Was würde es brauchen und ab welchem Zeitpunkt würde es dann so richtig losgehen, fragen wir?

Nüsse sieht dabei die Stahlhersteller mit ihrem Interesse an Innovation am Zug, aber auch die vielen mittleren und kleinen Planungsbüros. „Im Bauwesen haben wir wenige große Baukonzerne, aber sehr viele kleine und mittelständische Unternehmen, nicht nur auf ausführender Seite, sondern besonders auch bei den Ingenieurbüros, die im Prinzip die Bemessung machen.“

Deswegen brauche es eben eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Bemessungsrichtlinien und kontinuierliche Information über neue Dinge, die man machen kann.

„Und es braucht auch das kontinuierliche Gespräch mit Zulassungsbehörden. Das ist ein mehrschichtiges System, das die Anwendung von Innovationen nicht unbedingt einfach macht.“ Aber man müsse auch sehen, dass auch immer der Schutz von Leib und Leben dahinter steht.

Und es müsse auch eine ausschreibende Stelle „dann mal den Mut nehmen und sagen: wir möchten europäische Produkte und Unternehmen und das müssen wir in die Ausschreibung auch reinschreiben.“

Besonders hochfeste Stähle werden im Anlagen-, aber auch im Kranbau verwendet.

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Nachhaltigkeit als Argument pro hochfest

Was der Verwendung hochfester Stähle in die Karten spielen könnte, ist das Thema Nachhaltigkeit. Nüsse: „Gerade in der jetzigen Zeit mit Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit ist die Materialeffizienz ein großes Thema und das bringt eine Konstruktion aus hochfesten Werkstoffen natürlich mit. Wenn Sie hochfeste Stützen bauen, ist die Stütze natürlich wesentlich gedrungener und damit effizienter im Materialverbrauch. Wir können mit weniger Wandstärke eine gleiche Tragfähigkeit herbekommen und erhalten damit auch Vorteile im Arbeitsschutz, weil die Bauteile auch leichter werden.“ Letzteres würde auch bei den Transportkosten und -umweltbelastungen bewirken.

„Es muss das Ziel sein, dass wir aus den Normen die älteren Reduktionsfaktoren und Bemessungsverfahren rauskriegen und da sind wir auf einem sehr guten Weg, muss ich sagen“, so Nüsse abschließend.