Europa | Normen : EuGH entscheidet: keine Paywall für harmonisierte Normen
Dürfen Rechtstexte entgeltpflichtig sein?
Der europäische Gesetzgeber setzt bei der Harmonisierung des Binnenmarktes zunehmend auf technische Normen. Ob es sich nun um NIS2, eIDAS oder die für die Musterklage ausgewählte Richtlinie über die Sicherheit von Spielzeug handelt - letztlich sind es die so genannten harmonisierten technischen Normen, die die Umsetzung spezifizieren.
Ist es aber zulässig, dass ein solcher genuiner Bestandteil eines Rechtstextes nicht oder nur gegen Entgelt öffentlich zugänglich gemacht wird? Darum ging es in dieser Frage.
"Normen sind Teil des Unionsrechts"
Genau dies bestreiten die Organisationen PublicResource.org bzw. Right to Know. Sie hatten zunächst bei der Europäischen Kommission beantragt, die betreffenden Standards einsehen zu dürfen.
In erster Instanz gab das Europäische Gericht der Kommission, dem Europäischen Komitee für Normung (CEN) und den 13 am Verfahren beteiligten Normungsorganisationen (in Österreich ist das Austrian Standards ASI) Recht. Es entschied, dass ein freier Zugang das Urheberrecht der Normungsorganisationen verletzen und ihre Finanzierung gefährden würde.
Dem widersprach der EuGH nun deutlich und stellte fest, "dass die angefochtenen harmonisierten Normen Teil des Unionsrechts sind". Insgesamt folgte die Kammer den Empfehlungen der Generalanwältin, dass Rechtsstaatlichkeit auch den freien Zugang zum geltenden Recht für jedermann erfordere.
Was hier am Beispiel Spielzeug entschieden wurde, gilt natürlich auch für die Baubranche.
Hier ein erstes Statement von Austrian Standards dazu
Kaum war die Meldung publik, holte SOLID eine Stellungnahme von Austrian Standards ein. Lesen Sie hier, was die Expertinnen und Experten aus Österreich sagen:
"Am 5. März 2024 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) sein Urteil im Fall C-588/21 P bezüglich des öffentlichen Zugangs zu vier harmonisierten Normen gemäß der Verordnung 1049/2001 gefällt.
Das Urteil stellt nicht in Frage, dass harmonisierte Normen dem Urheberrechtsschutz unterliegen. Jedoch stellt der EuGH fest, dass ein übergeordnetes öffentliches Interesse an der Offenlegung der harmonisierten Normen gemäß der Verordnung 1049/2001 besteht und hebt daher die Entscheidung der Europäischen Kommission auf, den Zugang zu den vier angeforderten Normen zu verweigern. Mögliche Auswirkungen für die Zusammenarbeit zwischen europäischem und internationalem Normungsgeschehen werden nun analysiert.
CEN und CENELEC, als zwei der offiziellen europäischen Organisationen für Normung (ESOs), und ihre Mitglieder – die nationalen Normungsorganisationen und nationalen Komitees in 34 europäischen Ländern wie z. B. Austrian Standards International– begrüßen, dass das Gericht dem Hauptargument der Antragsteller und der Generalanwältin nicht folgt, die vorgeschlagen hatten, den Urheberrechtsschutz für harmonisierte Normen generell auszuschließen. Das Urteil stellt auch nicht in Frage, dass der Zugang zu Dokumenten unter der Verordnung 1049/2001 unbeschadet bestehender Urheberrechtsregeln erfolgt, die das Recht Dritter einschränken können, freigegebene Dokumente zu reproduzieren oder zu nutzen.
Der Erfolg der europäischen Normung wurde durch die Fachkompetenz und freiwilligen Beiträge von engagierten Interessensträgern aus verschiedenen Bereichen wie Wirtschaft, Regierung, Verbrauchern, Handelsverbänden, Wissenschaft und Forschung ermöglicht.
Dieses inklusive System stellt sicher, dass Normen einfach umsetzbar sind, kontinuierlich an den Stand der Technik angepasst werden und weitgehend mit internationalen Normen identisch sind. Dadurch bieten sie europäischen Unternehmen eine zeitnahe und genaue Lösung für den Zugang zum Binnen- und globalen Markt, gewährleisten die Konformität mit europäischer Gesetzgebung und steigern ihre Wettbewerbsfähigkeit.
Auf dieser Grundlage wird die gesamte CEN- und CENELEC-Gemeinschaft weiterhin eng mit der Europäischen Kommission und allen relevanten Interessensträgern, die in der europäischen Normung involviert sind, zusammenarbeiten, um das System für die Zukunft fit zu machen - zum Vorteil des Binnenmarktes und der Unternehmen sowie Bürgerinnen und Bürger Europas."