SOLID 04/2021 : Bis zum Himalaya - die Strabag und ihre ungewöhnlichen Märkte
Wenn man die ganze Welt bespielt, hat man vor allem einen großen Vorteil, sagt Strabag-CEO Thomas Birtel: „Die Erfahrung lehrt: selbst wenn alles zusammenbricht, bricht nicht alles überall gleichzeitig zusammen.“ Denn unser Gespräch über das Engagement seines Konzerns in ungewöhnlichen Märkten beginnt unvermeidlich beim allgegenwärtigen Thema Corona. „Wir haben natürlich einige Regionen, wo die Lage doch anders war als hier in unserem unmittelbaren Umfeld, wenn man etwa an Südamerika, den Mittleren Osten oder auch Singapur denkt. Da waren die Hickups aufgrund Corona doch deutlich stärker als hier in Österreich. In Deutschland auf der anderen Seite gab es überhaupt keine Unterbrechung. Die Mischung, die wir doppelte Diversifikation nennen, bewährt sich da.“
Eine Mischung, die von Birtel eingeführt wurde, vor ihm wurde ja speziell im Ausland mehr riskiert? „Das war auch eine andere Phase“, sagt er. „Es gab Wachstum und vor allem noch interessante Akquisitionsmöglichkeiten. Diese Gelegenheiten hat mein Vorgänger genutzt und solche Gelegenheiten stehen leider Gottes aus unserer Sicht jetzt schon länger nicht mehr zur Verfügung. Das liegt auch an uns, weil wir in manchem Märkten so stark gewachsen und geworden sind, dass manche Akquisitionen gar keinen Sinn mehr machen. Es liegt aber auch am Markt, weil vieles so teuer ist, dass es nicht dafür steht. Wir müssen es ja auch irgendwann verdienen. Wir sind da sicher konservativer, als wir in unserer Wachstumsphase gewesen sind.“
Tunnelbau im Himalaya: Spezialsparte mit hohem Umsatz
Dennoch ist die Strabag nach wie vor in Märkten unterwegs, die zumindest geografisch weit weg von den Kernmärkten sind. In Indien etwa finishte man erst im vergangenen Herbst die Untertunnelung des Rohtang-Passes im Himalaya auf 3.100 m Meereshöhe (siehe Kasten „Extreme Challenge“). Thomas Birtel: „Das Projekt ist ein Spezifikum unserer Sparte Tunnelbau und hat mit Indien als Markt wenig zu tun. Die Sparte ist global, weil es relativ wenige und wenn, dann sehr große und anspruchsvolle Projekte sind, die in dieser Sparte ausgeschrieben werden. Wenn man da eine gewisse Größe haben will, braucht man dazu die Leute, die bereit sind, global tätig zu sein. Das ist heute nicht selbstverständlich.“
Das Rohtang-Projekt war auch von der Geologie her besonders und gilt für den Strabag-Chef gar nicht so als „Projekt in einem Markt“: „Es ist weniger ein indisches Projekt als ein besonders anspruchsvolles Projekt, das eben in Indien liegt.“
Man könne Rohtang eher mit einem 74 km langen Tunnelsystem in Chile vergleichen, das letztlich ein unterirdisches Wasserkraftwerk ist. „Für Projekte dieser Größenordnung haben wir eben Referenzen und Kapazitäten, mit denen wir uns in solchen global ausgeschriebenen Projekten im Wettbewerb durchsetzen können.“
Personalmäßig folgen solche Aufgaben alle demselben Strickmuster: Das gewerbliche Personal kommt von vor Ort, aber das technische Schlüsselpersonal ist im Tunnelbau mehrheitlich österreichisch oder kommt – etwas schwächer ausgeprägt – von Züblin aus Stuttgart, die beiden teilen sich die Konzernwelt im Tunnelbau auf.
Die Tunnelbausparte ist dabei mit einer Bauleistung von ca. 1 Mrd. EUR und ca. 9000 Mitarbeitern) für ca. zehn Prozent des Gesamtwerts im Auftragsbestand verantwortlich. Die großen Konkurrenten sind dabei die Tunnelsparten der anderen Großen von Vinci abwärts, auch der österreichische Marktbegleiter Porr spielt eine Rolle. Für Spezialfirmen bietet der Markt keinen Platz. Als Österreicher hat man beim Tunnelbau Vorteile aufgrund der topografischen und geologischen Erfahrung. Birtel: „Das hat ja mit der Neuen Österreichischen Tunnelbaumethode sogar einen Namen. Ich kenne keine andere Technologie, die nach einem Land benannt wäre.“
Projektmärkte und stehende Organisationen
Das Rohtang-Projekt sticht aus einer Reihe in den letzten Jahren bekannt gewordenen Projekten in Ländern wie Chile, Oman, Singapur etc. heraus. Abseits der Querschnittmaterie Tunnelbau arbeitet die Strabag hier auf zwei unterschiedliche Arten, erklärt Thomas Birtel: „Das bei uns Internationales Geschäft genannte Geschäft ist alles, was außereuropäisch ist. Es macht aber von der Größenordnung her deutlich unter zehn Prozent unserer Jahresleistung aus. In Mittel- und Osteuropa sehen wir ja über die nächsten Jahrzehnte durchaus noch weitere nachhaltige Wachstumschancen. Außereuropäisch muss man unterscheiden zwischen dem, was wir Direct Export nennen – da gehen wir rein projektbezogen in ein Land hinein und auch dann wieder heraus, zum Beispiel eben der Rohtang-Tunnel -, und dem zweiten Standbein jener außereuropäischen Märkte, in denen wir eine stehende Organisation haben. Das ist nicht flächendeckend und hängt in der Regel an bestimmten Aktivitäten – wie etwa Chile, wo wir als Züblin seit mehr als 30 Jahren in der Kupferindustrie Minenbaugeschäft machen. Im Oman ist es ähnlich – dort haben wir auch eine eigene Gesellschaft, machen aber nur Infrastruktur, also keinen Hochbau. Ein drittes Beispiel ist Singapur: auch eine stehende Organisation, die aber dort vornehmlich im Wasserbaubereich tätig ist.
