Baurecht : Änderungen bei der Werkvertragsnorm ÖNORM B 2110

Baurecht SOLID Wolf Theiss
© WEKA Industrie Medien / Johanna Kellermayr

Änderungen in fast jedem Abschnitt

Die ÖNORM B 2110 „Allgemeine Vertragsbestimmungen für Bauleistungen – Werkvertragsnorm“ liegt unzähligen Bauverträgen zugrunde und wird häufig routineartig vereinbart. Ab dem Zeitpunkt, zu dem eine neue ÖNORM B 2110 herausgegeben wird, wird oftmals automatisiert eben diese aktuelle Version bei neuen Verträgen vereinbart.
Dies gilt zum Beispiel, wenn im AGB auf die "geltende Fassung" der ÖNORM B 2110 verwiesen wird. Anders ist es, wenn in AGB ausdrücklich auf die ÖNORM B 2110:2013 verwiesen wird. In diesem Fall würde auch bei neuen Verträgen diese alte Version vereinbart werden. Auch das ist möglich, wenn die Vertragsparteien es wünschen.

In jedem Fall lohnt es sich aber, einen Blick darauf zu werfen, was genau geändert wurde und was das für die betroffenen Vertragsverhältnisse im Vergleich zu früheren Verträgen bedeutet. Nur so können die Vertragsparteien auch eine fundierte Entscheidung treffen, welches Normenwerk sie genau ihrem Vertrag zugrunde legen möchten.

Wirft man einen Blick ins Inhaltsverzeichnis der ÖNORM B 2110:2023, so zeigt sich, dass in fast jedem Abschnitt Änderungen vorgenommen wurden. Ob überhaupt und wie tiefgreifend diese Veränderungen sind, zeigen wir in diesem Beitrag auf.

Wesentliche Änderungen laut Austrian Standards

Austrian Standards selbst nennt als wesentliche Änderungen im Vergleich zum Vorgängerdokument die folgenden Punkte:

4.2.2 wurde neu strukturiert.

5.8 „Rücktritt vom Vertrag“ wurde überarbeitet.

6.5.2 „Fixgeschäft“ wurde ersatzlos gestrichen.

Die Thematik „Vertragsstrafe“ wurde von 6.5.3 nach 11.3 „Schadenersatz und Vertragsstrafe“ verschoben.

In Abschnitt 7 erfolgte eine Präzisierung der einzelnen Anforderungen an die Leistungsabweichung und ihre Folgen.

Der Abschnitt 11 „Schlussfeststellung“ wurde ersatzlos gestrichen.

5.9 wurde in einen neuen Abschnitt 12 „Streitigkeiten“ verschoben.

Der Anhang A „Value Engineering“ und der Anhang B „Bonusregelung“ wurden ergänzt.

Die normativen Verweisungen und die Literaturhinweise wurden aktualisiert.

Wenig bedeutsame Änderungen, aber …

Gleich vorweg: Im Großen und Ganzen gibt es keine bedeutsamen Änderungen. Teilweise sehen die Änderungen nach mehr aus, als sie im Ergebnis sind. Es wurden Formulierungen geändert, Umstrukturierungen und ein paar Streichungen vorgenommen. Manche Begriffe wurden ausgetauscht und Fristen von 30 Tagen auf einen Monat geändert. Dies ist bedauerlich, hätte es doch durchaus auch Potenzial für inhaltliche Klarstellungen gegeben.

Dass im Großen und Ganzen keine gewichtigen Änderungen vorgenommen wurden, bedeutet aber nicht, dass nicht bei einem bestimmten Vertrag und dem sich aus dem Bauvorhaben entwickeltem Lebenssachverhalt die Änderungen in der ÖNORM B 2110 nicht doch insgesamt zu einem anderen Ergebnis zugunsten der einen und zu Lasten der anderen Vertragspartei führen können.

