SOLID 02/2021 : ARE-Chef Weiss: "Es geht um vollintegrierte Nutzung!"
SOLID: Die ARE hat 2021 als sehr prominentes Projekt das „Village im Dritten“ neben dem Wiener Hauptbahnhof in Arbeit. Was ist das Besondere daran?
Hans-Peter Weiss: Village im Dritten ist mit 11,5 Hektar und 190.000 m2 Wohnentwicklungsfläche das größte innerstädtische Entwicklungsprojekt in Wien, das wir als ARE jetzt beginnen. Es ist auch deshalb ein wichtiges Projekt, weil es beispielhaft für das steht, was wir in der ARE als Entwicklungsschwerpunkt haben: vollumfängliche und vollintegrierte Stadtteilentwicklung mit Wohnen inklusive Sonderwohnformen, mit Bildung, mit gewerblicher Nutzung und Grünraum in bedeutender Größe.
Wie groß ist der Anteil des geförderten Wohnbaus?
Weiss: Über 40 Prozent des Wohnbereichs wird geförderter Wohnbau sein. Die Flächen dazu haben wir über ein Jahrzehnt lang entwickelt; die fertig entwickelten Baufelder haben wir jetzt an den Wohnfonds Wien weitergegeben. Übrigens auf Basis einer Vereinbarung, die wir vor vielen Jahren, lange vor der bekannten Änderung der Wiener Bauordnung, geschlossen haben. Der Wohnfonds sucht nun Umsetzungspartner, die Bauträgerwettbewerbe dafür laufen bereits.
Wie sieht außer den 190.000 m2 Wohnbau die restliche Aufteilung aus?
Weiss: 40.000 m2 entfallen auf Gewerbe und Büro; die zwei Bildungsstandorte werden auch über 20.000 m2 umfassen.
Wie bekommt man bei einem Projekt, das doch über einen sehr langen Zeitraum geht und wo sich auch die Rahmenbedingungen wie Grundstückskosten, Förderungsanteile und -grenzen, Schwellenwerte etc. laufend ändern, die Balance und den Mix gut hin?
Weiss: Bei Village im Dritten haben wir die gedeckelten Grundstückskosten für den geförderten Anteil zum Zeitpunkt der Vereinbarung mit dem Wohnfonds vertraglich fixiert. Das ist in etwa zehn Jahre her. Seither hat sich am Grundstücksmarkt einiges getan. Und natürlich muss der nicht geförderte Teil einen überproportionalen Teil der Entwicklungsleistung tragen. Das Verhältnis der beiden Finanzierungsformen ist ein Verhandlungsergebnis mit dem Wohnfonds und der Stadt Wien. Im Zuge der Entwicklungsüberlegungen wurde das Schritt für Schritt konkretisiert. Wir haben als dritte Kategorie in unserem Bereich das sogenannte „preiswerte Wohnen“ etabliert. Dabei haben wir uns mit der Stadt auf einen gedeckelten Mietzins verständigt. Das war insgesamt ein fordernder aber auch äußerst konstruktiver Prozess.
Jetzt schießen Stadtquartiere – zumindest hier in Wien – im Moment gefühlt fast wie die Schwammerln aus dem Boden. Warum ist das so und gibt es überhaupt noch einen anderen Weg für Stadtentwicklung?
Weiss: Ganz bedeutende Themen für zukünftige Stadtteilentwicklungen sind die Energieversorgung und die Verkehrserschließung. Bei Village im Dritten – das früher Eurogate hieß – sind wir gerade dabei, uns gemeinsam mit Wien Energie ein wirklich spannendes Konzept zu überlegen, wie wir dort möglichst autonom sowohl eine Wärme- und Kälte- als auch Stromversorgung schaffen können. Dabei wird überlegt, eine breite Palette an möglichen Energieproduktionsformen zu schaffen und im Sinne der Nutzerinnen und Nutzer zu kombinieren. Das beginnt bei Geothermie und endet am Dach bei den PV-Anlagen. Dazwischen ist viel Optimierungssoftware gefragt und in Arbeit.
Beim Stichwort Quartiersentwicklung reden wir generell von sehr unterschiedlichen Größen. Die Palette reicht dabei von einer Handvoll Immobilien bis hin zu Projekten mit einem Umfang wie die Seestadt Aspern. Gemeinsam ist diesen Projekten der ganzheitliche Ansatz, der sich im Lauf der Jahre auch bei uns weiterentwickelt hat. Das funktioniert heute ganz anders als bei Großentwicklungsprojekten vergangener Jahrzehnte, bei denen es häufig um einzelne, sehr spezifische Nutzungskategorien ging. Darüber hinaus und drum herum hat man sich wenig Gedanken gemacht. Beispiele waren die bekannten "Schlafstädte" oder große Bildungsstandorte, die an Wochenenden und in den Ferien wie ausgestorben sind.
Nun geht der Weg ganz klar Richtung vollintegrierte Nutzung: Wohnen, Arbeiten, Bildung, Nahversorgung, Freizeitgestaltung. Hier entsteht eine Nachbarschaft, die viele Bedürfnisse des täglichen Lebens abdeckt. Das gibt uns auch die Chance, übergeordnete Ziele zu erreichen, wie das einer wirklich nachhaltigen Nutzung unserer Stadtteile. Die Wege werden kürzer, Energieversorgung wird wirtschaftlicher, weil man durch die unterschiedlichen Nutzungsformen nicht nur einen Wechsel von Kulminationen und Totalabsenkungen hat. Schließlich ist es ja auch eine Frage der Investitionen, die eine Stadt für die Infrastruktur zu tragen hat und die planbar sein sollen.
