Österreich : Gewessler: „Bau braucht neue Lösungen“
SOLID: Ende 2014 haben wir im SOLID getitelt „Wie böse ist grün?“ und dazu mit dem damaligen Planungssprecher der Wiener Grünen Christoph Chorherr vor allem über Nachverdichtung gesprochen. Auch noch auf dem Cover stand: „Plus: Fragezeichen um die Seestadt Nord“ – da ging es damals um die UVP für die Stadtstraße, das ist nach wie vor aktuell. Porr-Chef Karl-Heinz Strauss hält da – etwa im SOLID-Interview im Februar 2022 - der Regierung und im Wesentlichen den Grünen vor, dass sie aus ideologischen Gründen wirtschaftlich wichtige Projekte wie den Lobautunnel abwürgen und gegen die Interessen der Bevölkerung agieren, was Reisen, Wohnen etc. betrifft. Wörtlich sagte er: „Dass wir den Verkehr um 40 Prozent reduzieren werden, das mag der Traum ja mancher Politiker sein, wird sich aber so sicher nicht verwirklichen lassen. Wir müssen stattdessen schauen, dass auch der Individualverkehr intelligent gemacht wird, dass er neben einem smarten öffentlichen Verkehr benützt wird. Das wird am Land deutlich schwieriger werden als in der Stadt, aber das ist ja gerade das, wo die Bauindustrie gefordert wird.“ Wie sehen Sie die Verkehrsentwicklung und welche Rolle kann die Baubranche da spielen?
Leonore Gewessler: Mittlerweile spüren und sehen wir vielfach, dass die Klimakrise bei uns in Europa und in Österreich angekommen ist und etwas dagegen getan werden muss. Auch die geopolitische Situation mit dem russischen Angriffskrieg in die Ukraine hat unsere Verletzlichkeit aufgezeigt, die eine Konsequenz aus dem Import von russischem Öl und Gas ist. Natürlich braucht es einerseits innovative Lösungen, ob im Verkehr, am Bau oder bei der Energiegewinnung. Innovation wird uns helfen, unsere Ziele zu erreichen. E-Mobilität ist ja ein treffendes Beispiel dafür, oder Bauteilaktivierung. Andererseits braucht es auch mutige politische Entscheidungen. Denn wir sehen heute einfach: manche Entscheidungen, die vor einem Jahrzehnt oder mehr getroffen wurden, haben sich als nicht besonders klug erwiesen, die hohe Abhängigkeit von russischen Erdgaslieferungen und das lange Festhalten am Bau der entsprechenden Gasinfrastruktur wie Nord-Stream 2 etwa. Gerade im Verkehrsbereich gilt, es braucht ein Umdenken, denn die Infrastruktur die wir heute bauen, bestimmt unsere Mobilität und die Emissionen der Zukunft. . Auch wenn es noch viel altes Denken gibt, ist es die Aufgabe der Politik, mutige Entscheidungen zu treffen, die die selbst gesetzten Ziele ernst meinen. Das ist meine Aufgabe.
Wir brauchen zusätzlich etwa 17.000 Beschäftigte im Bausektor. Wir brauchen auch neue Lösungen wie mehr Vorfertigung oder die Aktivierung von Bauteilen. Hier steht ein Innovationsschub vor uns.
Was soll und kann die Baubranche fürs Klima tun? Wie ändern sich die Bedingungen (neue UVPs etc.), welche intelligenten Lösungen für Bauprojekte sind denkbar und werden gefördert, wie bekommt man das mit der Sanierung hin (die ja meist teurer ist als Neubau), ist Nachverdichtung ein großes Thema und was geht da auch unter die Erde, was hat die Baustoffindustrie zu tun, wie sieht das alles im europäischen Kontext aus?