Im Detail: Begriffe

3.9 Leistungsziel

Statt

"der aus dem Vertrag objektiv ableitbare, vom Auftraggeber (AG) angestrebte Erfolg der Leistungen des Auftragnehmers (AN)"

Jetzt

"aus dem Vertrag objektiv ableitbarerer, vom Auftraggeber (AG) angestrebter Zweck der Leistungen des Auftragnehmers (AN)"

Hierbei handelt es sich unserem Verständnis nach primär um eine sprachliche Überarbeitung. Auch wenn Erfolg und Zweck keine identischen Begriffe darstellen, ist nicht ersichtlich, dass diese Änderung sinnverändernd wäre.

3.10 Zusatzangebot


Aus der Überschrift Mehr- oder Minderkostenforderung; Zusatzangebot. MKF wurde der Begriff "Zusatzangebot" gestrichen.

Hier wurde unserem Verständnis nach die Überschrift an die Begriffsdefinition angepasst. Diese lautet unverändert "Forderung eines Vertragspartners auf terminliche und/oder preisliche Anpassung des Vertrages". In diese Definition passte das Zusatzangebot nicht, weil es eben ein weiteres Angebot darstellt und nicht eine Forderung auf eine Anpassung des Vertrages. Es war daher konsequent, diesen Begriff zu streichen.

3.11 Mengen- und Leistungsansatz


Statt

kalkulatorischer Ansatz für Materialbedarf, Lohn- und Gerätestunden sowie Fremdleistungen je Positionseinheit

Jetzt

kalkulatorischer Ansatz für den Einsatz oder Verbrauch eines Produktionsfaktors (Personal, Material, Betriebsmittel usw.) je Positionseinheit

Die neue Definition ist weniger einschränkend und kann mehr Faktoren abdecken als die ursprüngliche Definition.

3.16 Value Engineering


Dieser Begriff wird neu definiert:

Verfahren zur Behandlung alternativer Ausführungsvorschläge des Auftragnehmers (AN) nach Vertragsabschluss

im Detail: Verfahrensbestimmungen

4.1 Allgemeines

Generell waren bisher und sind es nach wie vor gemäß Pkt. 4.1 bei Ausschreibungen und bei der Erstellung von Angeboten unter anderem die ÖNORM Serien B 22xx und H 22xx zu beachten. Dies wurde nunmehr insofern konkretisiert, als diese ÖNORMEN in der Folge einzeln genannt werden.

Das ist zwar benutzerfreundlicher, aber birgt die Gefahr, dass unklar ist, was nun gilt, wenn zwischenzeitig eine neue ÖNORM der Reihe B 22xx oder H 22xx hinzukommt, die eben in der ÖNORM B 2110 nicht genannt wird.

4.2. Hinweise für die Ausschreibung


Pkt. 4.2.2 „Angaben“ ist der erste von den Verfassern der ÖNORM B 2110:2023 als wesentliche Änderung bezeichnete Punkt. Dieser Punkt wurde insofern umstrukturiert, als er eine Gliederung erfahren hat, die jeweils Unterpunkte hat. Bisher wurden die notwendigen Angaben in einer einfachen Liste dargestellt.

Im Detail: Vertrag

Allgemeines

Bis auf die nachstehend gesondert angeführten Pkt 5.2.6 und 5.8 wurden in Pkt. 5 nur kleinere Änderungen, die eher sprachlicher Natur und für den Inhalt des Vertrages nicht relevant sind, durchgeführt.

5.2.6 Informationsrechte der Vertragspartner


Dieser Punkt wurde neu eingeführt. Demnach sind die Vertragspartner verpflichtet, auf Verlangen alle Informationen zur Verfügung zu stellen, die zur Überprüfung der Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen an die eingesetzten Baumaterialien bzw. Bauteile erforderlich sind.

5.8 Rücktritt vom Vertrag


Dieser Punkt wurde einerseits umstrukturiert (neu nummeriert) und andererseits auch inhaltlich überarbeitet.

