SOLID 09/2020 : Bauen mit der Dropbox
Digitalisierung am Bau: das war einmal ein riesiges Konzept, das man fertig entwickeln würde müssen und bei dem dann Baustellen wie am Schnürchen von der 3-D-Planung bis zur Fertigstellung perfekt kontrollierbar und effizient durchlaufen würden - mit großen Anleihen bei anderen industriellen Fertigungsprozessen, vor allem der Autoindustrie als Vorbild.
Mittlerweile hat sich die Erkenntnis breit gemacht, dass Digitalisierung aus vielen kleinen, pragmatischen, miteinander zu verknüpfenden Schritten bestehen muss, wenn sie gelingen soll. Das irgendwann erträumte riesige Ganze wird es möglicherweise nie geben – und dazu kommen verschiedene Bauspezifika wie immer wechselnde Kombinationen und Konstellationen der beteiligten Firmen und die jeweiligen Eigenheiten jeder einzelnen Baustelle. Häuser sind eben keine Autos und eierlegende Wollmilchsäue haben in der Bauwirtschaft schlechte Lebensbedingungen.
Beim aufgrund seiner Optik und seines Umfangs prominenten Bauprojekt Triiiple in Wien ließ uns die Strabag einen tiefen Blick in ihre Praxis der Baustellendigitalisierung werfen – mit all ihren Elementen, den Erfolgen und auch mit den Trials-and-Errors.
Was als erstes auffällt: Es ist ein ziemlich junges Team, das uns im Besprechungsraum (unter Einhaltung der nötigen Abstände) im Baubüro gegenübersitzt.
Projektleiter ist Christoph Kosch, 39, seit seinem Studienabschluss 2007 fix bei der Strabag, seit 2010 Bauleiter bei diversen Hochbauprojekten. Der Leiter der gesamten Abteilung ist Walter Haberfellner (36), dazu kommen Baustellenconsultant Sebastian Plihal (25) und andere sehr frisch wirkende Kräfte.
Begonnen mit dem Projekt Digitalisierung beim triiiple hat man ca. 2018 bei Baustellenstart, sagt Christoph Kosch. „Es war das erste österreichische Projekt, das vom neuen Strabag-internen Service Baustellenconsulting begleitet wurde. Unsere grundlegende Idee war: wir wollen keine Einheit sein, die irgendwo in einem Büro untergebracht ist und im Fall von Problemen angerufen werden kann, sondern wir wollen wirklich beim Projekt vor Ort sein, damit es kurze Kommunikationswege gibt und wir auch sehen, wie das Projektteam arbeitet.“ Entscheidend sei dabei die Möglichkeit, sowohl von Personen als auch durch Beobachtung schnell Feedback einholen zu können, ob und wie die versuchten Dinge funktionieren und dient der direkten und schnellen Unterstützung der operativen Teams.
Das Ziel, ergänzt Walter Haberfellner, ist im Endeffekt die Steigerung des Digitalisierungsniveaus auf allen österreichischen Baustellen. „Mit der Dienstleistung „Baustellenconsulting“ haben wir in Deutschland schon in zahlreichen Pilotprojekten (z.B. das Axel-Springer-Haus in Berlin, Anm.) gute Erfahrungen gemacht. Das Triiiple wurde zum Start-Projekt, da wir hier das Zusammenspiel von diversen Tools testen konnten und darauf aufbauend im Idealfall ein passendes Toolset auch auf andere Baustellen übertragen können.“
Projektmanagementplattform vom Auftraggeber
Walter Haberfellner erklärt die Vorteile des pragmatischen und flexiblen Zugangs: „Wir sind bewusst nicht den Weg gegangen, eine eierlegende Wollmilchsau oder etwas anderes Raketenwissenschaftliches auf die Baustelle zu bringen. Zuerst schauen wir, welche Rahmenbedingungen vorliegen – in dem Fall eine vom Auftraggeber beigestellte Projektplattform (Conject, Anm.d.Red.). Im nächsten Schritt gilt es dann, mit diesen Rahmenbedingungen so zu arbeiten, dass wir für die ganze Baustelle den größten Nutzen erzeugen.“
Christoph Kosch: „Solche Vorgaben gibt es vom Auftraggeber, aber auch vom Konzern – etwa ein Programm für das Mängelmanagement, das bei jedem Projekt verwendet werden muss, ebenso muss die zentrale Archivierung sichergestellt werden.“ Das Mängelmanagementprogramm ist deshalb wichtig, damit man Erfahrungswerte aus vergangenen Projekten direkt in die Planung und Kalkulation zukünftiger Aufgaben einfließen lassen kann.
