Meinung : Die Lobau soll nicht Covid werden

TP Pöll
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Ich kann mich nicht erinnern, dass ich an einem einzigen Tag (eigentlich schon am Tag davor beginnend) so viele Meldungen, Stellungnahmen und Updates allein von der Austria Presse Agentur zu einem einzigen Thema erhalten habe wie am 1. Dezember zur Absage des Lobautunnel-Projekts durch Klima- und Verkehrsministerin Leonore Gewessler.

Binnen kürzester Zeit gingen in den politischen Stellungnahmen und natürlich in den Social Media-Kanälen die Wogen hoch. Von einer „gewissen Pflanzerei“ sprach etwa Wiens Bürgermeister Michael Ludwig, auch der niederösterreichische Verkehrslandesrat Ludwig Schleritzko war mehr als hörbar verschnupft, Bundeskanzler Alexander Schallenberg versuchte auf Zeit zu spielen und der in seiner Doppelfunktion als Finanzminister und Wiener VP-Landeschef zwischen Koalitionstreue und wirtschaftsbundlichem Aufschrei zerrissene Gernot Blümel erwartet „rasch Gespräche über das Projekt.“ Die Grünen sind naturgemäß samt und sonders auf der Seite ihrer zentralen Ministerin und auch die NEOS können die Entscheidung nachvollziehen (allerdings kamen Stellungnahmen bis dato eher aus der 2. Reihe).

Hier eine Zusammenfassung der Reaktionen

Und sind die politischen Fronten schon etwas unübersichtlich, sind es die juristischen noch mehr. Die Frage, ob die Verkehrsministerin ein Projekt, das im Bundesstraßengesetz steht, überhaupt absagen kann, hat die Rechtsabteilungen und Anwaltskanzleien schon in den letzten Monaten beschäftigt – allerdings eher theoretisch. Seit gestern ist die Sache durchaus praktisch und da und dort reibt man sich schon die Augen angesichts der Kompromisslosigkeit, mit der die Klimaministerin vorgegangen ist.

Mich erinnert die Diskussion – man möge mir den Vergleich verzeihen, er hinkt im Inhalt selbstverständlich, nicht aber in der Form – an vieles, was ich im Lauf der Covid-Krise wahrgenommen und gelesen habe – und vor allem nicht gelesen habe.

Denn da wie dort herrscht ein Glaubenskrieg, bei dem die Fakten wenig offengelegt werden (falls es sie so überhaupt gibt) und in dem wir uns auf Spekulationen und Projektionen verlassen müssen, die sich – Covid hat es uns gelehrt – immer wieder einmal ändern können, weil sich Situationen ändern.

Beim Match „jede Straße zieht Verkehr an“ vs. „jede Straße weniger bedeutet auf den anderen mehr Stau“ liegt der Grundfehler zum Beispiel schon im leicht zu überlesenden Wort „jede“.

Es stimmt einfach nicht, dass jede Straße insgesamt das Verkehrsaufkommen erhöht – aber es wird einzelne Straßen geben, die das tun. Dann ist auch noch die Frage: wie weit geht „insgesamt“? In diesem Fall: im 22. Wiener Gemeindebezirk? Im Einzugsgebiet der Südosttangente, die mittlerweile eine Transversale mitten durch Wien ist? Im gesamten Wien? In der Ostregion? Und es wird andere Straßen geben, die die Situation zumindest für direkt betroffene Gebiete eindeutig verbessern.

Ausdrücklich empfehlen möchte ich in diesem Fall die Lektüre des auf der Website des Klimaministeriums downloadbaren 150 Seiten langen Dokuments „Evaluierung ASFINAG Bauprogramm – Schlussfolgerungen“

Dort werden zumindest die Entscheidungskriterien offengelegt – wenn auch nicht alle Fragen mit Zahlen hinterlegt beantwortet. Aber es gibt zumindest Material, über das man reden kann.

In diesem Dokument geht es am Anfang im übrigen auch um das Thema der Zuständigkeit und des ministeriellen Auftrags. Nach diesem fragte am Abend des 1. Dezember auch Armin Wolf die Ministerin und argumentierte mit dem Bundesstraßengesetz, in dem der Bau einer Nordostumfahrung um Wien vorgesehen ist. „Das Bundesstraßengesetz wird auch nicht geändert“, sagte Leonore Gewessler, aber in dem Gesetz stünden nur Rahmen – und was dann genau gebaut wird, entscheide sie als Ministerin. Wolf: „Also sie bauen eine andere Straße?“ Gewessler: „Wir suchen gute Lösungen.“

Eine ehrliche Suche nach guten Lösungen kann man sich nur wünschen. Denn „eine Absage ohne Alternativen ist eine heikle Geschichte“, meinte der Verwaltungsrechtsexperte Peter Bußjäger im Ö1-Morgenjournal am 2. Dezember.

„Auf Basis der Ergebnisse der Evaluierung erstellt die Asfinag nun ein Bauprogramm für die nächsten 6 Jahre, welches in den nächsten Tagen an die Eigentümerin zur Einvernehmensherstellung übermittelt wird,“ heißt es aus der Asfinag zunächst offiziell zum Thema. Und man kann annehmen, dass man sich dort schon Gedanken gemacht hat und es hoffentlich zu „guten Lösungen“ kommt, die alle gemeinsam tragen können und die die Gesellschaft in ihrer Vielfalt einen und nicht spalten.

Denn von Spaltung hätten wir wahrlich genug.