So kann der Rücktritt vom Vertrag nunmehr bereits erklärt werden, wenn ein großer Teil der Leistung untergegangen ist, während nach der Vorgängerversion die "bereits erbrachte" Leistung untergegangen sein musste (5.8.1 a)). Diese Änderung erweitert also die Rücktrittsmöglichkeit vom Vertrag. Im Einzelfall kann die Änderung daher einen großen Unterschied bewirken und einer Vertragspartei die Beendigung des Vertrages ermöglichen, die zuvor nicht möglich gewesen wäre. Was genau "ein großer Teil" ist, ist aber selbstverständlich diskussionswürdig und insofern wird diese Änderung auch zu mehr Streit führen können.

In Pkt. 5.8.1.f) (vormals 5.8.1.6) wird der Begriff "Behinderung" gestrichen. Es ist daher nunmehr irrelevant, welchen Grund es hat, dass eine wesentliche Leistung länger als 3 Monate nicht erbracht werden kann, sofern der zurücktretende Vertragspartner sie nicht zu vertreten hat. Der Begriff Behinderung wurde allerdings nur an dieser Stelle aus der ÖNORM B 2110:2023 entfernt und nicht generell.

Geändert wurden auch die Fristen, binnen derer der Rücktritt erfolgen muss. Während bisher für alle Rücktrittsgründe, außer jenen der Behinderung, eine Frist von 30 Tagen galt, wird nunmehr differenziert.

Bei den Rücktrittsgründen a) bis d) muss der Rücktritt binnen eines Monats erfolgen. Neu ist die längere Frist von zwei Monaten für den Rücktrittsgrund e).

Im Detail: Leistung, Baudurchführung

In diesem Punkt wurden einige Umstrukturierungen vorgenommen, ohne dass sich daraus große inhaltliche Veränderungen ergeben würden.

Hervorzuheben ist, dass bei der Prüf- und Warnpflicht (Pkt. 6.2.4) von einer schriftlichen Verständigung abgegangen wird und stattdessen eine Mitteilung ausreichend ist. Nichtsdestotrotz ist aus Beweisgründen nach wie vor zu empfehlen, derartige Warnungen schriftlich zu machen und wird dies nunmehr auch von der ÖNORM B 2110:2023 im neuen Pkt. 6.2.4.6 empfohlen ("Mitteilungen sollten aus Beweisgründen schriftlich erfolgen").

Die in diesem Punkt auffälligste Änderung ist die komplette Streichung des Punktes zum Fixgeschäft. Das bedeutet aber nur, dass die gesetzlichen Regelungen zum Fixgeschäft zur Anwendung kommen, so dass inhaltlich, abgesehen von der bisher gültigen 2 Wochen-Frist für das Verlangen zur Leistung trotz Verspätung keine nennenswerten Veränderungen stattfinden.

Der Punkt Vertragsstrafe wurde ebenfalls gestrichen. Er entfällt allerdings nicht komplett, sondern wurde an eine andere Stelle innerhalb der ÖNORM B 2110:2023 verschoben (Pkt. 11.3.2).

Leistungsabweichungen und ihre Folgen

In diesem Punkt gibt es einige Streichungen und Einfügungen. Außerdem war gerade bei diesem Punkt auch eine Überarbeitung zu erwarten, denn seine Anwendung gestaltet sich nicht immer einfach.

7.1 Allgemeines


Zunächst wird 7.1. umformuliert, ohne dass es daraus eine inhaltliche Änderung gibt:

Statt:

Der AG ist berechtigt, den Leistungsumfang zu ändern, sofern dies zur Erreichung des Leistungsziels notwendig ist und dem AN billigerweise zumutbar ist.

Nunmehr:

Der AG ist berechtigt, den Leistungsumfang zu ändern, sofern dies notwendig ist, um das Leistungsziel zu erreichen und diese Änderung dem AN billigerweise zumutbar ist.