Gewessler: Der Bau- und Gebäudesektor ist ein bedeutender Wirtschaftszweig in Österreich. Die etwa 36.000 Unternehmen der Branche erwirtschaften fast 50 Milliarden Euro Umsatz. Allerdings ist die Branche weltweit auch für beinahe 40 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Deswegen ist Bauen und Sanieren ein Kernbereich des europäischen Green Deals, mit dem sich Europa das Ziel gesetzt hat, klimaneutral zu werden. Qualitativ hochwertige Sanierungen und energieeffiziente Neubauten sind die Schlüssel für langfristig wirksamen Klimaschutz. Da ist Österreich auf einem guten Weg. Allerdings sehen wird, dass aufgrund der weiterhin guten Auftragslage im Neubau eine Ausweitung der Kapazitäten der Bau- und Bauproduktewirtschaft notwendig ist. Wir brauchen zusätzlich etwa 17.000 Beschäftigte im Bausektor. Wir brauchen auch neue Lösungen wie industriell vorgefertigte Lösungen oder die Aktivierung von Bauteilen, um Heizen und Kühlen intelligenter zu machen. Hier steht ein Innovationsschub vor uns.
Was die in der Baubranche drängenden Fragen wie Fachkräftemangel oder zukunftsfähige Ausbildungen angeht, baue ich auf die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen in der Bundesregierung.
Welche Rolle spielt bei der ganzen Thematik der Energiepreis und was sind Ihre Ideen dazu? Mittlerweile werden Sie ja auch als Energieministerin bezeichnet, nicht nur als Klima- und Verkehrsministerin. Ihr Parteikollege Michel Reimon schrieb ja kürzlich: wenn alle zur gleichen Zeit das Gleiche tun wollen, führt das zu Engpässen und höheren Preisen – und er folgert daraus: der Markt kann das nicht regeln. Was kann der Markt regeln und was nicht? Wo kann und muss der Staat eingreifen und wie?
Gewessler: Die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern ist gerade jetzt mehr als spürbar für beinahe alle Menschen in Österreich. Die derzeit hohe Inflation lässt sich im Wesentlichen auf hohe Preise bei Öl, aber vor allem bei Gas zurückzuführen. Weil wir noch nicht ausreichende Kapazitäten für die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energieträgern haben, schlägt das über den bestehenden Preismechanismus auch auf den Strom durch. Das belastet die Menschen und dagegen haben wir bereits zwei Pakete in einem Umfang von etwa 4 Milliarden Euro auf den Weg gebracht. Aber es ist ja leider oft so: wenn die Sonne scheint, soll es der Markt regeln, sobald es regnet, wird gerne der Schirm des Staates gefordert, gerade von jenen, die sonst blind auf den Markt vertrauen. So ist es auch in der gegenwärtigen Gaskrise und so ist es auch in der Klimakrise. Ohne Regulierung, zB über die CO2 Bepreisung, werden die externen Kosten aus der Verbrennung von fossilen Energie nicht einbezogen werden. Obwohl die Konsequenzen wir alle tragen müssen.
Das sind alles jedes für sich genommen Riesenthemen. Gestatten Sie die Frage: Ist Ihr Ressort nicht eigentlich zu groß? In Deutschland gibt es ja seit dieser Legislaturperiode ein eigenes Bauministerium.
Gewessler: Der Kampf gegen die Klimakrise ist eine Mammutaufgabe. Dazu braucht es auch die nötigen Kompetenzen. Dass was beim Klimaschutz weitergeht, zeigen wir etwa, indem wir das Klimaticket, das Erneuerbaren Ausbaugesetz, die Evaluierung der Straßenprojekte, den massiven Ausbau der Schieneninfrastruktur und viele anderen Projekte auf den Weg gebracht haben. Wir bauen Österreich um, wir machen es schöner und lebenswerter. Für diese Aufgabe ist das Ressort gerade groß genug. Aber klar ist auch: Transformation ist eine Aufgabe für alle Ressorts. Gerade was die in der Baubranche drängenden Fragen wie etwa Fachkräftemangel oder zukunftsfähige Ausbildungen angeht, baue ich auf die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen in der Bundesregierung.