Mobile Cloudlösung als omnipräsentes Tool
Eine zentrale Rolle beim Triiiple-Baustellenconsultingprojekt nimmt ein Tool ein, das viele schon aus den Zeiten vor Corona gut kennen und wahrscheinlich noch besser kennen gelernt haben: die Dropbox (wenn auch in spezieller Form). Teammitglied Sebastian Plihal: „Am Triiiple haben wir bewusst gesagt, dass wir unsere gesamte Dokumenten- und Planablage in einem Cloudspeicher mobil zur Verfügung haben wollen und somit den Nachteil mächtiger Projektmanagement-Plattformen ausgleichen wollen. Ein Vorteil der Strabag-eigenen Dropbox ist, dass man auch mobil leicht überall auf die aktuellen Daten zugreifen kann und sich nicht ständig über den Webbrowser einloggen muss. In diesem Fall ist die Einfachheit der Schlüssel zur Lösung.“
Mit dem mobilen Clouddienst sowie der Projektmanagementplattform erfolgt die gesamte Datenspeicherung und anschließende Archivierung. Andere Systeme werden nicht mehr benötigt. Haberfellner: „Es handelt sich dabei natürlich nicht um die Standard-Dropbox, wie sie dem Privatanwender zur Verfügung steht. Bei der Strabag-Dropbox gibt es da vor allem andere Vorgaben und Routinen bezüglich Datensicherheit.“
Ein Thema dabei bleiben allerdings Synchronisierungskonflikte, wenn zwei Anwender gleichzeitig eine Datei öffnen und darin arbeiten. Manchmal wird auch die maximale Anzahl an Dokumenten in einem Ordner erreicht.
Kosch: „Wir bringen dabei die Cloudlösung an ihre Limits, aber wir konnten am Entwicklungsprozess teilhaben und dadurch die Weiterentwicklung für uns sinnvoll zu beeinflussen.“
Beim triiiple wäre man allerdings durch das große Projektteam in einer untypischen Situation. Bei vielen anderen kleineren Baustellen kann das Thema der Konfliktdateien und der zu hohen Anzahl an Dokumenten entsprechend seltener auftreten.“
Als großen Vorteil der Dropbox sieht Sebastian Plihal, „dass wir Ordner offline zur Verfügung stellen können – wenn Poliere zB irgendwo im dritten Untergeschoß sind, können sie trotzdem auf die Pläne zugreifen.“
Mit den Schnittstellenexperten wurde überdies die Verbindung zwischen Projektplattform und Cloudspeicher und damit unter anderem eine automatische Synchronisation der Pläne in die Cloud geschaffen. Kosch: „Wir sind damit nicht mehr abhängig davon, dass der Techniker verlässlich die Pläne ablegt und verteilt: der Projektleiter und auch die Poliere haben so alle vier Stunden über die automatisierte Refresh-Funktion immer den aktuellen Planstand.“
Pläne, die nicht mehr aktuell sind, werden (mit der Sicherheitsstufe eines History-Ordners) gelöscht. „Durch die Anbindung des Cloudspeicher an die Projekplattform können wir alle Freigabepläne direkt auf unsere Tablets synchronisieren. Nicht mehr aktuelle Pläne werden vom System automatisch verschoben, Fehler infolge veralteter Planstände so ausgeschlossen“.