Was zumutbar ist, wird dann in einem neuen Absatz definiert:

Eine Änderung des Leistungsumfangs ist dem AN jedenfalls dann zumutbar, wenn sie mit den für die Erbringung der Vertragsleistung erforderlichen Produktionsfaktoren bewerkstelligt werden kann. Der Umstand, dass zusätzliche Produktionsfaktoren erforderlich werden, schließt aber die Zumutbarkeit nicht jedenfalls aus.

Dies hilft eventuell, um manche Unklarheiten zu beseitigen, lässt aber auch noch genügend Spielraum, um flexibel auf andere Situationen einzugehen.

Der Anspruch auf Anpassung der Leistungsfrist und/oder des Entgelts wird in Pkt. 7.4.1 neu definiert. Der fordernde Vertragspartner (statt der AN) hat seine Forderung anzumelden und in prüffähiger Form vorzulegen. Ansonsten sind die Änderungen rein sprachlicher Natur oder wurden Sätze an andere Stellen geschoben. Inhaltlich ändert sich hier nichts.

Klargestellt wird in Pkt. 7.4.3, dass ein Anspruchsverlust dem Grunde nach eintritt, wenn die Anmeldung versäumt wird (in dem Umfang, in dem die Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des AG zu dessen Nachteil führt).

(alt) Schlussfeststellung

Dieser Punkt wurde ersatzlos gestrichen. Schon bisher war eine Schlussfeststellung aber im Vertrag vorzusehen, damit der Punkt 11 überhaupt zur Anwendung gelangte.

Wird jetzt eine Schlussfeststellung gewünscht, muss daher im Vertrag auch vereinbart wie die Schlussfeststellung auszusehen hat und welche Folgen daran geknüpft sein sollen.

(neu) Haftungsbestimmungen

In Pkt. 11.2.3.3 wird die Gewährleistungsfrist nunmehr generell mit 3 Jahren festgelegt. Dies gilt im Gegensatz zur gesetzlichen Regelung auch für bewegliche Sachen. Es ist allerdings fraglich, wie oft das in der Praxis bei Bauleistungen relevant werden wird.

In Pkt. 11.2.6 wird festgelegt, dass die Rechte aus der Gewährleistung 3 Monate nach Ablauf der Gewährleistungsfrist verjähren. Hiermit wird das neue Konzept des § 933 ABGB übernommen.

In Pkt. 11.3.2 wurde nun die Vertragsstrafe aufgenommen.

Neu Streitigkeiten

Neu ist der Punkt 12. Streitigkeiten. Inhaltlich wird hier allerdings lediglich der Vorzug eines institutionalisierten Schiedsgerichts gegenüber einem Ad-hoc-Schiedsgericht festgelegt, falls eine Streitigkeit durch ein Schiedsgericht zu entscheiden ist.

Haben die Parteien in ihrem Vertrag eine Schiedsvereinbarung, so werden entsprechende Festlegungen üblicherweise direkt im Vertrag gemacht, damit für die Parteien klar ist, wer für ihre Schiedssache zuständig ist. Die Bestimmung in der ÖNORM B 2110:2023 dürfte daher in der Praxis kaum Bedeutung erlangen.

Das Wichtigste in Kürze

* Die ÖNORM B 2110:2023 ersetzt die bisher gültige ÖNORM B 2110:2013 bei neuen Verträgen, sofern auf die geltende Fassung oder die Version 2023 Bezug genommen wird.

* Man hat daher nun mit beiden Versionen der ÖNORM B 2110 zu tun, bis die "alten" Verträge vollständig abgewickelt sind.

*In Format und Sprache wurden ein paar Änderungen umgesetzt. Inhaltlich gibt es kaum Neuerungen.

* Dennoch sollte die ÖNORM B 2110:2023 vom Anwender zumindest einmal studiert werden, bevor er sie seinen Verträgen zugrunde legt.