Stadtentwicklung : So aktiv wird die Stadtplanung digitalisiert
Wahrscheinlich wird die Menschheit eines Tages auf die heutige Zeit zurückblicken und es absurd finden, dass Städte je ohne digitale Tools und Künstliche Intelligenz entwickelt und gebaut wurden; dass je ein Plan auf Papier gezeichnet und über etwaige Auswirkungen bestimmter Bauvorhaben auf ihre Umgebung überhaupt diskutiert werden mussten, anstatt die KI mit der Analyse zu beauftragen.
Doch noch sind wir nicht so weit und auch noch nicht so zynisch. Noch stehen Bauwesen und Stadtplanung beim Thema Digitalisierung noch eher am Anfang. Doch es ist ein vielversprechender und aufregender Anfang. Das zeigt nicht zuletzt die Fülle an und Aufnahmebereitschaft für neue Projekte und Entwicklungen.
So gibt es etwa seit kurzem eine digitale Anwendung für die Stadtplanung auf dem Markt, die das Fraunhofer Institut für Graphische Datenverarbeitung in Darmstadt entwickelt hat. Konkret handelt es sich um das funktionstüchtige Endprodukt von Aktvis, einer zweijährigen Kollaboration mit der TU Darmstadt und drei hessischen Kommunen – Münster, Bensheim und Otzberg.
Digital mitreden
Ausgangspunkt war es, Flächenpotentiale in den alten Ortskernen der Kommunen zu aktivieren beziehungsweise zu reaktivieren. Die Altstädte hatten nach mehreren Jahrzehnten des demografischen Wandels mit Leerständen und Verfall zu kämpfen, da sich Gewerbe- und Wohnimmobilien immer mehr an die Ortsränder verlagert hatten – ein Problem, das natürlich nicht nur Hessen kennt. Doch wie sollte die gemeinsame Ideeneinbringung und Diskussion von Bürgern, Politik und Immobilienbesitzern funktionieren? Und wie konnte darauf geachtet werden, dass es primär um ressourcenschonende Ideen der Revitalisierung geht?
Es entstand schließlich eine interaktive Web-Anwendung, in die die Geodaten der jeweiligen Stadt eingespeist und in der dann Straßen und Gebäude, sowie weitere Informationen realitätsgetreu dargestellt wurden.
Nach Projektende im Februar dieses Jahres wurde am finalen Produkt gefeilt, das nun auf dem Markt ist. Es soll die Kommunikationen zwischen allen miteinbezogenen Parteien – also auch etwa zwischen Architekten und Stadtplanern, aber eben auch Bürgern – vereinfachen und die Prozesse übersichtlicher gestalten. Bemerkenswert ist, dass eine Wirtschaftlichkeits- und Baurechtsprüfung bereits enthalten ist. So können viele notwendige, doch auch langwierige Schritte aber der Ideenfindung, die oft nur in einer Ablehnung enden würden, sehr viel schneller erledigt werden. Das Fraunhofer IGD sieht in dem Tool eine wirksame Waffe im Kampf gegen Leerstand, Baulücken und Verfall, aber auch Potentiale im Standortmarketing und in der Wirtschaftsförderung.
Mit Visualisierung gegen den Leerstand
Die realitätsgetreue digitale Darstellung von Gebäuden erinnert im Bauwesen natürlich sofort an das große Schlagwort BIM. Und auch bei BIM geht es unter anderem darum, die Zusammenarbeit verschiedener Beteiligter zu vereinfachen und optimieren. So können Zeit gespart und Fehler vermieden werden.
Doch auch andere Technologien spiegeln die schrittweise Digitalisierung der Bauwirtschaft, der Stadtplanung und der Überschneidungen der beiden Bereiche wider. So können Drohnen Bildinformationen sammeln, die in 3D-Pläne eingespeist werden können; Artifical, Virtual und Mixed Reality-Tools machen es Planern und Architekten einfacher, sich in ihre eigenen Vorhaben wortwörtlich „hineinzudenken“.
Letztes Beispiel ist auch in der Stadtplanung von immer größerer Bedeutung. Es muss schließlich nicht einfach nur gebaut werden, um die Wohn- und Einkaufsbedürfnisse von ein paar zu stillen – es muss so gebaut werden, dass das Neue mit dem Bestand vereinbar ist; dass Nachverdichtung möglich ist; dass noch vor Baubeginn klar ist, ob die bestehende Infrastruktur ausreicht oder leiden wird.
Bei solchen Folgeabschätzungen könnte künftig auch eine weitere neue Entwicklung des Fraunhofer IGD zum Einsatz kommen. Smarticipate ist eine vom Institut in Darmstadt konzipierte Plattform, die im Rahmen des EU-Projektes Horizon 2020 entstand und dieses Jahr fertig wurde.
In Hamburg hineindenken
Auch hier geht es grundsätzlich um die vereinfachte und konstruktive Miteinbeziehung der Bürger bei Planungen. Hamburg will so zum Beispiel herausfinden, wo die Bevölkerung in der Stadt neue Bäume gepflanzt haben will.
Damit die Sache aber nicht zum Wunschkonzert wird, bietet die Plattform eine Feedback-Funktion. Ideen werden in beinahe Echtzeit durchgerechnet – was von Menschenhand erledigt sehr lange dauern würde – und in ihrer Machbarkeit und Wirtschaftlichkeit bewertet. Grundlage dafür sind alle verfügbaren Daten der Stadt und Open Data anderer Stakeholder. So kann sich die Stadtplanung im Endeffekt auf die Vorschläge beschränken, die bereits durchgerechnet wurden. So wird nicht nur Zeit gespart, auch Fehlinvestitionen können vermieden werden.
Auch Rom und London haben während der Projektphase bereits die Plattform genutzt. Mittlerweile ist sie für jede interessierte Stadt verfügbar. Auch Wien hat schon Interesse bekundet. Das passt auch zur Bundeshauptstadt, die ja im internationalen Smart City Ranking auf Platz eins liegt und seine Digitale Agenda großschreibt.
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