Gibt es – wenn wir jetzt einmal von Wien sprechen – überhaupt noch so viele ungenutzte Flächen, die sich für Quartiersentwicklungen eignen?
Weiss: Es gibt jedenfalls noch Entwicklungs-, Verdichtungs- und Umnutzungsmöglichkeiten im innerstädtischen Bereich. Diese Möglichkeiten muss man klug nutzen.
In Wien und in Graz gibt es auch noch große Gebiete, die sich für Quartiersentwicklungen eignen. Ich sehe da genügend spannende Areale. Es geht auch darum, was man überhaupt schon auf dem Radar hat und was man vielleicht noch gar nicht als potenzielles Entwicklungsgebiet wahrnimmt. Wenn man das Thema Wohnen hernimmt, hätte man vor zehn, 15 oder mehr Jahren sehr viele Standorte, die heute als äußerst attraktiv gelten, noch überhaupt nicht so gesehen. Um genau solche Standorte attraktiv zu machen, braucht es vollintegrierte Quartiersentwicklungen. Ein Beispiel aus unserem Portfolio sind da zum Beispiel die Siemensäcker, bei denen wir zusammen mit der SozialbauAG ein sehr spannendes Projekt umgesetzt haben. Ein zweites wäre das Forum Donaustadt. Solche Projekte brauchen professionelle Entwicklung und Markenbildung und nicht allein die bauliche Umsetzung. Aber natürlich sind Grund und Boden ein endliches Gut. Auch deshalb steigen die Preise ja stetig und die Peripherie gewinnt zunehmend an Bedeutung – nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Pandemie gewinnt damit auch der Speckgürtel vom Speckgürtel an Attraktivität.
Wie viel Ihrer Aufmerksamkeit – ausgedrückt in Leistung, Umsatz oder Workforce – gehört dem Thema Stadtentwicklung?
Weiss: Allein die nüchterne Operationalisierung zeigt, welche Bedeutung das Thema Quartiers- und Stadtentwicklung für uns gewonnen hat. 2020 hatten wir als Konzern das erste Mal ein Investitionsvolumen von knapp einer Milliarde Euro – und innerhalb dieses Volumens hat die ARE mit ca. 370 Millionen einen großen Anteil. Das wird in den nächsten Jahren zumindest auf diesem Niveau bleiben, wahrscheinlich sogar noch steigen. Wir haben da in letzter Zeit großartige Teams mit entsprechenden Knowhow innerhalb des Unternehmens aufbauen können und damit auch viele neue Arbeitsplätze geschaffen.
Wie sieht es außerhalb Wiens aus?
Weiss: Unbestritten ist Graz nach dem Großraum Wien – der ja mit diversen Projekten bis Wiener Neustadt oder St. Pölten geht – die Nummer Zwei was unsere Aktivitäten betrifft. Graz ist in Relation zur Bevölkerung der Markt mit dem größten relativen Wachstum und hat gegenüber anderen Städten in Österreich den Vorteil, dass es fast in alle Richtungen wachsen kann. Die Mietpreise sind dort zum Teil noch sehr moderat. In Graz sind wir aktuell mit dem Reininghausviertel oder dem Entwicklungsprojekt in der Kirchnerkaserne an zwei sehr großen Entwicklungsprojekten beteiligt. Von der Dynamik her folgen dann der Großraum Linz-Wels und Innsbruck.
Die Baubranche erwartet sich in den Corona- und Post-Corona-Zeiten wie in und nach allen Krisenzeiten massive Investitionen der öffentlichen Hand. Was bedeutet das für Sie?
Weiss: Wir haben in den letzten Jahren aktiv vorgearbeitet, sodass wir sehr viele umsetzungsreife Projekte in der Pipeline haben. Allein im Universitätsbereich haben wir für die kommenden fünf bis sieben Jahre Projekte in einer Größenordnung von über 1,5 Milliarden in Vorbereitung. Zum Teil sind diese Projekte seitens des Ministeriums auch schon freigegeben. Im Schulbereich sprechen wir von einem Volumen, das sich in einer Größenordnung von einer Milliarde Euro bewegt. Wir werden unsere Bauvorhaben konsequent und mit Weitblick abarbeiten. Gerade über ein Unternehmen wie die Bundesimmobiliengesellschaft hat die öffentliche Hand die Möglichkeit, Investitionen und damit Impulse für die Wirtschaft zu beschleunigen, wenn es notwendig ist. Wir sind bereit.
Ändert sich eigentlich durch Corona was am Platzbedarf zB bei Bildungsbauten, aber auch im Bürobau?
Weiss: In Summe wird sich an der Menge der benötigten Quadratmeter wenig ändern. Die Digitalisierung verlangt aber nach neuen und flexiblen Lösungen, wie Räume genutzt, eingeteilt und gewidmet werden. Desk-Sharing-Modelle sehe ich eher skeptisch, vor allem, weil das Werben um die besten Arbeitskräfte voll im Gang ist. Die einzelnen Arbeitsplätze werden bei entsprechendem Home Office Anteil vielleicht kleiner, dafür brauchen wir aus Hygienegründen mehr Abstand. In Summe wird sich das meiner Einschätzung nach aufheben.