Dazu kommen dann die genannten Einzelprojekte wie der Rohtangpass, aber auch Straßenbauprojekte in Ostafrika in der Republik Niger, wo interessanterweise ein Projekt nach deutschen Richtlinien ausgeschrieben war und wir uns aufgrund dessen auch durchsetzen konnten. Aber überall dort werden wir ziemlich sicher wieder rausgehen.“
Die Hälfte des außereuropäischen Umsatzes wird dabei über Direct Export, die andere Hälfte über stehende Organisationen gemacht – alles ausschließlich im Infrastrukturbereich, denn Hochbauprojekte „sind vom technischen Anspruch nicht so, dass unser naturgegebener Kostennachteil kompensiert werden könnte“ und Europäische Expats sind eine teure Ressource.
Wie steht es mit den Entwicklungschancen in europäischen Märkten, fragen wir – wo sind die Chancen am größten? „Das größte Einzelpotenzial hat sich ja schon materialisiert, wird aber noch die nächsten zehn Jahre auf diesem Niveau bleiben – das ist paradoxerweise mit Deutschland ein ganz alter Markt. Dort ist ja 2016 der Verkehrswegeplan aufgelegt worden, um die Infrastruktur zu sanieren. Das hat uns seit 2017 hohe Wachstumsraten im Straßen- und sonstigen Infrastrukturbau in Deutschland beschert.“ Das Hochfahrlevel wurde 2019 erreicht und man erwartet sich keine zusätzlichen Wachstumsschübe mehr gegenüber den zweistelligen Wachstumsraten der Jahre davor. „Aber dieses hohe Niveau von 2019 werden wir bis 2030 auch halten – so lange läuft der Plan. Der Bedarf ist da, das Geld ist da, Corona spielt da gar keine Rolle.“
Im restlichen mittel- und osteuropäischen Raum gibt es aber laut Birtel sehr wohl noch Raum für Wachstum, beispielsweise in Rumänien oder Bulgarien, wo der Bedarf noch sehr groß ist. Andere wie etwa Kroatien, Slowenien haben schon viel getan, Länder wir Ungarn und Polen fallen in beide Kategorien.
Das große Thema in diesen Märkten ist natürlich die Finanzierung, da alles mit hohen Prozentsätzen aus Brüssel gestützt wird. Daher müsse man dort erst sehen, ob der Brexit Kollateralschäden verursacht. „Wir bauen aber schon darauf, dass die Länder sich dann etwas anderes einfallen lassen wie beispielsweise PPP-Projekte.“
In all diesen Märkten ist die Strabag lokaler Player - lange aktiv mit flächendeckenden lokalen Organisationen ohne Expats. Es sind Länder mit guten Ingenieuren (und auch Medizinern), das war schon zu sozialistischen Zeiten so. „Wir haben ja selbst die Erfahrung auch in Russland oder auch in Sofia in Bulgarien, dass wir da teilweise Truppen haben, die für Aufträge in anderen Konzernländern arbeiten, weil sie gleichzeitig relativ preiswert sind und hohe Qualität haben. Das gilt auch für IT-Spezialisten.“
Und die Facharbeiter in diesen Ländern? „Die gibt es zwar, aber wir haben das Phänomen ganz gewaltiger Lohnsteigerungen. Das ist zwar kein Wettbewerbsnachteil, weil es ja alle im Markt gleichermaßen trifft, aber man muss aufpassen, dass man mit der Kalkulation richtig liegt.“ Der Aufholprozess durch die EU-Mitgliedschaft hat „für die Arbeitnehmer seine positiven Seiten, birgt für die Unternehmen aber ein bisschen ein Stressszenario. Das sind wir ja aus Österreich nicht mehr gewohnt.“
Der Bau des 8,8 km langen Rohtang Pass Highway Tunnels war selbst für die österreichischen Tunnelspezialisten eine besondere Herausforderung.
Kein Wunder: Gelten die Arbeitsbedingungen in der relativ abgelegenen Region doch als besonders anspruchsvoll. Wie anspruchsvoll, kann man vielleicht an der Tatsache ermessen, dass das sich in dem Team der ARGE 15 Leute mit alpiner Ausbildung befinden, die auch tatsächlich schon zur Tat schreiten mussten: Zweimal mussten Angehörige des Militärs nach abgegangenen Lawinen aus Bergnot befreit werden.
Der am 3. Oktober 2020 fertiggestellte Tunnel ersetzt die gefährlichste Strecke der einzigen Straßenverbindung in die nordindische Grenzregion der Provinz Himachal-Pradesh, den Manali-Leh-Highway, nämlich die Überquerung des Rohtang Passes. Die heftigen Schneefälle und starken Stürme in dieser Region sind der Grund dafür, dass die Ortschaften nördlich des Passes während der Wintersperre jedes Jahr mindestens vier, oftmals sogar sechs Monate vom Rest des Landes abgeschnitten waren.
Mit der Öffnung des Rohtang Tunnels auf ca. 3.100 m über dem Meeresspiegel, wurde der Manali-Leh-Highway eine ganzjährig befahrbare Straße. Damit wird eine erhebliche Verbesserung der wirtschaftlichen Entwicklung der nördlichen Provinz ermöglicht.