Dieser Cloudspeicher befindet sich nach dem erfolgreichen Einsatz in Deutschland und beim Triiiple jetzt im Strabag-Werkzeugkasten für digitale Tools für jede Baustelle und ist „eine grundsätzliche Empfehlung von uns für alle Baustellen im Hochbau“ (Haberfellner). „Ausnahmen von diesem Werkzeugkasten gibt es immer – wie in diesem Fall, wenn die Projektplattform vom Bauherrn kommt-, aber jeder Mitarbeiter der Strabag im Hochbau in Wien und Wien Umgebung hat jetzt EIN Tool und muss nicht mehr lange nachdenken. Es braucht eine klare Richtung und einen bestimmten Standard. “
Das sei deshalb wichtig, weil Bauleiter theoretisch einige hundert mögliche Anwendungen vor sich, die sie alle aus dem Web herunterladen und verwenden können „und unsere Aufgabe ist zu sagen: Hier gibt es eine bestimmte Auswahl an Tools, die für euch abgestimmt und vorkonfiguriert ist und auch gewartet wird.“
Welche Rolle spielt klassisches BIM?
Da das Triiiple schon seit Beginn auch ein BIM-Projekt ist, hat die Strabag im Paket auch einen mobilen Modell-Viewer im Einsatz. Das 3-D-Modell wurde davor von der eigenen BIM-Abteilung in Revit modelliert. Durch den Viewer kann jeder Kollege und jede Kollegin auf der Baustelle mobil vom Handy oder Tablet auf das BIM 5D®-Modell zugreifen und auch virtuell durch das Objekt wandern.
Ursprünglich gab es sehr ehrgeizige Pläne mit dem Viewer, diese wurden dann aber fallen gelassen. Durch die Vorgabe seitens des Bauherren, was das Tool für Aufgaben- und Mängelmanagement betrifft, hätte es etwa keinen Mehrwert gebracht, das Mängelmanagement im Modell zu verorten. „Es geht ja letztlich darum, ein Haus zu bauen und nicht ein 3-D-Modell perfekt nachzustellen.“
Das Tool (Dalux, Anm.) wäre aber ein mächtiges Werkzeug und da möchte man auf jeden Fall dran bleiben. Haberfellner: „Wir könnten z.B. das gesamte Mängelmanagement im BIM-Modell abwickeln, sind uns aber noch nicht sicher, ob dies überall notwendig ist bzw. den gewünschten Mehrwert bringt. Bei BIM-AR Kombinationen sehen wir derzeit mehr Potenzial.“
Kosch: „Wichtig war und ist die Flexibilität, die Themen so zu betrachten, dass man die Software auf ihre Zweckmäßigkeit im Hinblick auf die Themen auswählt und dann vielleicht auch wieder verwirft oder nur einen Teil davon verwendet. Wir sind auch mutig genug zu sagen: das haben wir ausprobiert, aber es hat nicht funktioniert. Dieser Zugang ist alles andere als selbstverständlich.“
So wurde etwa auch die Verwendung eines ins Auge gefasstes Tool zur digitalen Betonbestellung für dieses Projekt verworfen („Es muss ja am Ende des Tages eine Erleichterung sein“), mittlerweile ist das Werkzeug allerdings weiterentwickelt worden und bleibt interessant.
Bei Mängelmanagement zwei Phasen
Beim Triiiple wurde für das Mängelmanagement dann letztlich eine Kombination der vom Bauherrn bzw. der ÖBA beigestellten Lösung (Planradar, Anm.) mit der im Konzern gebräuchlichen verwendet, getrennt nach Projektphasen. Planradar hat Vorteile in Usability und war und ist für die Ausführungsphase gut, in der Gewährleistungsphase werde man wieder auf das eigene Produkt für Gewährleistungsmängel wechseln. „Hier haben wir ein sehr mächtiges und rechtslastiges Tool, das eigentlich aus Deutschland kommt, sich aber bei uns bewährt hat, weil man darin entsprechende Auswertungen fahren kann und Gewährleistungen über mehrere Projekte hinweg sofort in die Kalkulation neuer Projekte bringen kann.“
Kommunikation und Projektarchiv
Länger getüftelt hat die Strabag-Mannschaft an der Verbindung des eigenen Projektarchivs mit Conject. „Hier hat Conject zum Glück den Vorteil, dass man direkt über unsere Systeme antworten kann. Dazu kam eine automatische Weiterleitung aus Conject hin zu unserem Projektarchiv sowie Mailprogramm, so dass auch der Empfang funktioniert.“
Die reine Projektkommunikation passiert im auf Lotus Notes basierenden Strabag-eigenen Archivierungs- und Maildienst. Dieser kanalisiert über seine Verteilfunktionen die E-Mail-Flut. Kosch: „Bei vielen Großprojekten wird ja der Fehler gemacht, dass man glaubt, jeder muss alles wissen und lesen.“
Für die Outlook-Adressen der Strabag-Mitarbeiter gibt es ebenfalls eine projektbezogene Schnittstelle in zum Archivierungs- und Maildienst. Plihal: „Es darf nicht passieren, dass ein projektbezogenes Mail an eine persönliche Mailadresse geht und im Fall einer Abwesenheit untergeht. Da es weitergeleitet wird, kann es aber bearbeitet werden.“ Dabei tritt dann auch der eigentliche Absender als Absender auf – anders als bei einer herkömmlichen Weiterleitung.
In der Folge habe es auch Gespräche mit dem Anbieter der Projektplattform bezüglich einer eventuellen Weiterentwicklung gegeben. Das Resultat war, dass auch der Einkauf und bestimmte Dokumentationen darüber abgewickelt werden könnten. Das wurde zwar beim Triiiple aus Zeitgründen nicht mehr schlagend, sei aber im Sinn des Baukastensystems „ein Learning für allfällige zukünftige Projekte“.
Der Schneeballeffekt des Funktionierenden
Insgesamt, so die Projektbeteiligten unisono, habe sich vor allem die massive Unterstützung auf der Baustelle als sehr wichtig erwiesen. Plihal „Es ist mehr Vertrauen und Verständnis entstanden, als wenn wir in der Zentrale sitzen und nicht wissen, wie stressig die Situation auf der Baustelle gerade ist. Da kommt es dann leicht zu Fehlinterpretationen. Wir konnten so auch gut sehen, was dem Projektteam wirklich etwas bringt.“
Und Walter Haberfellner fasst seine Eindrücke zusammen: „Wir nehmen von hier mit, dass wir auch mit mehreren Tools einen immensen Impact schaffen können. Wir müssen nicht die eierlegende Wollmilchsau suchen, sondern eher im Gegenteil. Wir haben es mit Menschen zu tun und die haben alle einen unterschiedlichen digitalen Level. Da schaffe ich mit vergleichsweise einfachen Maßnahmen schnell einen Mehrwert und hole alle dort ab, wo sie sind. Der Sprung von einer Dropbox in eine große Projektplattform ist relativ klein. Wenn ich demgegenüber einem Polier eine große Projektplattform mit allen möglichen Bestandteilen zur Verfügung stelle, fällt diesem unter Umständen die Orientierung schwer.
Längerfristig wollen wir natürlich schon etwas Größeres, aber jetzt geht es einmal darum, den digitalen Level zu heben und in der Folge dann, diesen sukzessive zu heben.“
Dieses Moduldenken sei auch wichtig, weil die Baufirma nicht die erste in der Wertschöpfungskette ist und projektweise auch Vorgaben von Seiten Bauherr oder ÖBA kommen, denen man gerecht werden und an die man andocken können muss.
Haberfellner: „Wir haben beim Triiiple nicht „großartig“ etwas erfunden, sondern einfach den Leuten bei ihrer Arbeit geholfen.“ Man setze auf den Schneeballeffekt des Funktionierenden statt Raketenwissenschaft. Projektleiter Kosch: „Man muss geerdet bleiben und da sind wir alle auf einer Linie. Wir sind ein sehr junges Team und wuch wenn wir jetzt bei dem einen oder anderen Thema vielleicht Lehrgeld bezahlen, sind wir auf einem sehr guten Weg, von dem wir lange etwas haben werden.“ Haberfellner: „Und wir haben etwas vorzuweisen.“